Sehenswerte Opernrarität in Luzern: „Satyricon“ von Bruno Maderna (Premiere: 23. 2. 2013)
Das Luzerner Theater bot für „Satyricon“ von Bruno Maderna ein ausgewogenes Sängerensemble auf – von links: Carlo Jung-Heyk Cho, Dana Marbach, Madelaine Wibom, Patrick Zielke, Marie-Luise Dressen und Carla Maffioletti (Foto: Ingo Höhn)
Mit einer sehenswerten Opernrarität wartet das Luzerner Theater auf: „Satyricon“ von Bruno Maderna. Dieses kaum mit einer anderen Oper vergleichbare Werk in verschiedenen Sprachen, dessen Libretto der Komponist gemeinsam mit Ian Strasfogel nach der „Cena Trimalchionis“ aus „Satyricon“ von Titus Petronius verfasste, wurde 1973 in Scheveningen uraufgeführt und zeigt den sittlichen Verfall und die Dekadenz einer satten Gesellschaft. Mit dieser Oper wollte der Komponist Parallelen seines Landes zum Römischen Imperium aufzeigen – und sie hat im Grunde nichts an Aktualität verloren!
Bruno Maderna (geb. 1920 in Venedig, gest. 1973 in Darmstadt), der schon früh das Violinspiel lernte, galt als Wunderkind. Er studierte in Rom und Venedig Komposition, machte sich ab 1950 als Dirigent einen Namen (er leitete u.a. die Uraufführung von Luigi Nonos „Intolleranza“) und leitete von 1958 bis zur Auflösung 1967 das Internationale Kammerensemble Darmstadt. Er unterrichtete an mehreren Konservatorien, darunter auch am Mozarteum Salzburg. Im Jahr 1972 avancierte er zum Chefdirigenten des Orchestra sinfonica della RAI in Mailand. Er komponierte einige Opern (u. a. „Hyperion“, „Don Perlimplin“, „Von A bis Z“), kurz nach der Uraufführung seiner letzten Oper „Satyricon“ erlag er einem Krebsleiden.
Der Inhalt der Oper, die 30 kurze Szenen umfasst, in geraffter Fassung: Trimalchino, ein ehemaliger Sklave, der nach vierzehn Jahren mühsamer Dienstfertigkeit – auch auf erotischem Gebiet – die Freiheit erhielt und inzwischen selbst zum „Herrn“ avancierte, gibt ein Gastmahl, auf dem er seinen Gästen von seinen Taten berichtet und mit seinem Besitz prahlt, zu dem er auch seine Frau Fortunata zählt. Der Champagner fließt und Austern werden maßlos verspeist – es ist eine nicht enden wollende Völlerei. Trotz der kulinarischen Gelüste bleibt der Tod immer präsent, denn Trimalchino kokettiert auf skurrile Weise mit ihm, indem er am Schluss eine Generalprobe seines Ablebens inszeniert.
Der Komponist konzipierte sechzehn in sich geschlossene Musiknummern und fünf Tonbandzuspielungen von Klang- und Geräuschcollagen, die in unterschiedlicher Reihenfolge präsentiert werden können – je nach Belieben von Dirigent und Regisseur. Dazu ein aufschlussreiches Zitat aus dem im Programmheft veröffentlichten Gespräch des Wiener Regisseurs Johannes Pölzgutter mit dem Dramaturgen Dr. Christian Kipper, der auch die Einführung zur Oper vor der Premiere gab: „Die Musik übernimmt den fragmentarischen Stil. So blitzen immer wieder halb angespielte bekannte Melodien aus der ganzen Musikgeschichte auf. Dadurch entsteht eine komische, fast comic-artige Collage, die das Treiben der Figuren konterkariert. Durch die Bandbreite an Stilen und Epochen kann man die Handlung nicht zeitlich verorten. Auch sprachlich hüpft das Werk wild zwischen Englisch, Deutsch, Französisch, Latein und Italienisch hin und her. Die Personen, die wir sehen, könnten zu jeder Zeit und an jedem Ort sein, womit Maderna die Aktualität der antiken Dichtung noch unterstreicht.“
Johannes Pölzgutter, der die Reihenfolge der Szenen änderte, ließ seine Inszenierung, die sich durch eine exzellente Personenführung auszeichnet, im 21. Jahrhundert spielen, wobei er keine Karikaturen auf die Bühne stellte, sondern dekadente Menschen, die über Geld, Freiheit und Liebe sprechen, aber auch mit dem Tod konfrontiert werden. Als besonderen Kontrapunkt zum üblichen Geschehen auf dem Fest setzte er die Szene, in der Habbinas die berühmte Geschichte der Witwe aus Ephesus erzählt, die vor der Entscheidung steht, entweder um ihren verstorbenen Ehemann zu trauern oder ihr Leben mit einem jungen Soldaten zu genießen und sich letztlich dafür entscheidet.
