Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LONDON/ das ROH im Kino/ Dresden Kristallpalast: WERTHER mit DiDonato/ Grigolo

28.06.2016 | Oper

LONDON/ DRESDEN/ Das Royal Opera House im Kino: „WERTHER“27. 6. 2016 Ufa Kristallpalast Dresden – St. Petersburger Straße

 

Als letzte Live-Übertragung der Saison war aus dem Royal Opera House London (ROH) im Dresdner Ufa Kristallpalast und anderen Kinos Jules Massenets Oper „Werther“ zu erleben. Für viele Musikfreunde verbinden sich mit den beiden Hauptrollen untrennbar die Namen Sophie Koch und Jonas Kaufmann als Charlotte und Werther und gelten (oder galten) als die beiden Protagonisten.

Jetzt gab es eine ganz andere, sehr sensible, überaus berührende Interpretation, die „unter die Haut“ ging, ein Seelendrama sehr nahe an Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“. Joyce Didonato gab ihr Debüt als Charlotte und nahm mit ihrem gesanglichen Können und ihrer überaus intensiven Darstellung gefangen, und Vittorio Grigolo war ein adäquater Gegenspieler als Werther.

Die beiden Sänger-Darsteller „durchlebten“ ihre Rollen ganz im Sinne der Entstehungszeit des Romans, den der junge Goethe als jugendlicher „Heißsporn“ schrieb. Joice Didonato vertiefte sich so sehr in die Gestalt der Charlotte, dass sie erst wieder zu sich finden musste, als sie am Schluss mit den anderen Sängern vor den Vorhang trat. Vittorio Grigolo war ein überaus leidenschaftlicher und glaubhafter Werther – zwei sehr gute Charakterdarsteller und wunderbare Sänger.

Als „Zuschauer“ war man tief betroffen von dieser intensiven Darstellung und den  hervorragenden sängerischen Leistungen, die eins waren mit der Darstellung und wie selbstverständlich „herüberkamen“, eins auch mit der orchestralen „Begleitung“ des Orchestra of the Royal Opera House unter der immer wieder beeindruckenden Leitung von Antonio Pappano in kongenialer Partnerschaft.

Dank der weltweiten Ausstrahlung in den Kinos konnte man unmittelbar teilhaben an dieser psychologisch bis in verborgene Tiefen auslotenden Darstellung, die Leinwand und Opernhaus vergessen ließ.

Die „Filmische Inszenierung“ (Jonathan Haswell) tat ein Übriges, wobei man sich manchmal doch einige Zentimeter mehr Abstand gewünscht hätte, um die durch Kostüm und Frisur wirklich jugendlich wirkende Joice Didonato noch jugendlicher vor Augen zu haben, denn Kleid und Frisur und vor allem ihre Mimik ließen sie als wirklich liebenswürdiges jugendlich reizvolles Mädchen erscheinen, ein Eindruck, den die Besucher im Opernhaus durch mehr Abstand gewiss uneingeschränkt hatten. Die Bildregie holte vor allem die beiden Hauptakteure immer sehr nahe heran, aber allzu viel Nähe kann auch  den guten Gesamteindruck beeinträchtigen.

Die weiteren, die Handlung mit tragenden Personen waren mit guten Sängern und Darstellern, die auch in ihrer äußeren Erscheinung typischen Charakteren entsprachen, stimmig besetzt. Sie traten zwar in Anbetracht der faszinierenden Verkörperung der beiden Hauptdarsteller zurück, erfüllten aber ihre Aufgaben sowohl sängerisch, als auch darstellerisch sehr glaubhaft, allen voran Heather Engebretson als Charlottes quicklebendige, lebensbejahende Schwester Sophie und auch Emily Edmonds als Käthchen.

Jonathan Summers war ein exakter, wohlwollender Amtmann und Vater seiner 8 Kinder, von denen Charlotte, die Älteste, liebevoll ihre jüngeren Geschwister umsorgt. Er sang 1979 an gleicher Stelle den Albert.

Eine markante Charakterrolle bot David Bizic als stoischer, gutmütiger, sicher sehr pflichtbewusster, aber unsentimentaler, „undurchdringlicher“, fast „stumpfer“, gefühlsarmer Albert, groß exakt und langweilig, bei dem nur allzu verständlich ist, dass sich Charlotte in den Dichter Werther verliebt, der viel Leidenschaft und Gefühl zeigt.

Yuriy Yurchuk und Francois Piolino sollten als Johann und Schmidt, zwei sehr diesseitige, fröhliche Gesellen und Gegenspieler zum Liebes- und Seelendrama die Szene auflockern, aber ihre Heiterkeit „verebbte“ angesichts der so intensiv und sensibel verkörperten tragischen Liebe der beiden jungen Menschen Charlotte und Werther.

Das Bühnenbild von Charles Edwards (Leitung der Wiederaufnahme: Andrew Sinclair) und die Kostüme von Christian Hasc führten – wenn auch nicht nach Wetzlar, sondern auf englische Art – ins 18. Jahrhundert, als es üblich war, die Gefühlswelt mit ihren seelischen Vorgängen und Empfindungen einzufangen und literarisch offenzulegen, ja zu „sezieren“ und künstlerisch zu überhöhen. Andernfalls macht diese Oper keinen Sinn, denn die Probleme von Konvention, Moral und Tochtertreue verfangen heutzutage nicht mehr. Kaum jemand würde das in einer modernen Inszenierung ernst nehmen. In der damaligen Zeit waren es echte Probleme, Zwänge, ein Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gab – außer durch den Tod – und auch ein Selbstmord wäre in einer modernen Interpretation kaum noch aufregend, zumindest nicht so, wie es Joice Didonato und Vittorio Grigolo dargestellt, ja „durchlebt“ haben.

Es war die letzte Live-Übertragung der Saison aus dem ROH, und man kann schon sehr gespannt sein auf den Beginn der neuen Saison mit „Norma“ (26.9.)

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken