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LÜTTICH: STRADELLA von César Franck

26.09.2012 | KRITIKEN, Oper

Wiedereröffnung der Opéra Royal in Lüttich mit Rarität: „Stradella“ von César Franck (Vorstellung: 25. 9. 2012)



Kreative Lichteffekte sorgten für reizvolle Bilder (Foto: Opéra Royal de Wallonie, Liège)

 Die Wiedereröffnung der mehr als drei Jahre dauernden Reparaturarbeiten der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich fand mit einer besonderen Rarität statt: mit der Oper „Stradella“ des in Lüttich geborenen Komponisten César Franck. Das Werk, das er als Fünfzehnjähriger schrieb, wurde 1844 in Paris in einer Klavierfassung uraufgeführt, geriet aber danach in Vergessenheit. Um die Wiedereröffnung des prächtig restaurierten Hauses gebührend zu feiern, wurde der flämische Komponist Luc Van Hove beauftragt, die Partitur Francks zu orchestrieren, sodass nun die Oper erstmals szenisch aufgeführt werden konnte. Das Programmheft nannte die Produktion deshalb Création mondiale.

 Im Zentrum der Oper steht eine abenteuerliche Episode aus dem Leben von Alessandro Stradella, der 1682 in Genua einem Mordanschlag zum Opfer fiel, weil er ein Mädchen aus besseren Kreisen verführt hatte. Im heurigen Jahr scheint man sich des italienischen Barockkomponisten des Öfteren zu entsinnen, brachte doch das Stadttheater Gießen Flotows Oper Alessandro Stradella zur Aufführung und José Carreras sang bei seinem Liederabend am 30. August im Rahmen der Salzburger Festspiele im Haus für Mozart sein Lied „Pietà, Signora“.

Die Handlung der dreiaktigen Oper, deren Libretto Emile Deschamps und Emilien Pacini verfassten, in Kurzfassung: Im festlichen Trubel des Karnevals von Venedig lässt der Herzog von Pesaro die schöne Léonore von seinem Leutnant Spadoni entführen. Um ihre Liebe zu gewinnen, engagiert er den berühmten Sänger und Komponisten Stradella als Gesangslehrer für sie. Allerdings weiß der Herzog nicht, dass Stradella und Léonore schon seit einiger Zeit ineinander verliebt sind. Stradella gelingt es, Léonore aus dem Palast des Herzogs zu befreien und mit dem Mädchen nach Rom zu fliehen. Der wutentbrannte Herzog beauftragt Spadoni, die beiden zu verfolgen und Stradella töten zu lassen. Doch Stradellas Musik hält die beiden gedungenen Mörder von der Bluttat ab. Schließlich hat auch der Herzog ein Einsehen und gibt Léonore frei.

Nicht aber in der Inszenierung von Jaco Van Dormael, der den Schluss der Oper änderte. Zuerst versinkt die sterbende Léonore im Wasser (Herzattacke? Oder aus Erschöpfung vom anstrengenden Wassertreten?), dann wird auch Stradella von den beiden Banditen ermordet. Dafür gibt es für das Liebespaar eine Vereinigung im Jenseits, der auch der Herzog seinen Segen gibt.

Es scheint Mode zu werden, den Schluss eines Werks zu ändern. Ich empfinde diesen Eingriff in ein Werk als ungeheures Ärgernis. Und die Direktoren der Opernhäuser wären längst gefordert, diese Unsitte abzustellen. Dass Stefano Mazzonis di Pralafera, der Chef der Opéra Liège, vor der Wiedereröffnung des Opernhauses andere Sorgen hatte, ist nachvollziehbar. Man darf aber gespannt sein, ob auch er im Juni 2013 bei seiner Inszenierung von Gretrys Guillaume Tell Änderungen vornehmen wird!

Der Regisseur wartete aber noch mit weiteren abstrusen Ideen auf. Der Bühnenboden war so stark geflutet, dass die Darsteller bis fast zu den Knien im Wasser schreiten mussten. Was die Flucht aus dem Palast recht hilflos und komisch aussehen ließ. Und die Szene mit den gedungenen, im Wasser hin und her schwimmenden Mördern entbehrte auch nicht einer ungewollten Komik. Warum der Herzog mehrere große violette Luftballons am Mantel befestigt hatte, die über seinen Kopf baumelten, als wollte er jeden Augenblick Richtung Himmel abheben, war genauso unergründlich wie ein großer Plastikfisch, der am Ende der Vorstellung über die Köpfe des Publikums schwebte. Und warum während der Ouvertüre ein nacktes Mädchen im Wasser watend Seifenblasen entstehen ließ, die wie Illusionen zerplatzten, war ebenfalls nicht nachvollziehbar. Vom bunten Treiben des Karnevals von Venedig war hingegen in dieser Inszenierung nichts zu sehen (Dekorationen: Vincent Lemaire). Die Kostüme waren großteils in dumpfem Grau und Schwarz gehalten und durch ihre Länge für die „Wasserinszenierung“ eher ungeeignet (Entwürfe: Olivier Beriot). Allerdings ergaben sich durch die Spiegelungen im Wasser viele reizvolle Bilder, die durch gelungene Lichteffekte für eine atmosphärische Verdichtung einzelner Szenen sorgten (Beleuchtung: Nicolas Olivier). Eine optische Bereicherung war auch der riesige Spiegel, der mehrmals vom Schnürboden herabgesenkt wurde und in der Schräge einen Blick aufs Orchester und seinen Dirigenten sowie auf fast den gesamten Publikumsraum ermöglichte.

 Das Sängerensemble war fast durchwegs mit belgischen Künstlern besetzt. Die Titelrolle war bei Marc Laho in besten Händen. Der aus Lüttich stammende Tenor gab mit seiner lyrischen Stimme der Figur des Stradella das nötige Profil und gestaltete eindrucksvoll seine leidenschaftliche Liebe zu Léonore. Sie wurde von der Sopranistin Isabelle Kabatu allerdings zu dramatisch gesungen, wodurch das Romantische ihrer Rolle auf der Strecke blieb. In der Schlussszene im Wasser wurde sie von Fatou Traoré gedoubelt. Überzeugend wie immer der Bariton Philippe Rouillon, der den Herzog von Pesaro mit kräftig-markanter Stimme und herrschaftlicher Pose gab. Ebenso rollengerecht agierte der Bassbariton Werner van Mechelen als Leutnant Spadoni.

 Der Chor, der die Liebe von Léonore und Stradella in der Schlussszene zu preisen hat, mutierte aufgrund der Inszenierung zu einem Trauerchor (Leitung: Marcel Seminara). Ein Pluspunkt der Aufführung war das Orchester der Opéra Royal de Wallonie unter der Leitung von Paolo Arrivabeni, dem es gelang, die romantisch klingende Partitur des Komponisten facettenreich wiederzugeben.

 Das Publikum, das auch mit Szenenbeifall nicht geizte, belohnte am Ende alle Mitwirkenden mit lang anhaltendem rhythmischem Applaus.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

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