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LONDON/ Royal Opera House/ Live in den Kinos: I DUE FOSCARI mit Domingo

29.10.2014 | Oper

Live aus dem Royal Opera House London: SELTEN AUFGEFÜHRTE VERDI-OPER „I DUE FOSCARI“ – 27.10. 2014

 Neben den vielen Vorteilen eines sehr bequemen und kostensparenden „Opernbesuches“ bieten die Live-Übertragungen aus den berühmtesten Opernhäusern der Welt auch die Möglichkeit, Opern zu sehen, die nicht oft und in nur wenigen Opernhäusern zur Aufführung kommen.

 Dank der weltweiten Live-Übertragungen aus dem berühmten Royal Opera House in London, u. a. auch im äußerst angenehmen großen Kinosaal des Ufa-Kristallpalastes Dresden, war als erste Oper der neuen Saison eine von Verdis dunkelsten und traurigsten Opern, „I due Foscari“ zu erleben. Obwohl Verdi diese Oper nach vielen Bearbeitungsansätzen und schließlich nach ihrer Fertigstellung wegen des mäßigen Uraufführungs-Erfolges in Rom verwarf, erscheint es unverständlich, warum diese musikalisch durchaus beeindruckende Oper, die allen Anforderungen an große dramatische Szenen entspricht, vor allem, wenn sie mit solch leistungsfähigen Sängern wie im Royal Opera House auf die Bühne gebracht wird, jetzt so selten aufgeführt wird (bis in die 1870er Jahre erfreute sie sich einiger Beliebtheit).

 Kein Geringerer als Plácido Domingo hatte sich für eine Aufführung in London eingesetzt und die Rolle des alten Dogen Foscari übernommen, dessen einziger, noch verbliebener Sohn – nachdem drei seiner Söhne an der Pest gestorben sind – zu Unrecht des Mordes beschuldigt und zum zweiten Mal zu Exil verurteilt wird – eine Rolle, mit der er die ganze Spannbreite seiner niveauvollen emotionalen Darstellungskunst ausleben kann.

 Domingo ist ein Sänger-Phänomen. Während sich andere Sänger nach einer großen (oder auch weniger erfolgreichen) Laufbahn längst von der Bühne zurückgezogen haben, hat er nach seiner überaus erfüllten, weltweiten Karriere als Tenor noch eine zweite als Bariton begonnen – und wie! Das kommentierte er mit den Worten, dass er die jugendlichen Helden nun nicht mehr singen kann, aber die Vater-Rollen es ihm schon immer angetan haben. Sein Repertoire umfasst über 144 Rollen. Er spricht auch fließend mehrere Sprachen, spanisch, italienisch, englisch, deutsch u. a. und ist ein Weltstar ohne Starallüren.

 Er hat alle großen Partien des Tenorfachs gesungen, auch die kräfteverschleißenden in Wagner-Opern, aber seine Stimme zeigt keinerlei Verschleißerscheinungen, ganz im Gegenteil, er schafft immer noch mühelos alle Höhen und Tiefen der Baritonlage, hat genügend Reserven für seine großartige Gestaltungskunst und atemberaubende Dramatik und, was am meisten fasziniert, seine Stimme hat noch immer ihren früheren Klang und Glanz – jetzt in der Mittellage – wie in seinen besten Zeiten. Mit seinem Spiel vertieft er sich ganz in die jeweilige Rolle. Er spielt nicht, er durchlebt seine Rollen, wie die des alten Dogen Francesco Foscari mit all ihrer menschlichen Tragik, die er erstmals am Royal Opera House singt und für die er vom Publikum mit überreichem Beifall gefeiert wurde.

 Dessen „Sohn“ Jacopo Foscari wurde glaubwürdig von Francesco Meli dargestellt, der seine Rolle voll beherrschte. Als weibliche Hauptakteurin war Maria Agresta als dessen Frau Lucrezia Contarini mehr als überzeugend. Sie brillierte in den sehr umfangreichen Belcanto-Arien immer wieder mit schöner Stimme und Perfektion. Es wäre schwer zu sagen, welche dieser anspruchsvollen Arien am meisten beeindruckten. Sie sang alle mit gleicher Intensität und Qualität.

 Völlig zu Unrecht erhielt Maurizio Muraro unüberhörbare Buh-Rufe, aber die konnten unmöglich seiner guten sängerischen oder darstellerischen Leistung gelten, sondern ausnahmslos dem negativen Charakter seiner Rolle als Jacopo Loredano, des rächenden Widersachers des Dogen, der mit seinem Machtanspruch auf das Dogenamt, den alten Dogen Foscari (und damit Sympathieträger Domingo) bedrängt und für dessen Tod an gebrochenem Herzen verantwortlich ist.

 Der Royal Opera Chorus (Chorleiter: Renato Balsadonna) ergänzte die herausragenden Leistungen der Hauptprotagonisten. Die Musikalische Leitung des sehr zuverlässig und mit entsprechendem Engagement spielenden Orchestra of the Royal Opera House lag in den bewährten Händen von Antonio Pappano, der mit viel Temperament und Werkverständnis die Aufführung leitete.

 Der junge amerikanische Regisseur Thaddeus Strassberger, Gewinner des Europäischen Opernregie-Preises 2006, gab mit dieser Koproduktion von LA Opera, Palau de les Arts Reina Sofía Valencia und Theater an der Wien sein Regiedebüt am Royal Opera House. Er erzählt den Inhalt der Oper mit einer an der Renaissancezeit, in der die Oper spielt, orientierten Inszenierung, „ergänzt“ durch Regieelemente gegenwärtiger Inszenierungen, wie u. a. Gewalt in ausführlichen und sehr naturalistisch gespielten Folterszenen, und an der Historie orientierten Kostümen (Mattie Ullrich), die – aus der Nahperspektive im Kinosaal – doch nicht immer so ganz gelungen schienen, sowie einer am alten Venedig orientierten, wenn auch im Vergleich zu älteren Inszenierungen, relativ nüchternen Bühne (Kevin Knight) ohne typische venezianische Ansicht, aber mit schönen Videoeinspielungen des bewegten Meeres.

 Warum allerdings Maria Agresta alias Lucrezia Contarini öfters in einem von zwei in den Bühnenboden eingelassenen „Wasserbecken“ „planschen“ muss, um ihren Gatten oder ihren Sohn „reinzuwaschen“ oder sich selbst und die Bühne mit Wasser zu bespritzen, erscheint überflüssig, oder sollte es ein besonderer Regieeinfall sein? Das von dem jungen Foscari berichtet wird, er sei, noch bevor die Segel des Schiffes gehisst wurden, das ihn nach Kreta ins Exil bringen sollte, gestorben sei, während er original tatsächlich ins Exil gebracht wird, tut der Oper keinen Abbruch. So viel Abweichungen ist beim Theater schon gestattet, denn die Inszenierung hält sich ansonsten sehr eng an das Stück und verfremdet nicht durch Regie, Bühne oder Kostüme, sondern forciert damit lediglich die Handlung, die in dieser Inszenierung auch ohne Vorkenntnis des Inhaltes sehr gut zu verstehen ist.

 Ingrid Gerk

 

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