Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MÜNCHEN/ Cuvilliestheater/ Opernstudio der Bayerischen Staatsopn: MIGNON von Ambroise Thomas

09.09.2020 | Oper international

 

München: “Mignon” – Opernstudio der Bayerischen Staatsoper – Cuvilliés-Theater 08.09.2020

Wenn das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper im Cuvilliés-Theater auftritt, darf man sich immer über eine vergessene Perle der Opernliteratur freuen. Letztes Jahr gab es beispielsweise die beiden Einakter Jahr „Mavra“ von Igor Strawinsky und „Iolante“ von Peter I. Tschaikowsky in der zauberhaften Inszenierung von Axel Ranisch. Auch die Regisseurin der diesjährigen Produktion, Christiane Lutz, hat 2017 mit den damaligen Sängern des Opernstudios Gian Carlo Menottis 1950 uraufgeführter Oper „The Consul“ erarbeitet und als Zeitzeugnis von bestürzender Aktualität auf die Bühne des Cuvilliés-Theaters gestellt.

Nun hat sie Ambroise Thomas` fast einstmals sehr erfolgreiches Werk „Mignon“ dem Vergessen entrissen. Schon Thomas selbst hat verschiedenste Fassungen erstellt – mit und ohne gesprochene Dialoge, die Titelpartie ursprünglich für Mezzo, dann für Koloratursopran, mehrere verschiedene Enden – sodass auch Puristen nichts dagegen haben können, dass die Oper jetzt coronabedingt gekürzt und mit reduziertem Orchester gespielt wird. Sie bietet jedenfalls neben den drei Hauptpartien eine ganze Reihe von mittleren und kleineren Parteien, in denen viele Mitglieder des Opernstudios brillieren können.

Christiane Lutz verlegt die Handlung mit viel Gespür für die psychologischen Zusammenhänge in ein Theater- und Schaustellerambiente der Jetzt-Zeit. Dass die traumatisierte Mignon in ihrer Kindhaftigkeit verharrt, nicht erwachsen werden will, und das Philine in ihrer aggressiven Erotik vielleicht die andere Seite von Mignons Persönlichkeit darstellt wird in der Verkleidungsszene angedeutet, wenn Mignon plötzlich fast dasselbe Kleid wie Philine trägt. Und dass auch in Philine ein Stückchen Androgynität steckt, wird deutlich, wenn unter ihrer blonden Perücke eine dunkle Kurzhaarfrisur zum Vorschein kommt.


Zwei Seiten derselben Frau? Caspar Singh (Wilhelm Meister), Sarah Gilford (Mignon), Juliana Zara (Philine)      © Wilfried Hösl

Die geheimnisvolle Kindfrau Mignon wird von Sarah Gilford als androgynes Wesen dargestellt, erfüllt von einer unerklärlichen Sehnsucht nach einem Land, wo die Zitronen blühen. Gleich zu Beginn darf sie den ersten von drei bekannten „Schlagern“ dieser Oper singen, „Connais-tu le pays“, mit schöner, warmer Stimme und aufblühenden Höhen. Ihre Gegenspielerin um die Gunst von Wilhelm Meister ist die Schauspielerin Philine, von Juliana Zara mit perlenden Koloraturen, aber auch einigen schrillen Spitzentönen dargeboten. Ihre Polonaise „Je suis Titania“ ist die zweite Nummer, die man aus Wunschkonzerten kennen könnte. Die dritte ist „Elle ne croyait pas, dans sa candeur naive“, die auf keiner Sammlung französischer Tenorarien fehlen darf. Caspar Sing als Wilhelm Meister zeigt nicht nur hier, dass er ein schönes Timbre mit weichen Piani, aber auch durchschlagenden Höhen besitzt.

Oğulcan Yilmaz als Harfner Lothario lässt seinen samtigen Bass melancholisch fließen, die Mezzosopranistin Daria Proszek in der Hosenrolle des Frédéric gibt die gelungene Studie eines vom Erwachen der Hormone gequälten jungen Mannes. George Vîrban als Laërte ließ einen schönen lyrischen Tenor hören Christian Valle in der Doppelrolle von Jarno und Antonio einen kernigen Bariton.

Die Musik ist teils operettenhaft, teils lyrisch-tragisch, erinnert in manchem an Offenbach, in Anderem an Gounod. Dies wird durch die von Paul Leonhard Schäffer reduzierte Fassung noch unterstrichen und hat der Musik gerade in der sehr direkten Akustik des Cuvilliés-Theaters nicht geschadet. Filigran, durchsichtig, viel Harfe, Schlagwerk für die Theaterszenen und eine solistische Behandlung der Streicher führen zu einem außergewöhnlichen Hörerlebnis. Dem Dirigenten Pierre Dumoussaud liegen die heiter-burlesken Passagen anscheinend besser, die tragischen hätten noch mehr dynamische Differenzierung vertragen.

 

Susanne Kittel-May

 

 

 

Diese Seite drucken