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MAILAND/ Teatro alla Scala: I DUE FOSCARI

14.03.2016 | Oper

Mailand: “I DUE FOSCARI” – Teatro alla Scala, 1. und 4. März 2016


Francesco Foscari – Foto: Marco Brescia & Rudy Amisano, Teatro alla Scala

Mit der Produktion von „I Due Foscari“ an der Scala scheint Alvis Hermanis seinem Ziel, der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts zu werden, beachtlich näher gekommen zu sein. Deckmäntelchen für die Einfallslosigkeit war, dass er alles an den historischen Gemälden „aufgehängt“ hatte, auch die Kostüme (Kristīne Jurjānje) waren zumindest teilweise sehr nah an diesen Vorbildern. Obwohl das Bühnenbild mit nur wenigen Requisiten auskam und aus mobilen Wänden und Prospekten mit den darauf projizierten historischen Gemälden, Gebäuden, Landschaften (Video: Ineta Sipunova) bestand, gab es viel zu viele Lichtpausen. Seiner Vorliebe für verschiebbare Bilder (à la „Trovatore“ in Salzburg 2014) frönte der Regisseur unter anderem, indem er in einer Szene das Tapetenmuster an den Wänden nach oben laufen ließ. Mir wurde ganz schwindlig! Bot schon das Bühnenbild nicht viel Abwechslung, so waren auch die Kostüme der Dieci und des Chors (inklusive eines spastisch agierenden Bewegungschors) in Rottönen gehalten, wobei sich aber die wichtigen Personen (Loredano, Barbarigo) viel zu wenig abhoben, ihre Stellung kam in keiner Weise heraus. Es war zwar alles schön anzusehen, entbehrte aber jeglicher Dramatik. Man kam gar nicht auf die Idee, was für ein schreckliches Regime die Dieci führten, welche Gräueltaten in den Kerkern passierten. Die hinterlistige Idee, dass der Text, den die Dieci und der Chor sangen, im krassen Gegensatz zu deren Taten stand, konnte man nur erahnen. In dieser Art ging es durch die ganze Vorstellung. Hermanis verschenkte reihenweise Möglichkeiten, die zur Charakterisierung der Personen hätten dienen können.

Leidtragende waren die Sänger, denen es teils sehr schwer gemacht wurde, auch als Darsteller zu agieren.

Am meisten litt sicher Francesco Meli als Jacopo Foscari darunter. Ohnehin kein geborener Schauspieler, immer mehr Sänger als Darsteller, wurde er schon bei seinem ersten Auftritt zum Herumstehen verdammt. Ein großer „Wanderstab“ sollte offenbar das Ruder eines Gondoliere versinnbildlichen!? Während seiner Arie staksten sinnloserweise ein paar Tänzer in peinlicher Kostümierung mit gestreiften Strumpfhosen/Bundhosen mit einem sehr eigenartigen Schritt herum. Sollten sie Gondoliere darstellen und so den Schauplatz „Venedig“ symbolisieren? Total sinnentleertes Agieren. Schließlich noch von Wächtern (eigentlich waren es die Ballett-Gondoliere!) festgehalten, konnte er sich gar nicht mehr bewegen. Dass er dabei auch noch wie aus dem Ei gepellt aussah, widersprach total dem, was er zuvor im Kerker erlebt haben musste. Melis Kurzhaarschnitt passte eigentlich auch nicht in die Zeit, vor allem, als man später das projizierte Bild mit dem langhaarigen Jacopo bei seiner Verbannung sah.

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Gemälde von Francesco Hayez

Schuf die Lichtregie von Gleb Filshtinsky immer wieder durchaus stimmungsvolle Bilder, so gelang das bei Jacopos Szene im Kerker zu Beginn des 2. Akts kaum. Von „Notte! … perpetua notte che qui regni!“, konnte nicht wirklich die Rede sein. Jacopo war von mehreren geflügelten Markuslöwen umringt, die offenbar als Tarnung für spionierende Wächter dienten, denn sie wurden – wie könnte es bei Hermanis anders sein – von sich dahinter verbergenden Männern (in den Roben der Dieci) in der Gegend herumgeschoben. Auch das ergab überhaupt keinen Sinn.

Stimmlich machte Francesco Meli einen etwas zwiespältigen Eindruck. Konnte er in den Pianophrasen und im Bereich bis zum hohen g sein schönes Timbre zeigen, auch geschmackvoll phrasieren, so wurde die Stimme ab dem a eng, sie ging gar nicht auf, klang angestrengt und wies ein etwas beunruhigendes, (für sein junges Alter!) langsames Vibrato auf. Mich erinnerte die Stimme in diesen Passagen an José Carreras, als er anfing, mit Beginn der 80er Jahre dramatischere Partien zu singen, seine Leichtigkeit verlor und angestrengt klang. Ich hoffe sehr, dass Francesco Meli nicht die Flexibilität zu früh verliert, immerhin ist er ja inzwischen zu einem gefragten Verdi-Tenor geworden. Vielleicht sollte er sich ein wenig einbremsen.

