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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: IL SIGNOR BRUSCHINO – Spielwitz im Filmschnitt

23.03.2021 | Oper international

„Il Signor Bruschino“ von Gioacchino Rossini in der Bayerischen Staatsoper am 22.3.2021/MÜNCHEN

Spielwitz im Filschnitt

Der Regisseur Marcus H. Rosenmüller hat bei seiner Inszenierung filmische Elemente sehr stark in das Bühnengeschehen integriert. Mit den Kostümen von Claudia Gall und der Ausstattung von Christian Blank wird die Stummfilmwelt der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts hervorgezaubert. Manches erinnert auch an die Commedia dell’arte. Zwei ältere Herren vereinbaren die Heirat ihrer Kinder, ohne es für nötig zu halten, die jungen Leute vorher nach ihrer Meinung zu fragen. Konflikte und Intrigen sind vorprogrammiert. Hier möchte Sofia nicht den ihr unbekannten Sohn des Herrn Bruschino zum Mann nehmen, sondern Florville, den sie liebt. Ihr Vormund Gaudenzio sieht Florvilles Vater aber als seinen Erzfeind an und würde dieser Verbindung deswegen nie zustimmen. Als Florvilles Vater aber stirbt, hofft sein Sohn, dass damit auch die alte Fehde begraben ist. Gaudenzio hat jedoch in der Zwischenzeit Sofia bereits dem Sohn des Bruschino versprochen. Der vorgesehene Bräutigam hat aber inzwischen so viele Schulden im Gasthaus angehäuft, dass der Wirt ihn im Zimmer einsperrt. Florville wittert seine Chance und will den alten Herrn überlisten. Filiberto teilt Florville allerdings mit, dass die Schulden bezahlt worden seien und er deshalb den jungen Bruschino nicht länger festhalten konnte. Er habe ihn mitgebracht, um ihn zu seinem Vater (dem alten Bruschino) zu führen. Dieser bittet seinen Vater um Vergebung. Filiberto erklärt jetzt Gaudenzio, dass Florville zwar Bruschino heiße, aber nicht der Sohn des alten sei. Bruschino deckt auf, dass Florville seine Tochter geliebt und auf diese Weise sichergehen wollte, sie zur Frau zu erhalten. Er sei der Sohn des Senators Florvil, dem alten Gegner Gaudenzios. Florville gibt dies zu: Er sei ein Ehrenmann und sein Vater wäre bereits verstorben. Bruschino verweist auf die große Liebe zwischen Sofia und Florville und sagt, dass Bruschino der Heirat bereits zugestimmt habe. Die beiden bitten Gaudenzio ebenfalls um Verzeihung – und dieser muss ihnen vergeben: „Im großen Welttheater sucht jeder nach seinem Glück…“ So bejubeln zuletzt alle die Liebe.

 

Bei dieser ungewöhnlichen Produktion wird das gesamte Nationaltheater mit einbezogen, es kommt zu Jagdszenen im Treppenhaus und einem turbulenten Versteckspiel auf der Bühne. Der satirische  Witz des „Schwans von Pesaro“ blitzt so immer wieder deutlich hervor, gewürzt mit dem Klangzauber des Belcanto und den betörenden Reizen der Opera buffa. Die Ouvertüre entwickelt mit ihren rhythmisch reizvollen Klangeffekten Esprit und Grazie. Sie löste übrigens bei der Uraufführung einen Skandal aus, da die zweiten Violinen angewiesen waren, mit ihren Bögen gegen die Zinndeckel der Kerzenhalter ihrer Notenpulte zu klopfen. Die Musik der Ouvertüre enthält außerdem ein Thema aus Rossinis Sinfonia in D „al Conventello“. Auch der kurze Trauermarsch blitzt bei dieser dezenten Wiedergabe in reizvoller Weise auf. Weitere Glanzpunkte sind der Protest Bruschinos im Terzett „Per un figlio gia pentito“ mit ihrer ostinatohaften Figur sowie Sofias Arie „A donate il caro sposo“, die von einem Englischhorn begleitet wird. In Bruschinos Arie „Ho la testa o e andata via?“ wird diese Verwirrung durch eine aus Oktavsprüngen bestehende Linie ausgedrückt. Sofia antwortet hier in einem leidenschaftlichen g-Moll mit aufwärts steigenden Quinten und kleinen Sexten. Burleske und gefühlvolle Momente stehen bei diesem Werk dicht beieinander. Diese Tatsache kostet der Rossini-Spezialist Antonino Fogliani als umsichtiger Dirigent mit dem Bayerischen Staatsorchester in facettenreicher Weise aus. Dynamische Crescendo-Steigerungen werden genüsslich ausgekostet – und es knistert ebenso bei den ausgefeilten Ostinato-Einlagen. Da können die Sängerinnen und Sänger in reichlichem Maße ihre vielen Talente entfalten. Denn im Rossini-Theater braucht man auch gute Schauspieler, die der Situationskomik Herr werden. Da beweisen Emily Pogorelc (Sopran) als Sofia und Josh Lovell (Tenor) als Florville ihren großen Sinn für die Gegenüberstellung von burlesken und gefühlvollen Elementen. Man spürt, dass es sich dabei um einen gewitzten Schwank für Musik in einem Akt von Giuseppe Foppa handelt: „Der Herr Bruschino oder Der Sohn aus Zufall“. Spielwitz und feine Ironie prägen die gesanglichen Kantilenen. Misha Kiria (Bass) als Gaudenzio erweist sich als profunder Charakterdarsteller, der dem Intrigenspiel trotzdem auf den Leim geht. Paolo Bordogna (Bassbariton) als Bruschino padre sowie Andres Agudelo (Tenor) als Bruschino figlio überbieten sich gegenseitig in den buffonesken Szenen zwischen Grimassenschneiderei und völliger Verwirrung. Den berühmten roten Faden suchen hier alle zunächst vergeblich. Dem melodischen Zauber können auch Andrew Hamilton als Polizeikommissar (Un delegato di Polizia), Edwin Crossley-Mercer (Bassbariton) als raffinierter Wirt und Eliza Boom (Mezzosopran) als Zimmermädchen Marianna viel abgewinnen. Mediterraner Geist steht dabei dicht neben der Gefühlssprache Mozarts, die Rossini sehr kunstvoll weiterentwickelt hat. Der Stretta-Charakter mancher Szene wirkt dank Antonino Foglianis Dirigat funkensprühend und elektrisierend. Atemlos hereinbrechende Themen und wild vorwärtsdrängende Rhythmen erreichen eine schwindelerregende Intensität. Das Finale explodiert schließlich vor Übermut und bewegtem Temperament. Rasante Atemlosigkeit wird von den Sängern hier dank ausgefeilter Atemtechnik und prägnantem Timbre beschworen. Die musikalische Charakteristik triumphiert in bemerkenswerter Weise.

Rossini wollte das Publikum übrigens reizen, das auf die Uraufführung angeblich mit wütenden Pfiffen reagierte. Für das minderwertige Libretto habe sich Rossini dadurch gerächt, dass er in seiner Partitur Übertreibungen bewusst in Kauf nahm. Die Ouvertüre ist dafür ein schönes Beispiel. Spannungsreiche Ostinati mit Crescendo-Effekten fordern eine trockene Brillanz geradezu heraus. Die recht bizarre Aufführung im Nationaltheater überzeugt jedenfalls mit ihrer ungewöhnlichen Sichtweise auf dieses Meisterwerk.

Alexander Walther

 

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