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LUZERN/ Theater: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN von Jacques Offenbach. Neuinszenierung

Man muss es nehmen, wie es kommt

21.04.2019 | Operette/Musical


Foto: Youtube

Jacques Offenbach Die Grossherzogin von Gérolstein, Theater Luzern, Vorstellung: 20.04.2019

(2. Vorstellung; Premiere am 13.04.2019)

Man muss es nehmen, wie es kommt

Finale Erkenntnis der «Grossherzogin von Gérolstein» ist, dass, in der Liebe wie im Krieg, man es nehmen muss, wie es kommt. Selbiges gilt auch für den Kritiker und gerade dann, wenn ein Theater improvisieren muss, damit der Vorhang pünktlich hochgehen kann. So geschehen am Luzerner Theater in der zweiten Vorstellung von Offenbachs Grossherzogin. Marina Viotti konnte krankheitsbedingt die Partie nur auf der Bühne spielen und so unterbrach Maren Engelhardt (Ensemble Staatstheater Kassel) ihren Osterurlaub um den Gesangspart zu übernehmen und Caterina Cianfarini (Regieassistenz und Abendspielleitung) übernahm die Sprechpassagen. Kompliziert wurde das Ganze dadurch, dass das Luzerner Theater auf der Basis der Kritischen Edition von Jean-Christophe Keck eine eigene, bilingue Fassung (deutsch fürs Private, Französisch für die hohe Politik) erarbeitet hat, Maren Engelhardt eine deutsche Übersetzung hörbar älteren Datums im Repertoire hat. Der Abend in dieser Konstellation, so die Dramaturgin Johanna Wall (gute, nicht vom Blatt abgelesene Werkeinführung!), sei auch für das Luzerner Theater eine Premiere.

Regisseur Lennart Hantke hat für seine Inszenierung in Luzern eine „Raumtheaterlösung“ gewählt: nur so könne das Stück so nah und direkt werden, wie er sich das vorstelle. Das Luzerner Theater, ein 1838 bis 1839 von Louis Pfyffer von Wyher errichtetes Hufeisentheater, wurde dazu in ein neobarockes Theater aus der Entstehungszeit der Operette umgewandelt (Bühne: Natascha von Steiger). Der Zuschauerraum hat dazu Ornamente und neue Lüster (der originale Deckenlüster wurde 1924 beim Grossbrand zerstört) erhalten und eine Fürstenloge, damit die Grossherzogin der Aufführung standesgemäss beiwohnen kann. Der Chor sitzt seitlich in der ersten Reihe des ersten Rangs. Die Seiten des Portals wurden verkleidet und mindestens auf der rechten Seite ist so die Leiter kaschiert, die den direkten Zugang aus dem ersten Rang auf die Bühne ermöglicht. Die Bühne selbst bleibt Bühne, es wird mit drei Vorhängen, einer Spiegelwand und einigen wenigen Versatzstücken gearbeitet.

Mit der Raumtheaterlösung gelingt es Hantke die Handlung sanft zu aktualisieren. In der Politik wird gerne über die Köpfe der Betroffenen, die hier im Parkett sitzen, hinweg entschieden. Diese dürfen dann nur noch applaudieren. Und jeder kämpft, ohne Rücksicht auf Verluste, darum, sein Stück vom Kuchen zu behalten. Die Angst des verlustgeplagten Mittelstands wird hier in den Figuren von General Bumm und Baron Puck greifbar. Sie zetteln einen Krieg an, um die Grossherzogin vom Eingreifen in die Politik (und davon ihre Positionen zu gefährden) abzuhalten. Heute wird genauso ohne Rücksicht auf Verluste gekämpft.

Ebenso gelingt es Hantke, die Beziehung zwischen Fritz, Wanda und der Grossherzogin. Fritz hat hier die Wahl zwischen der Frau, die ihm wahre Liebe geben kann, und der Frau, die ihm alles andere verschaffen kann. Fritz macht im Lauf der Operette eine Entwicklung durch und merkt wohl auch, dass die Grossherzogin ihm oberflächlich alles verschaffen kann, letztlich aber, um in der Sprache des Krieges zu bleiben, zwischen den Fronten aufgerieben wird. Sie verliert, wohingegen auf der eine Seite Fritz und Wanda, auf der anderen Seite Bumm und Puck die Gewinner sind.

Die angemessen schrägen Kostüme von Elke von Sivers lassen die Karikatur der Entstehungszeit wunderbar zur Geltung kommen: General Bumm hat reichlich Orden und Klimmbimm, den er verliert und wiederbekommt und die übrigen Hauptfiguren sind in ihren Rollen ebenfalls ohne Probleme zu erkennen. Der Chor bildet eine modische Brücke von Offenbachs Zeiten in die Gegenwart.

Alexander Sinan Binder wählt für sein Dirigat eher gemächliche Tempi, ohne aber in Behäbigkeit oder Langeweile zu verfallen. Das Luzerner Sinfonie-Orchester ist schmissig, wo das Militärische gefragt war, kostet aber auch die lyrischen Momente wunderbar aus.

Marina Viotti, die an diesem Abend leider nur spielen konnte, debütiert an der früheren Wirkungsstätte (1987–91 Musikdirektor und musikalischer Oberleiter) ihres früh verstorbenen Vaters in der Rolle der Grossherzogin. Maren Engelhardt übernimmt den Gesangspart und Caterina Cianfarini den Sprechpart. Engelhardt hat wie schon erwähnt offenbar eine ältere deutsche Übersetzung im Repertoire. Ob sie auch Französisch sang, war leider nicht festzustellen. Cianfarini hat ihren Part, Deutsch und Französisch, perfekt gesprochen, aber leider hat ihre Stimme nicht wirklich getragen. Von ihr hätte man als Regieassistentin und Abendspielleiterin eine Aufstellung der Pulte erwarten dürfen, wo sie Bühne, Fürstenloge und Dirigenten ohne körperliche Verrenkungen im Blick gehabt hätte. Robert Maszl lässt als Fritz seinen wunderbaren, hellen Tenor hören und überzeugt wie seine Partnerin, Diana Schnürpel als Wanda, auf ganzer Linie. Christian Joel und Vuyani Mlinde bewerben sich stimmprächtig, aber erfolglos um die Grossherzogin. Jason Cox gibt einen Operetten-General wie aus dem Bilderbuch und Maximilian von Lütgendorff ist als Baron Puck stark präsent.

Die Kollektive von Chor des Luzerner Theaters (Einstudierung: Mark Daver) und Statisterie tragen wesentlich zum angenehmen Abend bei.

So macht Operette Freude! Ein würdiger Beitrag zum Offenbach-Jubiläumsjahr!

Weitere Aufführungen: Sa 27.04., 19.30; Do 02.05., 19.30; Sa 04.05., 20.00; Mo 06.05., 19.30;

Sa 11.05., 19.30; Mi 22.05., 19.30; Di 04.06., 19.30; Mo 10.06., 17.00; Mi 12.06., 19.30.

21.04.2019, Jan Krobot/Zürich

 

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