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MANNHEIM: DER SPIELER. In der Bar zum Krokodil …

28.02.2016 | Oper

Mannheim: „DER SPIELER“ 27.02.2016

 

                             In der Bar zum Krokodil …

… am Nil? Het – im Nationaltheater  tut sich viel – viel fürs Auge, doch davon später.

Slepneva-Zurabishvili (c) Florian Merdes
Ludmila Slepneva (Polina) und Zurab Zurabishvili (Alexej). Copyright: Florian Merdes

Alles in dieser Oper ist Rasanz, dramatischer Sog, Eskalation, musikalische Ekstase. In knapp sechs Monaten komponierte Sergei Prokofjew seine revolutionäre Oper „Der Spieler“, wobei er sich das Libretto aus Dialogen der Romanvorlage Dostojewskis größtenteils gleich einer rezitativischen Wort-für-Wort-Vertonung selbst zusammenstellte (Anm. aus historischen Quellen).

Den großen Publikumserfolg dieser Produktion geht nicht zuletzt auf die grandiose Leistung des NT Orchesters zurück, denn schließlich erwies sich Alois Seidlmeier als kompetenter Sachverwalter der Partitur, fächert er doch die farbenreiche Musik genau auf ohne auch die witzigen Details zu vergessen. Der Dirigent setzt mit dem hervorragend disponierten Orchester Akzente, beleuchtet sehnsuchtsvollen Kolorit zu rhythmisch pulsierenden Streichern und schrillen Sarkasmus zu tief grollenden Posaunen  gleichermaßen. In dezenter Lautstärke formte Seidlmeier vehement aggressive Blechtöne und ließ die Holzbläser in farblich vielfältiger Bandbreite erstrahlen.

Von derart prächtiger instrumentaler Qualität unterlegt stürzen sich die Sänger mit Verve auf ihre vortrefflichen Interpretationen, die mit Recht als mitreißend bezeichnet werden dürfen.

Zurab Zurabishvili-Alexej (c) Florian Merdes
Zurab Zurabishvili (Alexej Iwanowitsch ). Copyright: Florian Merdes

Somit gebe ich dem Titelhelden  Zurab Zurabishvili den Vortritt, mit tenoralem Glanz, ausgereiften Höhen, attraktiver dunkler Mittellage, ansprechend klangvollem Material mit Kern und Biss gestaltet der exzellente Sänger in vielschichtiger Darstellung das Portrait eines schier cholerischen Besessenen und schenkt Alexej Iwanowitsch zudem hinreißend humoristische Züge. Eine wahre Glanzleistung und zu Recht vom Publikum umjubelt.

Polina in Hassliebe zu Alexej verbunden, mit Blondhaar-Perücke, attraktiv im freizügig schwarzen Outfit als Venus im Pelz avanciert sie zur Augenweide. Ludmila Slepneva formt diese unglückliche Frau in berührend-bewegender Systematik zur Psycho-Studie. Obwohl erkältet und hustend schenkt die herausragende Sängerin  dieser Figur gesanglich alle Nuancen zwischen Arroganz, Sehnsucht, Hysterie dank ihres ansprechenden Soprans in bester Präsenz.

Ludovica Bello zeichnet mit ansprechenden Mezzotönen die ebenso optisch hinreißend-attraktive Blanche. Parodistisch skurril pointiert Edna Prochnik die spielfreudige Babuschka und verlieh der dominanten Persönlichkeit  gewöhnungsbedürftige schrille Töne.

Imponierend tiefe Bassfrequenzen jedoch nicht immer einschmeichelnd im Ohr  charakterisierte  Sebastian Pilgrim in akzentuierter Präsentation den General a.D. Schönstimmiger kam Nikola Diskic daher und verlieh dem Mr. Astley baritonal-prägnante Züge. Mit leichtgewichtigem Tenor versah Ziad Nehme den zwielichtigen Marquis.

Mit teils ansprechenden Vokalbeiträgen trugen u.a. Christoph Wittmann (Fürst Nilskij/Groupier), Valentin Anikin (Potapitsch/alter Spieler), Stephan Somburg (Würmerhelm/Casinodirektor) in der Vielzahl der Nebenrollen, den nicht unkomplizierten Interventionen der Spielaktionen bei.

Mit Bravorufen, minutenlangem Applaus feierte das Publikum besonders Slepneva, Prochnik, Zurabishvili, Pilgrim sowie Seidlmeier und das Orchester.

In Folge stellte Tilman Knabe im NT seine Fähigkeiten als ausgezeichneter Regisseur (vom Lohengrin-Ausrutscher abgesehen) unter Beweis. Wiederum verstand es Knabe die vielschichtigen Charaktere der Protagonisten vielfältig und höchst differenziert umzusetzen.

Beklemmend facettenreich zeichnet er ein Sittenbild zwischen Gegenwart sowie rückwirkend den Urknall zur Katastrophe des ersten Weltkrieges. Beschreibt eine zerstörte Welt, portraitiert unmenschliche Kreaturen nur noch beherrscht vom Mammon dennoch behaftet aller Regungen der menschlichen Natur, gleich welcher Art.

Dank großartiger Video-Licht-Adaptionen (Bernard Häusermann) entstehen Bilderfrequenzen von ungeheurer Suggestion, Halluzinationen der Alkohol- oder Drogenexzesse des Generals oder Alexejs. Geradezu apokalyptisch beschwört Knabe eine gewisse surreale Endzeitstimmung, grotesk bereichert mit dem spektakulären Auftritt der alten Generals-Tante im Sänftenstuhl, getragen von Lakaien. Unwillkürlich fragt sich der Betrachter hat ein Regisseur dieses Formats es nötig,  negative verstörende Aktionen wie Urinieren, Verrichtung der Notdurft optisch zu präsentieren ohne jeglichen Bezug zu Text und Handlung? Zur Krönung darf sich Alexej mit dem  Ergebnis ein Makeup auflegen sowie seine Mitstreiter bekleckern.  Dienen derartige Obszönitäten lediglich dem Ausleben unbewältigter Neurosen des Erfinders, um so das Honorar eines Psychiaters zu sparen ???

Kommen wir zurück „in die Bar zum Krokodil“! Johann Jörg schuf das einheitliche Bühnenbild zur Optik eines heruntergekommenen Etablissements mit drei Bartheken, darüber eine kleine Plattform für Striptease, ein Glasdach mit zerbrochenen Scheiben,  jede Menge Türen, die hintere krönt ein Krokodilrelief, drei (ferngesteuerte) Riesenechsen bevölkern den Boden, schäbige Sitzmöbel hinten, seitlich sowie im linken Vorderbereich, davor hausen zwei Clochards kiffen und saufen. Äußerst realistisch die Präsentation des Gesamtkonzepts, wenngleich mit leicht bitterem Nachgeschmack.

Das Premieren-Publikum nahm alles ohne ein einziges Buh gelassen hin.

Gerhard Hoffmann

 

 

 

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