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LUDWIGSBURG/ Forum am Schlosspark: BAROCKE RIVALITÄT ZWISCHEN SIMONE KERMES UND VIVICA GENAUX. Ein Feuerwerk der Spitzentöne

 Barocke Rivalitäten mit Simone Kermes und Vivica Genaux im Forum am Schlosspark

EIN FEUERWERK DER SPITZENTÖNE

Simone Kermes und Vivica Genaux am 27. März 2015 im Forum am Schlosspark

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Vivica Genaux und Simone Kermes. Foto: Gregor Hohenberg

Barockgesang mit Boxhandschuhen? Das kommt selten vor. Doch die beiden Ausnahmesängerinnen Simone Kermes (Sopran) und Vivica Genaux (Mezzosopran) machten es im Forum am Schlosspark bei Johann Adolph Hasses Arie „Se mai piu saro geloso“ aus der Oper „Cleofide“ mit feurigen Koloraturen deutlich. Hasse war ein großer Meister der Opera seria und spickte seine kunstvollen Partituren mit zahlreichen kontrapunktischen Finessen. Die beiden exzentrischen Diven rekonstruierten den berühmt-berüchtigten Primadonnen-Krieg zwischen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni im 18. Jahrhundert auf brillant-vergnügliche Weise. Francesca Cuzzoni gab im Jahre 1722 ihr Debüt im Londoner King’s Theatre – ihr war eine große Zukunft sicher. Als das King’s Theatre 1725 allerdings als weitere Primadonna assoluta Faustina Bordoni engagierte, brach zwischen den beiden Sängerinnen sofort ein erbitterter Machtkampf aus. Bei der Aufführung von Bononcinis Oper „Astianatte“ gerieten die beiden Diven außer sich und wurden sogar handgreiflich. So kam es zum Skandal. Faustina Bordoni heiratete später Johann Adolph Hasse, wurde seine Muse und wichtigste Interpretin seiner Kompositionen. In opulenten Barockkostümen betörten Simone Kermes und Vivica Genaux ihr Publikum in Ludwigsburg. Die wunderbar leicht und sphärenhaft musizierende Cappella Gabetta unter der forschen Leitung von Andres Gabetta begleitete sie wie auf Engelsflügeln. Gleich Carlo Francesco Pollarolos Sinfonia aus „Ariodante“ bestach mit feiner harmonischer Durchsichtigkeit. Sie setzte sich dann beim rasanten Duett aus Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“ fort, wo Simone Kermes und Vivica Genaux in imponierender Weise miteinander wetteiferten. Kraft und Plastik der musikalischen Aussage kamen so glänzend zum Ausdruck. Vivica Genaux überzeugte ferner mit enormer gesanglicher Beweglichkeit und betörendem Klangfarbenreichtum bei Johann Adolph Hasses Arie „Priva del caro bene“ aus „Dalisa“. Hasse, der Hamburger, der in Italien „Der Sachse“ genannt wurde, war einer der ergiebigsten und erfolgreichsten Vertreter der spät-neapolitanischen Oper im Sinne von Metastasio. Beim vor unbändigem Temperament sprühenden Duett „Io t’abbraccio“ aus Georg Friedrich Händels Oper „Rodelinda“ imitierten Simone Kermes und Vivica Genaux die hysterischen Allüren der beiden Primadonnen in großartiger Weise. Die mächtige Steigerung von lyrischem Beginn bis zu höchster Leidenschaft blieb hier immer glaubhaft. Simone Kermes bestach bei Händels Arie „Scoglio d’immota fronte“ aus „Scipione“ mit untrüglichem Gespür für tückische Unberechenbarkeit mit rasanten Läufen, großen Intervallsprüngen und unheimlichen Trillern. Ein Genuss war ebenso Vivica Genaux‘ subtile Gestaltung der in kunstvollsten Figurationen schwelgenden Arie „Vorreste o mie pupille“ aus „Lucio Vero“ von Attilio Ariosti. Die Nähe zu Georg Friedrich Händel war herauszuhören. Die gefühlvolle Sinfonia aus „Orfeo“ von Nicola Porpora, der in Venedig als Mädchenpensionatslehrer wirkte, verzauberte das Publikum ebenso. Klangliche Sensibilität und Durchsichtigkeit kennzeichneten die suggestive Musizierweise der Cappella Gabetta. Ganz in ihrem Element waren Simone Kermes und Vivica Genaux (die aus Alaska stammt) bei Georg Friedrich Händels Duett „Vivo in te“ aus „Tamerlano“, wo sie sich immer wieder wütend anschnaubten und raubtierhaft aufeinander losgingen. Da sprühten elektrisierende Funken ins Parkett. Stellenweise kam sogar ein buffonesker Zug ins Spiel, da die beiden Diven wirklich außer Rand und Band gerieten. Vivica Genaux brillierte dann wiederum bei Johann Adolph Hasses Arie „Impallidisce in campo“ aus „Issipile“, wo die thematischen  gesanglichen Verbindungen facettenreich ausgelotet wurden. Simone Kermes verlieh Geminiano Giacomellis Arie „Villanella nube estiva“ aus „Scipione in Cartagine nuova“ ästhetischen Zauber und stimmliche Brillanz. Ihre gesangliche Tragfähigkeit erreichte zusammen mit Vivica Genaux (die mit betörendem dunklem Timbre agierte) bei Pietro Torris Duett „Ferma crudel! – Son costretta esser crudele“ aus „Amadis di Grecia“ einen weiteren Höhepunkt. Da erahnte man schon Belcanto-Qualitäten, da die gesangliche Wärme und Ausdrucksfähigkeit immer mehr zunahmen. Das war spannend anzuhören, zumal sich der Eindruck bei Johann Adolph Hasses Arie „Padre ingiusto“ aus „Cajo Fabricio“ bei Vivica Genaux noch erheblich steigerte. Sie lotete hier die Gefühlstiefen der Musik genial aus. Geifernde, blökende Hörner begleiteten Simone Kermes bei ihrer Bravourarie „Nobil onda“ aus der Oper „Adelaide“ von Nicola Porpora – ein wahrhafter Kunstschatz, den es erst noch zu entdecken gilt. Simone Kermes wippte auch immer wieder in ganz ungewöhnlicher Weise gemeinsam mit den rhythmischen Prozessen dieser harmonisch fast schon modern anmutenden Musik, wobei ihre gesanglichen Arabesken und Kaskaden förmlich explodierten. Zuletzt rissen die beiden Gesangsstars das Publikum bei Georg Friedrich Händels Duett „Caro! – Bella!“ aus Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ von den Sitzen. Auch der Fugato-Charakter der Musik blitzte auf. Expressive Gesangsströme belebten den melodischen Fluss. Simone Kermes  und Vivica Genaux begruben schließlich ihren „Streit“ und umarmten sich. Die Zuhörer bekam daraufhin einen ganz ungewöhnlichen Blumenstrauß serviert: Nämlich Zugaben aus der Pop-Musik! Neben Freddy Mercury meldete sich die schwedische Gruppe „Abba“ („Give me a man…“) und „We will rock you“. Auch die berühmte „Barcarole“ aus Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ließ verführerisch grüßen. Pizzicato-Zauber breitete sich sphärenhaft im Theatersaal des Forums am Schlosspark aus. Jubel und Ovationen begleiteten den Schluss, wobei das Duo Kermes & Genaux sogar einzelne Zuschauer auf die Bühne holte. So wurden Klassik und Unterhaltung stilvoll miteinander verbunden. Einen Schuss Ironie mischten die beiden Primadonnen in ihr reichhaltiges musikalisches Menü.

 AlexanderWalther  

 

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