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Doge, Jacopo, Lucrezia im Kerker – Foto:Marco Brescia & Rudy Amisano

Auch die Scala-Debütantin Anna Pirozzi als Lucrezia Contarini litt unter der mangelnden Personenführung. Ab der 2. Vorstellung (die Premiere wurde live auf ServusTV übertragen) konnte sie sich ein wenig vom Diktat des Regisseurs lösen, was nicht unwesentlich durch Plácido Domingo als Giacomo Foscari erleichtert wurde. Es wurde bedeutend mehr interagiert als noch bei der Premiere. Anna Pirozzi ist mit ihrer doch etwas dramatischeren Sopranstimme nicht unbedingt eine geborene Lucrezia, sie schaffte aber die Koloraturen recht gut, wurde nicht scharf und konnte – als die Premierennervosität weg war – insgesamt eine sehr gute Leistung erbringen. Das Publikum belohnte sie mit Szenenapplaus und Bravo-Rufen, was sie nach dem Premierenschock – es gab ein paar vereinzelte, hartnäckige, aber wirklich ungerechtfertigte Buhs am Schluss – sichtlich freute und aufleben ließ.

Am wenigsten unter der regielichen Einfallslosigkeit litt Plácido Domingo. An den Szenen des Dogen lässt sich regiemäßig sowieso nicht viel herumbasteln, da entscheidet der Sänger im Wesentlichen selbst. Außerdem sind es vor allem Ensembleszenen, die schon von vornherein mehr Aktion ermöglichen. Sobald er auftrat, „tat sich etwas“. Schon zu Beginn der Ouvertüre war er auf der Bühne: Wie eine aus Stein gemeißelte Skulptur kniete er vor dem Markuslöwen, genau nach dem Bild des Bühnenvorhangs. Dabei drückte er hier bereits die ganze Qual des Dogen aus, alt und gramgebeugt schleppte er sich schließlich hinaus. Domingo war in Topform und konnte so ganz wesentlich die Intensität auch in den Duetten mit Lucrezia und Jacopo steigern. Die lange Schluss-Szene geriet wieder zu einem unglaublich aufregenden Erlebnis. Da verblasste jeder neben ihm, seine enorme Bühnenpräsenz dominierte alles. Ob nun Bariton oder nicht, wurde wie immer völlig nebensächlich. Er gehört zur raren Spezies der Darsteller, bei denen man vergisst, dass gesungen wird. Mit einer schon fast beängstigenden Selbstaufgabe durchlebte er das tragische Schicksal dieses unglücklichen Dogen. Die unnachahmliche Träne in der Stimme war von Anfang an vorhanden, das schreckliche Dilemma, in dem er sich als machtloser Doge befand, wurde stimmlich hörbar. Diese Szene gehört wohl zu den eindrucksvollsten unter den vielen großartigen Schluss-Szenen, die er in seiner langen Karriere gestaltet hat.

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Schluss-Szene, Francesco Foscari, Jacopo Loredano – Foto: Marco Brescia & Rudy Amisano

Die Rolle des Widersachers Jacopo Loredano ging ein wenig unter. Andrea Concetti sang zwar gut, hob sich aber weder durch große Präsenz noch Aktion besonders ab, da fiel mir sogar die noch kleinere Rolle des Barbarigo (Edoardo Milletti) mehr auf. Pisana (Chiara Isotton) machte das Beste aus ihrem kurzen Auftritt und ließ eine angenehme Sopranstimme hören. Stichwortsänger waren mit Solisten aus der Accademia di Perfezionamento per Cantanti Lirici gut besetzt.

Der Chor hätte ein wenig wortdeutlicher sein können, besonders zu Beginn. Die Männerchöre erklangen mit Inbrunst. Leider wurde der Chor zum Herumstehen oder Sitzen verdammt, denn ein „Bewegungschor“ ersetzte höchst irritierend mit spastischen Bewegungen oder als Gondoliere (mit viel Fantasie als solche erkennbar) die Aktionen des Chors. Die Szene des venezianischen Festes geriet denn auch absolut unlustig, von Witz und Humor hat Hermanis noch nie etwas gehört, noch weniger von Shakespeares „comic relief“, wobei dies ohnehin die einzige Szene wäre, in der man die fast unerträgliche Tragik vergessen könnte. Über die Choreographie von Alla Sigalova will ich nur mehr den Mantel des Schweigens breiten, sie sah dilettantisch aus und diente überhaupt keinem Zweck, außer dem, zu verärgern! Wieso Hermanis in der Gerichtsszene die Dieci, die in der ersten Reihe saßen,  durch blutjunge Tänzer des Bewegungschors (Studenten der Ballettschule der Scala!) darstellen ließ, entbehrte jeglicher Logik und sah auch äußerst komisch aus!

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Gerichtsszene: Doge, Jacopo, Lucrezia, Pisana, Kinder, Dieci – Foto: Marco Brescia & Rudy Amisano

Der junge Maestro Michele Mariotti leitete das Orchester mit großer Umsicht, wählte immer die richtigen Tempi, die dem Fluss der Handlung und den Sängern zugute kamen. Dramatik wurde hier durch Intensität und nicht durch gehetzte Tempi oder übergroße Lautstärke erzielt, die Sänger konnten sich ganz auf ihn verlassen.

Dass trotz dieser faden, nichtssagenden Inszenierung, die zwar schöne Bilder bot, aber dem Stück in seiner Dramatik überhaupt nicht gerecht wurde, ein großer Erfolg verbucht werden konnte, lag einzig an der musikalischen Qualität der Aufführung. Nachdem es in der Premiere kaum Szenenapplaus gegeben hatte, wurde dieser nun für alle häufig gewährt. Am Schluss wurden Maestro Mariotti, Francesco Meli und Anna Pirozzi ausgiebig beklatscht, den Löwenanteil des Applauses und der Bravi heimste aber zweifellos und gerechterweise Plácido Domingo mit seiner aufregenden und zutiefst berührenden Darstellung ein. Ohne ihn wäre es wohl ein etwas „müder“ Abend geworden.

Margit Rihl

 

 

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