Das ästhetisch gehaltene Bühnenbild von Werner Hutterli zeigt einen sterilen Raum, in dem mehr Wert auf Sauberkeit als auf Überfluss gelegt wird. Einzige Requisiten sind eine Badewanne und ein schwarzer Lederfauteuil. Elegant sind auch die Kostüme von Axel E. Schneider: extravagante Abendroben für die Damen und Festgewand für die Herren. Für die Lichtregie war Gérard Cleven zuständig. Leider hatte die oft grelle Beleuchtung den Nachteil, dass die Übertitel kaum lesbar waren. Eine hellere Schrift oder ein wenig mehr gedämpftes Licht auf der Bühne wäre fürs Publikum nützlicher gewesen.
Das ausgewogene Sängerensemble stattete die einzelnen Figuren mit subtilem Humor aus und spielte des Öfteren mit anzuerkennender Selbstironie. Der koreanische Tenor Carlo Jung-Heyk Cho gab als Gastgeber Trimalchio einen eitlen Parvenü, dem immer wieder Verdauungsbeschwerden quälen. Zum Triumphmarsch aus Verdis „Aida“ prahlte und soff er, wobei er mit seiner kräftigen Stimme Teile aus Arien schmetterte. Seine Frau Fortunata wurde von der deutschen Mezzosopranistin Marie-Luise Dressen mit herrlicher Komik gespielt. Köstlich die Szene, in der sie den Dichter Eumolpus mit einem Tango, der Carmens Auftritts-Habanera zitiert, zu verführen trachtet. Dass dieser – eindrucksvoll dargestellt vom deutschen Bass Patrick Zielke – mehr der Völlerei huldigt und lieber über den Aufstieg und Fall des römischen Imperiums sinniert, war ihr Pech.
Die schwedische Sopranistin Madelaine Wibom trug als Habinnas eine Eloge auf das Geld vor und hatte mit der Erzählung der Witwe aus Ephesus den größten zusammenhängenden Part des Abends. Die Rolle der Criside, deren Text sich auf den zweimaligen Vortrag von „Love’s Ecstasy“ beschränkt, war bei der israelischen Sopranistin Dana Marbach in besten Händen. Eine besondere Leistung wurde der brasilianischen Koloratursopranistin Carla Maffioletti abverlangt, die als Scintilla extrem hohe Vokalisen zum Besten geben musste, was sie mit Bravour schaffte. Der amerikanische Bariton Todd Boyce hatte die kleine Rolle des Niceros inne, der schon in der zweiten Szene erschossen wird.
Das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Michael Wendeberg konnte seine Qualitäten nicht nur bei der Wiedergabe der Partitur von Maderna, sondern auch bei den vielen klassischen Zitaten aus Werken von Verdi, Bizet, Offenbach, Puccini, Sousa, Tschaikowsky und Gluck unter Beweis stellen. Den Lohn erhielt es am Schluss der Vorstellung, als der Dirigent alle Musiker auf die Bühne bat: das Publikum überschüttete das Orchester und den Dirigenten sowie das Sängerensemble und das Regieteam minutenlang mit Beifall. Einen Bravoruf gab es für die schmächtige Koloratursopranistin Carla Maffioletti!
Udo Pacolt, Wien – München