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MANNHEIM: STIFFELIO. Premiere

18.04.2014 | KRITIKEN, Oper

MANNHEIM: STIFFELIO – Premiere am 29. März 2014

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Schluss-Szene: Martin Muehle, Galina Shesterneva. Foto: Hans Jörg Michel

 Am Nationaltheater Mannheim (NTM) hatte Ende März die selten gespielte Oper „Stiffelio“ von Giuseppe Verdi Premiere. Am 16. November 1850 and Teatro Grande in Triest uraufgeführt, ist der „Stiffelio“ ein Werk aus Verdis früherer Schaffensphase, gleichwohl ein Werk, das, wie Uwe Schweikert im Programmheft schreibt, Verdis damaligem Wunsch entsprach, ein exotisches Sujet zu wählen, welches so gar nicht den Erwartungen des italienschen Publikums entsprach. Zudem rief es die staatliche Zensur auf den Plan: Drei Tage vor der Uraufführung mussten entscheidende Änderungen vorgenommen werden, da sich, so berichtet ein Trister Kritiker, dem „kirchlichen Zensor  … die allerkatholischsten Eingeweide herumdrehten.“ So versank „Stiffelio“ erst einmal in der Versenkung, und Verdi sah sich 1856/57 sogar bemüht, eine stark abgeschwächte Form des Stücks unter teilweiser Verwendung der ursprünglichen Partitur mit dem Titel „Aroldo“ herauszubringen. Diesem war aber ebenfalls kein Erfolg beschieden. Erst 2003 konnte die Originalfassung mit Hilfe autographer Fragmente wieder rekonstruiert werden. Es gab damals auch eine Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper, mit José Carreras in der Titelrolle.

 Worum geht es in „Stiffelio“, was war der Stein des Anstoßes! Stiffelio ist ein protestantischer Prediger – aber auch Ehemann, von Lina, die er als bürgerlicher Rodolfo Müller geheiratet hatte. Als er feststellen muss, dass ihn seine Frau mit einem anderen Mann, Raffaele, betrogen hat, ist er taub für ihre Bitte um Vergebung und verlangt eine Scheidung. Lina sieht hierin eine Chance, denn wenn Stiffelio ihr als ihr Ehemann nicht zuhört, so muss doch der Seelsorger Stiffelio die Worte einer reuigen Sünderin vernehmen. Wenn Stiffelio im abschließenden Gottesdienst der Gemeinde die Bibel aufschlägt, um ihr das Thema der Predigt zu entnehmen, stößt er auf eine Stelle des Johannesevangeliums, die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin, mit dem Schlüsselsatz: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ „Verziehen!“ ist also das letzte Wort im Finale, aber es bleiben zerstörte Menschen zurück. Verdi inszeniert auf der Bühne einen liturgischen Vorgang, der somit fast ins Mythische hinein greift. Es geht ihm dabei aber nicht um diese oder eine andere Religion, sondern um die Zwänge und Verdrängungen gesellschaftlicher Konventionen, wohl auch jener seiner Zeit. Insofern scheint der „Stiffelio“ auch etwas Autobiografisches zu haben, wenn man an Verdis Beziehung zu Giuseppina Strepponi denkt.

 Die Mannheimer Regisseurin Regula Gerber, von 2005 bis 2012 Generalintendantin des NTM, legt in ihrer Inszenierung besonderes Gewicht auf dieses „hermetische System“, wie sie es in einem Gespräch mit der Dramaturgin Merle Fahrholz bezeichnet, eine protestantische Gemeinschaft also, die in sich extremen Kontrollmechanismen unterliegt und von ihren Individuen Perfektionierung in eigener Instanz verlangt. Die Kollision zwischen der öffentlich postulierten Moral und dem damit zusammenhängenden Verhaltenskodex einerseits und der persönlichen Gefühlslage der einzelnen – hier also insbesondere Stiffelios, Linas, ihres Vaters Stankar und ihres Liebhabers Raffaele – andererseits erfährt im Stück ein immer größere Dynamik und gerät schließlich mit der Ermordung Raffaeles durch den ehrgkränkten Stankar völlig außer Kontrolle. Am artikuliertesten zeigt sich dieser Konflikt bei Stiffelio selbst. Als Rodolfo Müller verspürt er wie jeder Mensch Liebe, Sehnsucht, Einsamkeit und Sexualität. Als religiöser Anführer der protestantischen Gemeinde, Stiffelio, muss er aber Vorbild sein und spaltet somit seine Identität, was am Ende fatal zum Ausbruch kommt, als seine Beziehung mit Lina trotz ihrer glaubhaften Reue und der biblischen Verzeihung von der Kanzel endgültig zerstört wird.

