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LUDWIGSBURG/ Ordenssaal des Residenzschlosses: LA CRITICA von Nicolo Jommelli

21.11.2016 | Oper

La Critica“ von Niccolo Jommelli im Ordenssaal des Residenzschlosses Ludwigsburg

DIE PRIMADONNA GIBT DEN TON AN

Wiederentdeckung von Niccolo Jommellis Operneinakter „La Critica“ im Ordenssaal am 20. November 2016/LUDWIGSBURG

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Der Ordenssaal auf Schloss Ludwigsburg: Copyright: Städtische Gärten Ludwigsburg

Der württembergische Herzog Carl Eugen hatte sich im 18. Jahrhundert einen italienischen Opernkomponisten ersten Ranges an den Hof geholt – nämlich Niccolo Jommelli. In seiner 16jährigen Tätigkeit als Hofkapellmeister machte der Italiener Ludwigsburg zu einem Zentrum der europäischen Musik. Das österreichische Ensemble Concerto Stella Matutina hat Jommellis Oper „La Critica“ nun konzertant wiederentdeckt und präsentierte sie an jenem legendären Ort, an der vor 250 Jahren die Uraufführung stattfand – nämlich im Ludwigsburger Residenzschloss. Diese aufregend-atemlose Persiflage auf die Opera seria hat es in jedem Fall in sich. In „La Critica“ kommt es gar nicht zu einer richtigen Probe, weil der Souffleur einfach nicht erschienen ist. Deswegen muss der Kritiker aber trotzdem eine Rezension schreiben, denn das Personal entwickelt so eine unglaubliche Eigendynamik, die im Ordenssaal voll zur Geltung kam. Eitelkeit, Neid und Eifersucht ließen die allesamt hervorragenden Sängerinnen und Sänger Jan Petryka (Placido, Tenor), Marie-Sophie Pollak (Lesbia, Sopran) , Capucine Keller (Gioconda, Sopran), Paolo Lopez (Siface, Sopranista), Sonia Tedla (Severino, Sopran), Matteo Pigato (Acamante, Countertenor) und Mercedes Arcuri (Palmira, Sopran) in glanzvoll-explosiven Koloraturketten und eindringlicher Deklamation lebendig werden. Gleich mehrere Männer buhlen in dieser wahrhaft verwirrenden Handlung um die Gunst der Seconda-donna Gioconda, die ein sehr wählerisches Frauenzimmer ist und alle verrückt macht. Hinzu kommt, dass sich der Dirigent und Komponist Placido und der Poet und Librettist Severino heftig in die Haare geraten. Es kracht an allen Ecken und Enden, denn sie werfen sich die schlechte Qualität ihrer Kunst vor. Man will schließlich ohne Souffleur proben, weil das Orchester gut vorbereitet ist. Es entbrennt zudem eine eifrige Diskussion darüber, ob der italienische oder französische Stil nicht der bessere sei.

Unter der kompetenten Leitung von Thomas Platzgummer kommt diese reizvolle Opernpersiflage mit viel kontrapunktischem Witz und chromatischer Raffinesse daher. Duette und Terzette erinnern an die Reize der opera buffa. Es kommt immer wieder zum absurden Zweikampf zwischen Mann und Frau – mit einem für die damalige Zeit erstaunlichen psychologischen Hintersinn. Übrigens hatte Jommelli mit der Sopranistin Monica Buonani (die bei der Uraufführung die Gioconda verkörperte) ein Liebesverhältnis. Capucine Keller gab auch bei dieser Wiederaufführung des Operneinakters als Gioconda deutlich den Ton an. Sie lieferte sich mit den Instrumentalisten einen atemberaubenden Schlagabtausch, der den harmonischen Raffinessen dieser wertvollen Partitur bestens gerecht wurde. Deklamation und Begleitung stachen bei dieser gelungenen Interpretation wiederholt äusserst detailverliebt hervor. Die Arien gefielen aufgrund ihrer enormen Ausdruckskraft, auch burleske Momente fehlten nicht und wurden ausgezeichnet herausgearbeitet. Buffoneske Figuren liefen in zahlreichen Girlanden, Kaskaden und Arabesken gesanglich nur so um die Wette. Bereits drei Jahre nach der Aufführung von „La Critica“ bat Jommelli übrigens um Entlassung aus den herzöglich-württembergischen Diensten, obwohl er bei den Produktionen eigentlich freie Hand hatte. Er kehrte in seine Heimat zurück und starb im Jahre 1774 in Neapel.

Das Fazit dieses Meisterwerks lautet in jedem Fall: Was im Leben zählt, ist einzig und allein die Liebe. Zuvor beschworen alle einstimmig: „Eure Verachtung macht mich wahnsinnig.“ Thomas Platzgummer arbeitete mit dem Ensemble die farbige Buntheit des Geschehens eindringlich heraus. Die Beweglichkeit der einzelnen Stimmen wurde so in herausragender Weise betont. Da hörten alle aufeinander und es gab glücklicherweise keine Schwachstellen. Neben einem betont wuchtigen Rhythmus bestachen facettenreiche Pizzicato-Sequenzen und eine gewaltige „Windsbraut“ mit Gewitter. Lyrische Stimmungen beeindruckten hier mit einfühlsamer Melodiegestaltung, differenzierter Intonation der Holzblasinstrumente und einem harmonischen Wechsel zwischen Dur und Moll. Die Nähe zur Mannheimer Schule zeigte sich auch hinsichtlich der Lautstärkegrade.

 Zuletzt belohnten Ovationen diese ausgezeichnete konzertante Gesamtleistung im Ordenssaal. Eine schöne Hommage an den „italienischen Gluck“. Ein „Dramma comico“ der besonderen Art (Libretto: Gaetano Martinelli).

Alexander Walther

 

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