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MANNHEIM/ Nationaltheater: NORMA

15.10.2017 | Oper

Mannheim: „NORMA“ – 14.10.2017

Adalgisa-Julia Fayenbogen, Norma-Mariam Clark (c) Hans Jörg Michel
Julia Faylenbogen (Adalgisa), Miriam Clark (Norma). Copyright: Hans-Jörg Michel

Nach 33 Jahren szenischer und 14 Jahren konzertanter in absentia kehrte „Norma“ (Vincenzo Bellini) an das Nationaltheater zurück. La Sonnambula oder I Puritani des Belcanto-Spezialisten hingegen beehrten das Haus zumindest während der letzten sechs Jahrzehnte noch nie. Wie denn auch sei dürfte man die erneute Wiederbegegnung dem Umstand zuschreiben, dass Miriam Clark seit einem Jahr im Ensemble des NTM, die Rolle der Norma bereits zuvor erfolgreich in Dortmund und Bonn verkörperte.

Nach ihrer grandiosen Aida der letzten Saison erschloss sich die vorzügliche Sopranistin wiederum ein weiteres bewegendes Frauenportrait der Opernliteratur und beeindruckte mit einer höchst individuellen Rollengestaltung dieser einer der anspruchvollsten italienischen Sopranparts. Miriam Clark führte nun überaus nachdrücklich vor, wie ausdrucksvoll in nuancierten Gegensätzen diese Partie ausgelotet werden kann, wenn man sich traut, das Berühren von stimmlichen Grenzen ganz bewusst einzusetzen. Der Sängerin gelang somit eine einzigartig tiefgehende Interpretation, dank ihrer Atemtechnik, der Fähigkeit des Spinnens von lyrischen Legatobögen und Koloraturketten, neben dem Einsatz schonungsloser Dramatik-Attacken.

Da zudem kein unkontrolliertes Vibrato störte, kann man dieser vokalen Leistung nichts entgegensetzen außer Bewunderung für Wohlklang des herrlichen Timbres und dem variationsreichen Liniengesang. Wunderbare Piani und herzerweichende Finaltöne wetteiferten mit expressiven Ausbrüchen, im sicheren Kalkül des Forcierens spürte die sympathische Sängerin der Verzweiflung der Tragödin in Bellinis herrlicher Musik bis in den letzten Winkel nach. Bravo! Die Ovationen des Publikums sprachen für sich.

Variabel, warm dunkel abgetönt mit ruhig geführtem Mezzosopran erfüllte Julia Faylenbogen die Adalgisa. Das vorgeschriebene hohe C während des ersten Duetts sowie das im zweiten Akt bereitete den Höhenflüge der Sängerin keine Mühe. Herrlich erblühte ihre kräftige schön timbrierte Mittellage selbst während der expressiven dramatischen Momente in vollem Wohlklang auf.

Als Spinto-Tenor lyrischer wie kraftvoller italienischer Färbung erwies sich Irakli Kakhidze ( Pollione). Das strahlende Timbre, sein feines Legato, die Extrem-Höhenflüge sowie die vokale Ausstrahlung des jungen Georgiers überzeugen gleichermaßen und bildete während der Duette und des Terzetts ausgezeichnete stimmliche Kontraste.

Mächtig trumpfte Sung Ha mit hellem Bass auf, verlieh dem Oroveso imponierende Autorität, leider wurde die vokale Gesamtleistung merkwürdigerweise von hörbaren Intonationstrübungen geschwächt. Jugendlich schlank mit klangvoll-dunklem Ton kam Clothilde (Iris Marie Sojer) daher. Geschmeidig schöne Tenortöne schenkte Pascal Herington dem Flavio.

Ausgezeichnet in Volumen und Klangqualität setzte sich der von Dani Juris bestens vorbereitete NT-Chor in Szene.

Schwungvoll servierte Benjamin Reiners am Pult des NT-Orchesters die markant-temperamentvolle Ouvertüre, trug die Sänger auf Händen doch leider zu Lasten der instrumentalen Intonation. Merkwürdig gedehnt gerieten die Tempi während der stichwortgebenden untermalenden Passagen sodann beeinträchtigten die mächtig scharfkantig aufzutrumpfenden Momente das orchestrale Ebenmaß und ließen die Solidarität zu Solisten und Chor vermissen. Schreiben wir jene hörbaren Diskrepanzen dem Premierenfieber zu in der Hoffnung, dass sie sich demnächst noch neutralisieren.

War es nun Segen oder Fluch, dass mir Norma nicht als Putzfrau oder im Hinterhof oder als Resistance-Kämpferin wie während meiner letzten Deutungen begegnete? Markus Bothe gestattete es der Druiden-Priesterin sich in halbwegs naturalistischen doch auch teils befremdlichen Gefilden zu bewegen. Die Handlung der Oper nach der Dichtung von Felice Romani spielt bekanntlich im von den Römern besetzten Gallien fiktiv so ca. anno 50 v. Chr. und hat nichts mit geschichtlich überlieferten realen Geschehnissen zu tun. Bekannt ist lediglich, dass die Druiden als Oberschicht einer keltischen und geistigen Elite gewissen mythologischen Riten pflegten u.a. Brand-Sühne-Opfer, ähnlich wie es während des Werk-Finales sein sollte, doch die „Regie“ griff lieber zum Opfermesser.

Norma pflegte mit dem Römer Pollione seit Jahren eine geheime Liaison welcher zwei Kinder entsprossen, nun scheint der Ungetreue derer überdrüssig und umgarnt die Novizin Adalgisa somit sind personelle Konflikte bereits vorprogrammiert, zudem es im Volk längst gegen die verhassten Besatzer gärt. Mehr unnütz plakativ denn ergiebig konstruktiv führte der Regisseur durch das Geschehen und verschenkte völlig die psychologischen Intentionen der Protagonisten durch hilflose Gesten und statuarisches Rampentheater. Im Vergleich zur hervorragenden quirligen Inszenierung des „Ulisse“ der letzten Spielzeit, erschien mir die heutige Produktion als einfallsloser regelrecht langweiliger Abglanz. Das Premierenpublikum nahm es gelassen ohne Euphorie und Contra hin.

Eine stolze Wurzeleiche (Adalgisa balanciert auf einem Ast) steht inmitten der Bühne (Robert Schweer) umgeben von einem Wall aus Sandsäcken. Im Untergeschoss pflegt Norma Eichen-Sprösslinge im Treibhaus und versteckt unter Decken die Kinder. Mehr oder weniger keinesfalls attraktiven Phantasie-Kostüme (Justina Klimczyk) für die Hauptdarsteller, alle Gallier als graue Zombies unterstrichen die Szenerie auf besonders „sinnliche“ Weise.

Fazit: die Szene entbehrlich – die musikalisch hörenswerten, vorzüglichen Komponenten wurden vom Publikum mit großer Begeisterung gefeiert.

Gerhard Hoffmann

 

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