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LONDON/ Dresden/Ufa Kristallpalast: Das Royal Opera House im Kino: „DORNRÖSCHEN“(‑INSZENIERUNG) FEIERT 71. GEBURTSTAG

02.03.2017 | Ballett/Tanz

LONDON/ DRESDEN/ Das Royal Opera House im Kino: „DORNRÖSCHEN“(‑INSZENIERUNG) FEIERT 71. GEBURTSTAG – 28.2.2017   Ufa Kristallpalast Dresden – St. Petersburger Straße

Die „Dornröschen“-Inszenierung, die 1946 als erste Aufführung nach dem Krieg im ROH den Wiederbeginn des Spielbetriebes in diesem traditionellen Haus „einläutete“, feierte vor einem Jahr ihren 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde die, auf der Originalchoreografie von Marius Petipa aufbauende Choreografie des „realitätsbesessenen“ Frederick Ashton sowie Antony Dowell und Christopher Wheeldon noch einmal überarbeitet, ergänzt und weiterentwickelt, die Handlung gestrafft, ihr dynamische und auch dramatische Züge verliehen und zu einem berauschenden geschlossenen Ganzen mit nahtlosen Übergängen zusammengeschweißt und nun in einer Galavorstellung präsentiert.

Das ROH war ausverkauft, aber im UFA Kristallpalast in Dresden gibt es immer noch Plätze. Dank der weltweiten Live-Übertragungen kann man an solchen großartigen, perfekt ins Bild gesetzten, Aufführungen live teilhaben, ohne große Reisevorbereitungen und entsprechenden Aufwand. Man kann sich wie im Londoner Opernhaus fühlen, angenehm klimatisiert und auf allen Plätzen wie auf der dortigen legendären 10. Reihe mit der – so wird behauptet – besten Akustik und Sicht, auf die kleinsten Details und Feinheiten und auch die Mimik der Tänzerinnen und Tänzer konzentrieren, die man im Opernhaus so nicht hat.

Während des Krieges wurde das ROH in London als Tanzlokal genutzt, wo sich jeden Tag Soldaten auf Urlaub vergnügten. Am 20.2.1946 öffnete es wieder seine Pforten, um mit P. I. Tschaikowskys „Dornröschen“-Ballett an die große Ballett- und Operntradition dieses Hauses anzuknüpfen und den Menschen nach dem überstandenen Krieg Hoffnung und Zuversicht zu geben. Es war vieles zerstört, die Mittel und Möglichkeiten waren knapp, aber es wurde eine großartige Inszenierung gezaubert (Originalentwürfe: Oliver Messel), die auch jetzt noch, überarbeitet, ergänzt und für die Jetztzeit sinnvoll aufbereitet, fasziniert.

Die Bühnenbilder erinnern an den lyrisch-romantischen Stil klassizistisch barocker Landschaftsmalerei eines Claude Lorrain und bilden den stilvollen Rahmen für das im wahrsten Sinne des Wortes märchenhafte Handlungsballett, ergänzt durch aufwändige prunk- und prachtvolle Kostüme, die den Charakter der jeweiligen Person und ihrer Rolle unterstreichen. Hier stimmte einfach alles, Tschaikowskys Musik, Regie, Choreografie, Bühnenbild und gestaltende Tanzkunst als eine untrennbare, ineinander verwobene Einheit, von der eine Faszination ausgeht, die man von Theater, Oper und Ballett eben immer noch erwartet.

Unter der sehr engagierten und temperamentgeladenen Leitung von Koen Kessels spielte das Orchestra of the Royal Opera House auffallend konform und mit angenehmer Frische, Exaktheit, schönem Violin- und Cellosolo und einem kleinen „Kiekser“ bei den Hörnern, die Prinz Florimunds Jagdausflug ankündigen (was bei solcher Klarheit eben leider auffällt). Mit einem zügigen, genau richtigen Tempo hatte Koen das richtige Zeitmaß für die Tanzenden getroffen, so dass sich eine sehr gute Abstimmung zwischen Musik und Tanz – Tanz und Musik ergab, mitunter auch durch genau mit der Tänzerin abgestimmte Ritardandi.

Ausgezeichneter „Gleichklang“ ergab sich auch in den Bewegungen der Tanzenden, bei den Gruppentänzen, den auffallend kongruenten Pas de deuxs und dem großen Finale am Schluss mit dem großen Corps de ballet (Artists of the Royal Ballet und Students of the Royal Ballet School). Die Choreografie orientiert als Kernpunkt auf „leichte Füße, schnelle Schritte“ und bezieht schöne Pirouetten und Hebefiguren als Höhepunkte ein, um die Handlung adäquat umzusetzen.

