Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LONDON/ Royal Opera House im Kino. WINTERMÄRCHEN nach Shakespeare- Live aus London (gesehen im UFA-Palast Dresden)

Dresden / Ufa-Kristallpalast / Ballett im Kino: “WINTERMÄRCHEN“ NACH SHAKESPEARE Live aus London – 28. 4. 2014

Unbenannt
„Ausgelassene Freude beim Schäferfest in Böhmen“. Foto: Royal Opera House

Es ist nicht nur Strauss-Jahr, sondern auch Shakespeare-Jahr. Man feiert in diesem Jahr den 450. Geburtstag dieses genialen Autors,wer auch immer er war. Er ist in Schauspielen und Opern noch sehr lebendig und gibt immer wieder Stoff zu neuen Werken und Regiekonzeptionen. Man denke nur an Verdis „Othello“ oder „Falstaff“ oder an Prokofjews abendfüllendes Ballett „Romeo und Julia“.

 Jetzt schufen Choreograf Christopher Wheeldon, Designer Bob Crowley und Komponist Joby Talbot ein weiteres abendfüllendes Ballett nach einem Stück von William Skakespeare, das erste zu seinem späten Drama bzw. der „Romanze“ „Das Wintermärchen“ („The Winter’s Tale“), in dem sie die Geschichte des eifersüchtigen sizilianischen Königs Leontes, seiner von ihm zum Tode verurteilten Gattin Hermione und ihrer als Baby im fremden Böhmen ausgesetzten Tochter Perdita, die, entsprechend dem Orakel von Delphi, über die Liebe zum Sohn des vermeintlichen Nebenbuhlers Polixenes in die Arme ihres Vaters zurückfindet, mit den Mitteln des Tanzes in ausdrucksstarken Figuren und Gesten erzählen. Zum allgemeinen Happy End kehrt auch die 15 Jahre lang versteckte Hermione als „erwachende Grab-Statue“ ins Leben zurück.

 Von Shakespeare wurde das Stück als „Komödie“ bezeichnet, das es nach alter Sitte auch war – schon wegen des Happy Ends. In Wheeldons äußerst dynamischer Choreografie wird die dramatische Seite der Handlung betont, unterstrichen durch die oft düstere, hochdramatische, aber in bestimmten Handlungsabläufen auch fröhliche, durchaus tonale Musik Talbots. Sie wird so umgesetzt, dass man der Handlung auch ohne vorherige Kenntnis des Stückes folgen kann. Das leistungsfähige Royal Ballet ist immer in Bewegung. Mit einer geglückten Mischung aus Spitzen“tanz“, ungewöhnlichen Hebefiguren und Drehungen, ausdrucksstarken, ungewohnt abgewandelten Pirouetten und ungewöhnlichen Pas de deux in einer Mischung aus Elementen des klassischen Tanzes und des Ausdruckstanzes, verbunden durch fließende Bewegungen, wird das Publikum gefesselt. Es gibt viel „Action“ und viel Spitzentanz im wahrsten Sinne des Wortes, bei dem die Tänzerinnen wie schwerelos über die Bretter, die die Welt bedeuten, schweben. Kein Wunder, dass das Royal Ballett jährlich 12 000 Paar Balletschuhe verbraucht!

 Edward Watson verkörpert einen ausdrucksstarken, bis in die letzte Geste ein vor Eifersucht dem Wahnsinn naher, schweißgebadeter König, dessen wirrer Gesichtsausdruck vor allem den Kinobesuchern, die so nah dran waren, dass ihnen kein Mienenspiel, kein Detail entgehen konnte, in Erinnerung bleiben wird. Mit seiner Gattin Hermione, dargestellt von Lauren Cuthbertson, vollbringt er in einem ungewöhnlichen „Pas de deux“, wilde Sprünge, exzessive Bewegungen und Drehungen die sie in ähnlicher Weise, aber mit dem Charme einer schönen, gütigen Frau erwidert und „auf die Spitze“ treibt. Als deren ausgesetzte unter Schäfern aufgewachsene Tochter Perdita ist Sarah Lamb ein Wunder an Anmut, Beweglichkeit und Perfektion, die sich besonders im ausgefeilten Pas de deux mit ihrem geliebten Florizel alias Steven McRae, dem Sohn von Leontes einstigem Freund und Widersacher Polixenes, tänzerisch gestaltet von Federico Bonelli, mit seinen extrem schwierigen, neuartigen nahtlos ineinander übergehenden Figurenkombinationen ihren Höhepunkt findet.

 Selbst die kleineren Rollen wurden perfekt in dramatischen Szenen gestaltet. So zeigte Charakterdarstellerin Zenaida Yanowsky ungewöhnliche Schrittfolgen auf Spitze und ausdrucksstarke Gesten. Selbst die kleine Rolle als Antigonos, ihrem Gatten wurde mit viel Ausdruck geboten.

 Unterstrichen wird die hochdramatisch gestaltete Handlung durch ein ansprechendes Bühnenbild, dessen geschickte Verwandlungen auf offener Bühne einen wirkungsvollen Teil der Dramaturgie ausmachen. Mit mittlerem Aufwand werden Szenarien gezaubert, die ohne Kommentar funktionieren und den Betrachter nicht kalt lassen. Man denke nur an das „hochdramatische“ Gewitter bei Sturm auf hoher See, die „Ballonfahrt“ oder die bedrückende Atmosphäre im Königspalast auf Sizilien, zu dem der fröhlich bunt behangene Baum beim Schäferfest in Böhmen kontrastiert.

 Die ebenfalls an alten Traditionen orientierten Kostüme untermalen in relativer Schlichtheit sehr eindrucksvoll die Handlung. Wenn die Kostüme der böhmischen Hirten auch eher an die Buntheit der Sinti und Roma erinnern, tut das dem Gesamteindruck kaum Abbruch. Ethnografische Spitzfindigkeiten seien hier ausgeblendet. Böhmen lag z. B. zu keiner Zeit an einer Küste, wie es Shakespeare vorschwebte (obwohl sich die heutigen Bewohner Böhmens mit „Ahoi“ grüßen). Solche kleinen Unstimmigkeiten sind beim Theater erlaubt.

 Die ausdrucksstarke Musik wurde vom Orchestra of the Royal Opera House unter der Leitung von David Briskin mit entsprechender Ausdruckskraft umgesetzt.

 Hier wurden sehr gute alte Traditionen niveauvoll weiterentwickelt, das Stück in neuer, unserer Zeit entsprechender Form präsentiert, ohne weder das Stück noch die Zuschauer zu verletzen. Im Gegenteil, der Jubel im Opernhaus war groß und die Zustimmung im Kinosaal ebenso.

 Man musste wegen dieser Neuschöpfung und ihrer Uraufführung nicht einmal von Dresden oder anderswo nach London reisen. Für einen Gang ins Kino sind Aufwand und Risiko gering. In diesem Fall hat es sich wieder einmal besonders gelohnt. Man konnte nicht nur einen spannenden Abend voller großartiger tänzerischer Leistungen und optischer Eindrücke erleben, sondern hat auch die Erkenntnis gewonnen, dass modernes Theater und Ballett großartig sein kann.

 Mit der Live-Übertragung dieser Uraufführung wurde die eindrucksvolle Saison des Royal Ballets abgeschlossen. Sie hinterlässt ein Publikum voller nachhaltiger Eindrücke und Vorfreude auf eine neue Spielzeit.

 Ingrid Gerk

 

Diese Seite drucken