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MOSKAU / BOLSCHOI-THEATER IM KINO : DON QUICHOTTE – Ballett mit Pfiff

11.04.2016 | Ballett/Performance

Live aus dem Bolschoi Theater Moskau: „DON QUICHOTTE“ – BALLETT MIT PFIFF – 10. 4. 2016

Der Dirigent, Pavel Sorokin betrat den Orchestergraben, schlängelte sich durch die Reihen der Musiker des Bolschoi Orchesters bis zum Pult und begann sofort mit der Musik von Ludwig Minkus, rasant, forsch, „zackig“. Die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne hielten mit, als brauchten sie dieses rasante Tempo, um sich leistungsstark zu entfalten und schafften es, nicht nur jede Ballett-Figur, jede Kombination und jedes Details trotz Tempo mit entsprechender Exaktheit auszuführen und nahtlos zu verbinden, sondern mitunter auch noch „eins draufzusetzen“, und trotz allem das Ganze – oft ein Lächeln auf dem Gesicht – natürlich und mühelos erscheinen zu lassen. Später nahm der Dirigent Rücksicht, um die Tänzer mit ihren solistischen Virtuosen-Parts punktgenau mit der Musik abschließen zu lassen – und endete mit dem Orchester infolge der menschlichen Reaktionszeit ein klein wenig später als die Solisten.

Das tat der Sache kaum Abbruch, denn von Anfang an war der Humor geschickt in die Choreografie von Alexei Fadeyechev eingebunden, zuweilen umwerfend komisch und gekonnt, aber auch als typisch menschliche Schwächen und Verhaltensweisen am Rande.

Alexei Loparevich gab Don Quichotte, dem Ritter von der traurigen Gestalt, schon durch seine lange, sehr schlanke Figur ein Aussehen wie aus dem Bilderbuch mit großem Blech-Aschebecher auf dem Kopf als Helm, Brustschuld und langer Lanze, wodurch Sancho Pansa, ein sehr kleiner, gewitzter Mann, schelmisch und bauernschlau, Don Quichotte treu ergeben und dessen Schild-Träger, noch kleiner wirkte und Don Quichotte noch länger – ein ungleiches Paar, das zusammenhielt.

Die theaterwirksam überhöhten Kostüme waren nicht nur sehr aufwändig gearbeitet, sondern auch mit Geschmack entworfen und optisch sehr wirkungsvoll. Manch überschwänglich weiter Volant-Rock im spanischen Stil bestimmte mit seiner Fülle an Stoff den Tanz mit und schien eingebunden in die Choreografie, was Kristina Karasyova als Mercedes und Anna Tikhomirova als Straßentänzerin mit Eleganz und Grazie bewältigten. Andere Länder – andere Mentalität. In Russland muss jedem Besucher etwas Außergewöhnliches geboten werden, leistungsmäßig oder optisch, wozu auch die sehr schönen Bühnenbilder, konservativ, aber gekonnt gestaltet, beitrugen.

Die Hauptakteure aber waren Ekaterina Krysanova als quicklebendige Wirtstochter Kitri, die neben Musik auch eine ungeheure Schnelligkeit und Agilität im Blut zu haben scheint, und Semyon Chudin als ihr geliebter Basilio, ein mittelloser Barbier, das Liebespaar, das schließlich nicht nur für ein Happy End, sondern für atemberaubende Tanzleistungen sorgte.

Wie in jedem großen Ballett von Ludwig Minkus und Marius Petipa gab es auch hier ein beeindruckendes „Weißes Bild“ als Don Quichottes Traum, wenn er nach seinem Kampf gegen die Windmühlen erschöpft und verwundet im Wald liegt. Voller Anmut boten die Dryadenkönigin (Olga Smirnova) und drei sehr gute Solistinnen sowie das synchrone Bolschoi Ensemble ansprechende, ästhetische Tanzdarbietungen.

Zuvor hatte das Bolschoi Ensembles auch die Straßenszenen belebt und die Volksmenge dargestellt. Aus seinen Reihen kamen auch die entsprechenden menschlichen Typen, die vor allem durch Kostüm und Maske wirkten, wie Lorenzo, der Wirt, und der reiche, als „ritterlicher“ Modegeck „verkleidete“, heiratswillige, um Kitri werbende und fast ins Komisch-Groteske abdriftende Gamache (Darsteller im Programm nicht genannt).

Das Allerbeste aber kam zum Schluss, die großartigen Tanzleistungen von Ekaterina Krysanova und Semyon Chudin, die im dritten und letzten Akt nicht nur ihre, von Don Quichotte gestiftete, Hochzeit als Kitri und Basilio feiern, sondern auch den Dank und stürmischen Applaus des Publikums für ihre überaus gelungenen Glanzleistungen entgegennehmen konnten. In ausgiebigen Solotänzen und einem Pas de deux – beides voller gekonnt ausgeführter Schwierigkeiten – sorgten sie für unerwartete Überraschungen.

Wie ein Wirbelwind „fegte“ Ekaterina Krysanova, ein Wunder an Schnelligkeit, Geschmeidigkeit und Kondition über die Bühne. Ihre Beine bewegten sich schneller als man schauen konnte, und dabei führte sie die schwierigsten Tanzfiguren exakt und mit idealer Körperhaltung aus.

Semyon Chudin schien selbst als Mann leicht wie eine Feder über die Bühne zu tanzen und zu springen. Mit für einen Tänzer ungewöhnlicher Geschmeidigkeit und Eleganz bewältigte er in sehr ansprechender Körperhaltung ebenfalls große Schwierigkeiten mit scheinbarer Selbstverständlichkeit und in ebenfalls großer Schnelligkeit.

Ingrid Gerk

 

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