Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MAGDEBURG/ Pauluskirche: „MATTHÄUSPASSION“ VON GEORG PHILIPP TELEMANN

31.03.2021 | Konzert/Liederabende

Magdeburg / Pauluskirche: „MATTHÄUSPASSION“ VON GEORG PHILIPP TELEMANN 30.3.2021

Ostern – und wegen Corona schon im zweiten Jahr in Folge keine „Matthäuspassion“ von J. S. Bach, die zur festen Tradition gehört, live zu erleben, weder in der Dresdner Kreuz- noch Frauenkirche oder sonst irgendwo.  Da freut man sich über eine „Matthäuspassion“ von Georg Philipp Telemann aus dessen Geburtsstadt Magdeburg als Übertragung im Rundfunk (mdr Kultur), aufgenommen ohne Publikum am 13.3., einen Tag vor seinem Geburtstag in der Pauluskirche, wo jedes Jahr eine andere Passion von ihm aufgeführt wird. Die Auswahl fällt nicht schwer oder gerade doch, weil Telemann in den 46 Jahren seiner Amtszeit als Musikdirektor in Hamburg, wo er auch die Oper leitete, sehr produktiv war und jedes Jahr eine neue Passion nach einem der vier Evangelisten – immer im Wechsel – geschrieben hat. Sein Einfallsreichtum war so groß, dass es keine Wiederholungen gibt.

In diesem Jahr wurde die Matthäuspassion“ (TVWV 5:43) von 1756 aufgeführt, die gleiche, mit der vor 30 Jahren die Aufführungen der Telemann-Passionen in der Pauluskirche unter der Leitung von Michael Scholl begannen, ein Alterswerk des 75jährigen Telemann, das schon in eine neue Richtung, die Frühklassik, weist und durch französische und italienische Einflüsse und ungewöhnliche harmonische Effekte sehr modern wirkt. Da ist der Vergleich mit Bachs Passionsvertonungen naheliegend. Es gibt Parallelen und Gegensätze – schließlich waren beide Komponisten befreundet, standen in regem Kontakt und tauschten kompositorische Erfahrungen aus. Sie waren aber auch Persönlichkeiten mit sehr eigenen individuellen Vorstellungen.

Telemanns „Matthäuspassion“ unterscheidet sich  von der Bachs schon durch ihre nur knapp anderthalbstündige Dauer. Sie ist weniger von barocker Opulenz, als vielmehr von Schlichtheit und einer innigen Tonsprache geprägt, aber in ihrer Wirkung ebenfalls ergreifend. Es gibt weniger große, reichlich verzierte Arien, weniger emotionales Verharren in bestimmten Situationen wie bei Bach, aber sehr gesangliche Melodien und einfallsreich eingesetzte Klangfarben. Das Orchester ist klein, nur mit Streichern, einer Flöte und einer Oboe besetzt, aber dennoch ausreichend.

Die Handlung ist gestrafft, geradlinig und unmittelbar verständlich musikalisch in Szene gesetzt, umrahmt von Chören und Chorälen in schlichtem Satz und ohne die reichen Verzierungen, die durch dezente Untermalung die Choräle in den Bachschen Passionen so einmalig machen. Das in Bachs „Matthäuspassion“ berühmte, vom Chor mit einem Wort einhellig geforderte, vernichtende „Barabam“ wird bei Telemann von einem aufgeregt singenden Volkschor gefordert (in Bachs „Johannespassion“ übrigens auch, da aber mit enormer Dramatik).

Die Evangelistenpartie ist bei Telemann ziemlich ungewöhnlich einem Bariton/Bass anvertraut. Die Christusgestalt wirkt weniger weltfern verklärt, sondern trägt sehr menschliche Züge. Es ist eine andere Sicht, aber durchaus beeindruckend. Bei den beiden Bassisten Matthias Vieweg und Andreas Beinhauer waren diese beiden entscheidenden Rollen in guten Händen, stimmlich ausgewogen und mit klarer Artikulation und guter Textverständlichkeit. Sie verstanden es, sich im richtigen Gleichgewicht zwischen Würde und verhaltener Dramatik zu bewegen. Der Abschied des Christus wirkte anrührend und bewegend, schmerzlich und würdevoll zugleich. Die Situation der Todesstunde, bei der eine „Finsternis über das ganze Land“ hereinbrach, wurde vom Evangelisten sehr anschaulich unter anderem mit einem sehr feinen pianissimo geschildert.

Die in diesem Fach viel gefragte Heidi Maria Taubert verlieh der Aufführung mit ihrer klaren, schwerelos schwebenden Stimme und bewegendem Ausdruck den nötigen Sopran-Glanz, bei der ersten Arie mit schöner Flötenbegleitung. Die Vokalsolisten waren erfahrende Oratoriensänger in der besten Tradition zwischen Sachlichkeit, Dramatik und Würde, zu denen auch Jonathan Mayenschein, Altus und Michael Zabanoff, Tenor gehörten, die sich gut in das Gesamtgeschehen einfügten. Den kleinen, stilsicheren Chor bildeten Mitglieder des Kammerchores der Biederitzer Kantorei. Sie brachten die schlichten Chöre und Choräle zügig, aber ohne übereilt zu wirken, in  schöner Klarheit zur Wirkung. Die instrumentalen Aufgaben erfüllte das kleine Orchester von Märkisch Barock.

Alle Beteiligten steigerten sich unter der umsichtigen und stilsicheren Leitung von Michael Scholl in die Musik und ihre Aufgaben hinein, so dass es eine klanglich und gestalterisch ansprechende, im Verhältnis zu Bachs groß besetzten Passionen fast „kammermusikalische“, aber dennoch vollwertige Passion „in kleinerem Maßstab“ wurde, die in ihrer klanglich ausgewogenen Schönheit, gestrafft und spannungsreich, einmal eine Telemannsche Passion zu Ostern in den Fokus rückte.

 

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken