LUDWIGSBURG/ Forum am Schlosspark
HAUTNAH UND ELEKTRISIEREND
Giacomo Puccinis „Tosca“ mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe am 19. 2. 2017
Karsten Mewes, Barbara Dobrzanska. Copyright: Jochen Klenk
John Dew Inszenierung bewegt sich hier zwischen Kirchenmilieu und Gefängnisatmosphäre. Das ist durchaus spannend. Der Polizeichef Scarpia erscheint im Kardinalsgewand. So werden die Grenzen zwischen staatlicher Autorität und klerikaler Macht in raffinierter Weise verwischt. Im ersten Akt sieht man eine riesige Kathedrale, deren ungeheure Kuppel in den Himmel ragt. Dann wird alles von einem schwarzen Vorhang abgedeckt, rechts und links stehen Kirchenstatuen. Die Frauenporträts des Kunstmalers Cavaradossi sieht man in vierfacher Ausfertigung über den Bühnenhintergrund verteilt. Die Kirchenprozession mit Scarpia ist ebenfalls eindrucksvoll gelungen – wie ein Pendel bewegt sich das Weihegefäß an einer Schnur hin und her.
Der zweite Akt konzentriert sich ganz auf die gewaltige Auseinandersetzung zwischen Tosca und dem Polizeichef Scarpia. Sie ersticht ihren Widersacher schließlich wie vorgesehen mit dem Messer. Im dritten Akt sehen wir dann ein riesiges Gefängnis, in das die Sängerin Tosca schließlich eindringt, um ihren Geliebten zu befreien. Als das Erschießungskommando in Aktion tritt, sieht man wieder die riesige Kathedrale, aus der zündendes Feuer schießt. Cavaradossi fällt tot zu Boden, Tosca entdeckt zu spät, dass der Geliebte wirklich getötet wurde. Zuletzt entflieht Tosca ihren Häschern nicht wie vorgesehen, sondern wird hinterrücks erschossen. Sie springt also nicht von der Engelsburg herab.
Eine ungewöhnliche Deutung, die ebenfalls elektrisierend wirkt. Jesus wird als Statue plötzlich lebendig, steigt vom Sockel herab und geht auf die sterbende Tosca zu. John Dew will hier den revolutionären Charakter dieser Oper keineswegs unterschätzen. Und der Dirigent Daniele Squeo kommt seinen Intentionen mit der Badischen Staatskapelle und dem Badischen Staatsopernchor durchaus entgegen. Dies zeigt sich sogleich bei den wuchtigen Orchesterschlägen des ersten Aktes in der Aufeinanderfolge B-Dur, As-Dur und E-Dur. Diese Aufeinanderfolge verminderter Intervalle und des beklemmend klingenden Tritonus besetzt eine packende Aura, die sich visuell fortsetzt. Angelotti stößt so seine ersten Worte atemlos hervor, die Motive der Verfolgung ängstigen ihn. Lebenslustig durchkreuzt der Mesner diese Stimmung, Daniele Squeo arbeitet mit der Badischen Staatskapelle die dynamischen Kontraste wie zum Beispiel das Fortissimo des Bedrohungsmotivs und das humoristische Mesner-Motiv klar heraus. Auch der Freudenausbruch der Chorknaben mit Mitgliedern des Cantus Juvenum Karlsruhe und der ausgezeichnete Badische Staatsopernchor tragen gleich im ersten Akt zu akustischen Höhepunkten bei.
Karsten Mewes kann Scarpias Verdachtsmomente mit voluminösem Bariton darstellen, sie werden von Cavaradossis Schicksalsmotiv wirkungsvoll durchkreuzt, den Rodrigo Porras Garulo mit glanzvollen Tenor-Kantilenen und erheblicher stimmlicher Strahlkraft verkörpert. Auch die verschiedenen erregten Orchesterphrasen des Verhörs gelingen der Badischen Staatskapelle unter Daniele Squeo sehr überzeugend. Der heftige Lauf der Violinen markiert das Verfolgungsmotiv. Beim „Tedeum“ wächst Scarpia in der Gestaltung durch Karsten Mewes über sich selbst hinaus, wennglich man sich bei manchen Passagen ein noch größeres gesangliches Volumen gewünscht hätte. Dies besitzt jedoch die ausgezeichnete Tosca von Barbara Dobrzanska in allen Schattierungen, was insbesondere im zweiten Akt beim heftigen Streit mit Scarpia voll zur Geltung kommt. In einem großen Ausbruch gesteht der Polizeichef seine gewalttätige Natur, das aus drei unzusammenhängenden Akkorden bestehende dämonische Tonsymbol entwickelt sich bei dieser Wiedergabe markant. Die donnernden Akkorde des Scarpiamotivs mit eingeschaltetem Ges-Dur-Akkord beweisen hier den Sarkasmus des Folter-Spezialisten. Barbara Dobrzanska kann die höchste Verzweiflung der Tosca mit Phrasen unendlicher Angst und strömendem Melos füllen, das imponierend wirkt. Ihre Spitzentöne bis ins hohe C sind treffsicher. Das Auseinanderreißen der Tonfolgen C-Dur, B-Dur, As-Dur, Ges-Dur und E-Dur arbeitet Daniele Squeo mit nie nachlassender Intensität heraus. Toscas Gebet „Vissi d’arte“ besitzt hier ungeahnten Klangfarbenreichtum und Intensität, die in fein abgestuften Schattierungen nicht nachlässt. Bei Cavaradossis Arie „Und es blitzten die Sterne“ überzeugt Rodrigo Porras Garulo mit einem großen stimmlichen Ausbruch. Noch einmal erklingen Scarpias Akkorde – diesmal in düsterem c-Moll. Der Charakterisierungsreichtum dieser Musik wird von Daniele Squeo und der Badischen Staatskapelle plastisch betont. Hier erwarten den Hörer fast impressionistische Klänge. Dann peitschen Schüsse wie Pfeile durch die Luft.
In weiteren Rollen dieser ungewöhnlich farbigen Aufführung gefallen noch Avtandil Kaspeli als Cesare Angelotti, Luiz Molz als Mesner, Hans-Jörg Weinschenk als Spoletta, Alexander Huck als Sciarrone, Wolfram Krohn als Schließer und Julian Finckh als Stimme eines Hirten.
Heinz Balthes gelungenes Bühnenbild passt sich dem imperialistischen Geist der Napoleon-Zeit um 1800 an – das gleich gilt für die Kostüme von Jose Manuel Vazques. Ulrich Wagner hat den Badischen Staatsopernchor gut einstudiert, auch Anette Schneider arbeitet die Vorzüge des Kinderchors sehr gut heraus (zusätzlich agiert hier noch der Extrachor des Staatstheaters Karlsruhe). Es ist eine Inszenierung, die zeigen will, dass Puccinis „Tosca“ weit mehr als ein banaler Krimi ist. Der Regisseur John Dew ist vielmehr überzeugt, dass „Tosca“ eine wahrhaft nihilistische Polemik zugrundeliegt.
„Bravo“-Rufe, langanhaltender Schlussbeifall.
Alexander Walther