Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LUDWIGSBURG/ Forum am Schlosspark: DORNRÖSCHEN, DIE LETZTE ZARENTOCHTER mit dem Staatsballett Karlsruhe

 „Dornröschen – die letzte Zarentochter“ mit dem Staatsballett Karlsruhe im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

WECHSEL ZWISCHEN LICHT UND SCHATTEN
„Dornröschen – die letzte Zarentochter“ am 27. Februar 2015 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
 
20150227_Dornroeschen_2_c_Jochen Klenk
Foto: Jochen Klenk
 
Der ungarische Choreograf Youri Vamos hat das Märchen von Dornröschen mit dem Schickal der russischen Zarenfamilie verbunden. So kommt es mit dem eindrucksvollen Tänzerensemble des Staatsballetts Karlsruhe unter seiner Direktorin Birgit Keil auch in Ludwigsburg zu einer für das Publikum fesselnden Begegnung. Gleich zu Beginn wird eine Frau auf der Flucht gezeigt, die sich angesichts der realen Schrecken in eine andere Welt retten will. Es ist offensichtlich Anna Anderson, die sich zeitlebens für die letzte Zarentochter Anastasia hielt, bis ihr ein Gericht diese Titelbezeichnung verbot. Vor den Augen der Zuschauer entsteht bei dieser opulenten Inszenierung die glanzvolle Welt des Zarenhofes, wo sich Anastasia (facettenreich: Bruna Andrade) im Kreise ihrer drei Schwestern, ihres kleinen Bruders Alexei (Pablos dos Santos) und ihrer Eltern (Eric Blanc und Helene Dion als ausdrucksstarkes Zarenpaar) befindet. Ihr zehnter Geburtstag wird pompös gefeiert. Man sieht bei der Inszenierung aber auch, wie die Zarenfamilie Romanow während ihrer Gefangenschaft in Sibirien von den Soldaten bedrängt wird. Anastasia läuft zu ihrem Vater und erinnert sich an sorglose Zeiten. Bildwechsel und Überblendungen gelingen bei dieser Aufführung ausgesprochen überzeugend. Ungeheure Silhouetten lösen Furcht aus. Im Alexanderpalast bewundert Anastasia ein Gemälde, das ihren Vater, den Zaren Nikolaus, darstellt. Und jetzt verdichten sich die Bilder. Sie wird vom Vater zur Königin des Festes gekrönt. Die Bilder werden immer prächtiger. Das ist Youri Vamos‘ geschickter Kunstgriff. Tänzer des eingeladenen Zarenballetts schenken ihr eine Katze. Insbesondere der von Andrej Shatalin mit feurigen Pirouetten verkörperte Wunderheiler Rasputin (der ihr eine russische Puppe schenkt) vermag das Mädchen zu beeindrucken – zumal er den kranken Bruder Alexej auf geheimnisvolle Weise wieder zu sich bringt. Man sieht, wie die gesamte Familie glücklich in den  Saal zurückkehrt. In Jekaterinburg kommt es dann zum grausigen visuellen Höhepunkt dieser oftmals beklemmenden Inszenierung: Die Soldaten werden immer bedrohlicher, werfen riesige Schatten, die Zarenfamilie wird exekutiert, sinkt langsam nieder. Auf der Flucht über Jasey nach Rumänien bis Bukarest sieht man wieder Anna Anderson, die als zur Flucht verurteilte Frau von den Erinnerungen Anastasias besessen ist. In ihrer Fantasie erscheint das zerstörte Bild des Zaren, aus dem zuletzt sogar noch in gespenstischer Weise einzelne Hände ragen. An die Stelle seines Bildes tritt als Tod der Unbekannte – ein raffinierter Kunstgriff des Choreografen. Dieser bringt Anastasia Erinnerungen nahe.

Im zweiten Akt befindet sich Anna Anderson auf der Brücke in Berlin. Unter den Passanten und Straßenverkäufern entdeckt sie einen Vogelkäfig und erinnert sich an den Tag, an dem sie ihren Vogel freigelassen hat. Brüche und visuelle Wechsel zwischen Licht und Schatten gelingen in dieser Inszenierung in dicht gedrängten Bildern am besten. In ihrer Verzweiflung stürzt sich die Frau von der Brücke. Sie wird schließlich gerettet von dem Unbekannten und fühlt sich plötzlich geborgen und geliebt. Im Winterpalast in Petersburg sieht sie sich selbst, umgeben von ihrer verlorenen Familie, welche die beiden prachtvoll empfängt. Im Epilog findet die gebrochene alte Frau Erlösung in den Armen des Unbekannten. Diese Szene geht unmittelbar unter die Haut. Da erfüllt auch Peter Tschaikowskys „Dornröschen“-Musik voll ihren Sinn und Zweck. Sie kann sich mit vielen dynamischen Steigerungen in der glutvollen Wiedergabe durch die Badische Staatskapelle Karlsruhe unter der furiosen Leitung von Steve Moore trotz gelegentlicher rhythmischer Unebenheiten sehr gut und konzentriert entfalten. Das breite hymnische Dahinströmen der Melodien erfasst der umsichtige Dirigent mit dem Orchester am besten. Gerade die überwältigende melodische Erfindungskraft des „Rosen-Adagio“ wird suggestiv ausgekostet. Auch die kunstvollen Variationen der Brosamen- und Kanarienvogel-Fee sind präzis herauszuhören. Darauf gehen auch die sensibel agierenden Tänzer ein – zumal beim herrlichen Pas de deux von Anastasia mit dem Unbekannten. Steve Moore beachtet vor allem das klassische Formschema und lässt sich Musik trotzdem in allem Glanz schwelgen. In weiteren Rollen überzeugen Sabrina Velloso (Anastasia als Kind), Momoka Kikuchi (Olga als Kind), Kyoko Watanabe (Tatjana als Kind), Moeka Katsuki (Maria als Kind), Blythe Newman (Olga als Erwachsene), Larissa Mota (Tatjana als Erwachsene) und Su-Jung Lim (Maria als Erwachsene). Außerdem fesseln die drei Adeligen in der Verkörperung von Bledi Bejleri, Jason Maison und Zhi Le Xu, Blauer Vogel (Meka Katsuki, Juliano Toscano), Katzen (Blythe Newman, Arman Aslizadyan) und die drei Russen in der famosen Gestaltung von Brice Asnar, Pablo dos Santos und Juliano Toscano. Eine atemberaubende Sprungtechnik symbolisiert hier immer wieder die endlose Weite des russischen Reiches – manchmal glaubt man auch, dass die hereinbrechende Nacht seelische Stimmungen schildert.

Die prunktvollen Bilder im Palast oder eine Baumidylle im Hintergrund werden jedenfalls ganz bewusst verdrängt. Bühne und Kostüme von Michael Scott gehen ineinander über. Zum gefeierten Ensemble gehören Solisten, Ballettensemble und Ballettstudio des Staatsballetts Karlsruhe, Studierende der Akademie des Tanzes Mannheim, Schülerinnen und Schüler der Ballettschule Lagunilla & Reijerink sowie die Statisterie des Staatstheaters Karlsruhe.

 
Alexander Walther        

 

Diese Seite drucken