Inmitten ihrer gut tanzenden Feen-„Kolleginnen“ (Yuhui Choe, Akane Takada, Yasmine Naghdi, Francesca Hayward, Helen Crawford), die bei ihren solistischen Auftritten in einer sehr geschickten, auf schöne Kontraste, viel Abwechslung und eine stetige Steigerung von einer Solonummer zur anderen beruhenden Regie ihr spezielles Können zeigen konnten, fiel Claire Calvert als Fliederfee mit ihrem „Spitzensolo“, ihren Pirouetten und vielen „Schmetterlingen“ auf einer Spitze auf, was bei ihr so perfekt wie selbstverständlich aussah.

Spitzenleistungen „am laufenden Band“ präsentierte danach Marianela Núñez, die argentinische Balletttänzerin im Rang der „Principal Dancer“ beim Royal Ballet. Sie schien ihren „Lebensraum“ auf Spitze und einiges über den Erdboden verlegt zu haben, so federleicht schwebte sie immer wieder und unermüdlich in die Höhe, mit anmutig graziöser Arm- und Körperhaltung. Allein, wie sie die Balance auf einer Spitze „aus dem Stand“ hielt, um den vier Bewerbern, einem nach dem anderen, zwischen Arabesque und Penche die Hand zu reichen, wieder loszulassen, um sie wieder dem nächsten zu reichen, forderte Hochachtung ab. Alles wirkte so leicht, ohne es zu sein. Jeder Schritt dieser Rolle erfordert Kondition und Konzentration und setzt ein intensives Training voraus.

Ihr großartiger Grand Pas de deux mit dem schlanken, leichtfüßigen russischen Meistertänzer Vadim Muntagirov als Prinz Florimund, dessen ungewöhnlich leichte solistische „Luftsprünge“ beeindruckten, bildete den folgerichtigen Höhepunkt der großangelegten, wohldurchdachten Gesamtchoreografie.

Als wichtiger Faktor bei der tänzerischen Umsetzung einer Balletthandlung gilt bei den Londonern auch die Pantomime, mit der dafür gesorgt wird, dass nicht nur ästhetisch schöne Tänze mit entsprechenden Schwierigkeiten gezeigt werden, sondern durch Mimik und emotionale Körpersprache die Handlung auch menschlich bewegend wird. Besonders gravierend profitiert davon die Gestalt der Carabosse (Krisitin McNally) mit ihrem, von Ratten gezogenen, Gefährt, deren Wirkung vor allem in der schauerlichen Erscheinung dieser bösen Fee liegt.

Elizabeth McGorian, die „adlige Dame vom Dienst“ bot als Königin wieder die elegante, noble Dame mit guter Körperhaltung und Mimik voller (gespielter) Herzlichkeit und Freundlichkeit, wie es in „höheren“ Kreisen üblich war und mit der sie auch die Carabosse zu besänftigen versucht, aber brüsk abgelehnt wird. Ihr „Gatte“, König Florestan XXIV (Christopher Saunders) begnügte sich mit majestätischer, lebensfroher Erscheinung a la August der Starke von Sachsen, und der Zeremonienmeister Cattalabutte (Alastair Marriott) trug – bis auf den Angriff der Carabosse, der er als „Bauernopfer“ dienen soll, im Wesentlichen sein pompöses Kostüm zu Schau.

Ebenfalls großartige Solo- und Paarleistungen boten die zum Hochzeitsfest erschienen Gäste: Florestan (James Hay) und seine beiden Schwestern (Yasmine Naghdi, Beatriz Stix-Brunell), die zunächst einen gekonnten Pas de troix tanzen, der sich in drei beachtliche Solonummern auflöst und in einem Pas de deux (mit nur einer Schwester) endet, der Gestiefelte Kater (Paul Kay) mit der possierlichen, kapriziösen Weißen Katze (Leticia Stock) in einem neckischen Pas de deux, Prinzessin Florine (Francesca Hayward) und der Blaue Vogel (Alexander Campbell), beide in Blau, mit ihrem eleganten Auftritt sowie Rotkäppchen (Gemma Pitchley-Gale) und der böse Wolf (Tomas Mock).

In einem fulminanten Finale passierten noch einmal alle Tänzerinnen und Tänzer mit ihren großartigen Leistungen in einer ebenso großartigen Regie und „schönen Bildern“ Revue. Es war einfach märchenhaft, in diesem Fall ein wirkliches „Gesamtkunstwerk“ aus Musik, Tanz, Pantomime, Performance und Dramatik.

Ingrid Gerk

 

 

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