 Roland Aeschlimann, der große Magier der chiffrierten und subtil ausdrucksstarken Bühnenbilder, die immer in einer dezenten Farbästhetik zu sehen sind, hat zu diesem Grundkonflikt großartige und eindringliche Bilder auf die Mannheimer Bühne gestellt. Im meist abgedunkelten und stets eine bestimmte lastende Schwere suggerierenden Licht von Bernard Häusermann lässt Aeschlimann mit viel Symbolik um das Zeichen eines bühnenweiten wirkungsmächtigen Kreuzes die Macht der religiösen Konvention augenscheinlich werden. Immer wieder, wenn es um entscheidende Momente geht, erhebt sich das erleuchtete Kreuz und droht die Menschen darunter, die eben mit ihren ganz menschlichen Gefühlen kämpfen, zu zermalmen. Überall herumstehende kleine weiße Kerzen, die man in den Kirchen zum Gedenken anzünden kann, bezeugen die Allgegenwart von Kirche und Glauben. Das Schlussbild mit vielen mächtigen, vom Schnürboden sich majestätisch absenkenden Orgelpfeifen treibt dieses Bild auf eine letzte Spitze. Umso stärker treten in diesen klaren und geometrisch konturierten Bildern, die gleich zu Beginn von einem Unheil ankündenden Video von fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Möller) belebt werden, die von Guido Markowitz äußerst bewegt choreografieren Konflikte der Protagonisten hervor. Der von Tilman Michael bestens einstudierte Chor ist durch Strumpfmasken neutralisiert, die sich nach den Regeln der Glaubensgemeinschaft unisono verhaltende Gemeinde andeutend. Umso stärker tritt die Intensität der Auseinandersetzungen der Protagonisten mit einer exzellenten Personenregie hervor. Bisweilen ertönt der Chor geheimnisvoll aus dem Off. Selbst die Kampfszene wirkt stilistisch gekonnt. Mancher „Lohengrin“-Regisseur sollte sich das mal ansehen… Die stilvoll elegant geschnittenen und in farblicher Harmonie mit dem Bühnenbild gehaltenen Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer, langjährige Kostümbildnerin der Berliner Schaubühne – man kann sie wohl mittlerweile als Altmeisterin geschmackvoller Kostümbildnerei bezeichnen – tragen wesentlich zur optischen Intensität dieses neuen „Stiffelio“ bei.

 Auch bei der Sängerriege war überwiegend Gutes zu hören. Alle SängerInnen erlebten an diesem Abend in Mannheim ihr jeweiliges Rollendebut! Allen voran der Deutsch-Brasilianer Martin Muehle in der Titelrolle, den der Rezensent 2002 in Manaus als Siegmund, 2007 ebendort als Steuermann in der Schlingensief-Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ und schließlich 2011 wieder als Siegmund in São Paulo erleben konnte. Muehle, mittlerweile nach Mannheim übersiedelt, hat sich seitdem enorm weiterentwickelt und spielte und sang einen Stiffelio von großer emotionaler Intensität und Glaubwürdigkeit in der Darstellung seines unüberwindlichen inneren Konflikts. Muehle verfügt nun über einen heldisch timbrierten und durchschlagskräftigen Tenor, der ihn ohne weiteres zu einem interessanten Sigmund machen sollte. Die Stimme wird bei sicherer Höhe gut geführt und ist auch sehr wortdeutlich. Die Russin Galina Shesterneva singt die Lina mit einem ausdrucksstarken, leuchtenden Sopran und großer Emphase in den tragischen Momenten, die sie mit der Rolle durchmacht. Die Auseinandersetzungen mit Stiffelio sind auf beiden Seiten von beeindruckender Dramatik und Musikalität geprägt. Thomas Berau als Stankar überzeugt mit einem wohlklingenden und prägnanten Bass sowie starkem darstellerischem Einsatz. Der Koreaner Sung Ha singt einen imposanten Jorg mit seinem klangvollen und gut phrasierenden Bass. Der estnische Tenor Juhan Trulla ist ein agiler und stimmlich ansprechender Raffaele in einer etwas undankbaren Rolle. Benedikt Nawrath als Federico di Frengel und Ludovica Bello als Dorotea fügen sich harmonisch in das gute Ensemble dieses Premierenabends ein.

 Am Pult des Orchesters des Nationaltheaters Mannheim stand diesmal Alois Seidlmeier und ließ die musikalischen Stärken, die der „Stiffelio“ auch im Vergleich mit den auf ihn folgenden großen Werken Verdis zweifellos hat, zu voller Blüte kommen. Zwar bemerkte man nicht nur im Vorspiel immer wieder einen bisweilen noch fehlenden Fluss, vielleicht einige holzschnittartige Momente in der Komposition, aber es gab gerade in langen Monologen und Dialogen der Protagonisten große Momente hoher musikalischer Dichte. Die Blechbläser, aber auch die mit beeindruckender Intensität spielenden Streicher hatten großen Anteil am Erfolg des Abends. Die Orgel kam zu einem beeindruckenden Einsatz im Finale. Mit diesem „Stiffelio“ hat das NTM sicher einen großen Beitrag zur Wiederbelebung dieser doch noch etwas vergessenen Verdi-Oper geleistet.

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand                                                                                           

 

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