„Dornröschen – die letzte Zarentochter“ mit dem Staatsballett Karlsruhe im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
Foto: Jochen Klenk
Im zweiten Akt befindet sich Anna Anderson auf der Brücke in Berlin. Unter den Passanten und Straßenverkäufern entdeckt sie einen Vogelkäfig und erinnert sich an den Tag, an dem sie ihren Vogel freigelassen hat. Brüche und visuelle Wechsel zwischen Licht und Schatten gelingen in dieser Inszenierung in dicht gedrängten Bildern am besten. In ihrer Verzweiflung stürzt sich die Frau von der Brücke. Sie wird schließlich gerettet von dem Unbekannten und fühlt sich plötzlich geborgen und geliebt. Im Winterpalast in Petersburg sieht sie sich selbst, umgeben von ihrer verlorenen Familie, welche die beiden prachtvoll empfängt. Im Epilog findet die gebrochene alte Frau Erlösung in den Armen des Unbekannten. Diese Szene geht unmittelbar unter die Haut. Da erfüllt auch Peter Tschaikowskys „Dornröschen“-Musik voll ihren Sinn und Zweck. Sie kann sich mit vielen dynamischen Steigerungen in der glutvollen Wiedergabe durch die Badische Staatskapelle Karlsruhe unter der furiosen Leitung von Steve Moore trotz gelegentlicher rhythmischer Unebenheiten sehr gut und konzentriert entfalten. Das breite hymnische Dahinströmen der Melodien erfasst der umsichtige Dirigent mit dem Orchester am besten. Gerade die überwältigende melodische Erfindungskraft des „Rosen-Adagio“ wird suggestiv ausgekostet. Auch die kunstvollen Variationen der Brosamen- und Kanarienvogel-Fee sind präzis herauszuhören. Darauf gehen auch die sensibel agierenden Tänzer ein – zumal beim herrlichen Pas de deux von Anastasia mit dem Unbekannten. Steve Moore beachtet vor allem das klassische Formschema und lässt sich Musik trotzdem in allem Glanz schwelgen. In weiteren Rollen überzeugen Sabrina Velloso (Anastasia als Kind), Momoka Kikuchi (Olga als Kind), Kyoko Watanabe (Tatjana als Kind), Moeka Katsuki (Maria als Kind), Blythe Newman (Olga als Erwachsene), Larissa Mota (Tatjana als Erwachsene) und Su-Jung Lim (Maria als Erwachsene). Außerdem fesseln die drei Adeligen in der Verkörperung von Bledi Bejleri, Jason Maison und Zhi Le Xu, Blauer Vogel (Meka Katsuki, Juliano Toscano), Katzen (Blythe Newman, Arman Aslizadyan) und die drei Russen in der famosen Gestaltung von Brice Asnar, Pablo dos Santos und Juliano Toscano. Eine atemberaubende Sprungtechnik symbolisiert hier immer wieder die endlose Weite des russischen Reiches – manchmal glaubt man auch, dass die hereinbrechende Nacht seelische Stimmungen schildert.
Die prunktvollen Bilder im Palast oder eine Baumidylle im Hintergrund werden jedenfalls ganz bewusst verdrängt. Bühne und Kostüme von Michael Scott gehen ineinander über. Zum gefeierten Ensemble gehören Solisten, Ballettensemble und Ballettstudio des Staatsballetts Karlsruhe, Studierende der Akademie des Tanzes Mannheim, Schülerinnen und Schüler der Ballettschule Lagunilla & Reijerink sowie die Statisterie des Staatstheaters Karlsruhe.