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LINZ/Neues Musiktheater/Landestheater: GÖTTERDÄMMERUNG. Premiere

08.02.2015 | Allgemein, Oper

Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“

Musik und Dichtung von Richard Wagner

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Foto: Helmut und Petra Huber

„Den Ring muss ich haben“ prangt auf einem weithin sichtbaren Transparent knallig in Weiß auf Rot seit Eröffnung des Musiktheaters am Volksgarten im Frühjahr 2013 hoch oben über der Blumauerstraße. Das zitiert nicht nur Wotan, sondern genauso Dr. Rainer Mennicken, den Intendanten des Landestheaters, der für die Programmierung zu Zeiten der Übersiedlung aus dem alten, recht bescheidenen Haus an der Promenade ins großzügige neue Haus verantwortlich zeichnete. 6 Jahre an Planung waren für das Wagner’sche Großwerk nötig, und nicht zuletzt eine besonders komplexe Diensteinteilung (Helene von Orlowski), um diese Werke gut durch Proben und Aufführungen zu bringen.

Die Inszenierung des operatischen cyclus maximus legte der Intendant des hessischen Landestheaters in Wiesbaden (am Wege zu „Parsifal“ in Bayreuth), Uwe Eric Laufenberg, nach bekanntem Muster als Reise durch die Zeiten an: Antike, 1920er/40er-Jahre und das (schäbige) Heute hatten wir schon von Rheingold bis Siegfried, der letzte Abend spielt in einer nicht näher bezeichneten Zukunft. Die Bühne gestaltete Gisbert Jäkel (mit einigen Rückgriffen auf Wieland-Wagner-Ästhetik und architektonischer Inspiration durch Ludwig Mies van der Rohe oder Philip Johnson), mit Lichtdesign von Andreas Frank, Video: Falko Sternberg, Dramaturgie: Wolfgang Haendeler.

Als die drei Nornen (Bernadett Fodor – mit gewaltiger Stimme, Karen Robertson – gegenüber ihren Auftritten als Fricka 2013/2014 weit besser, schließt an gute frühere Zeiten an, Brit-Tone Müllertz – vorzüglich), schön arrangiert nach den drei Teilen des ersten Themas, auftreten, steht ein gläsernes Haus auf der Bühne, aber rundherum sieht man Reste der Reithalle aus der Walküre und dem Siegfried. Eine Esche oder eine Tanne oder ein daran geknüpftes Seil wird man vergeblich suchen, dafür tritt ein Edelstatist auf: Gerd Grochowski wirft als Wotan einen gewaltigen Schatten, auch wenn er freilich stumm bleibt, während die Nornen seine Betrügereien und Irrtümer aufzählen.

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Foto: Karl Forster für Linzer Landestheater

Das Wohnhaus von  Siegfried Lars Cleveman und Brünnhilde Elena Nebera dürfte nach dem Vorbild von van der Rohe’s Farnsworth House hingestellt worden sein; das wurde auch schon in den 1940ern gebaut, ist also auch nicht gar so futuristisch. Die beiden haben sich ebenso „altmodern“ eingerichtet, Siegfried leistet sich, etwa im Fauteuil Modell B 3 („Wassily“) von Marcel Breuer sitzend, vor seiner Rheinfahrt eine Genußrasur, während er seinen Frühstückskaffee genießt.

Die Reise rheinaufwärts wird als Projektion auf dem Szenenvorhang gestaltet: bekannte Motive der Rheinlandschaft wie Burg Pfalzgrafenstein bei Kaub – aber haben sich da nicht Neckarbrücke und Schloß in Heidelberg hineingeschmuggelt?

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Albert Pesendorfer als Hagen. Foto: Karl Forster für Linzer Landestheater

Als Hagen (Albert Pesendorfer) Siegfried begrüßt, antwortet dieser vom Rang weit hinten – nicht der einzige „Quadrophonieeffekt“, den man sich für diese oft klangrauschhafte Produktion leistet. Die Gibichungenhalle ist architektonisch im Stil der 1920er-Jahre gehalten, mit Holzvertäfelung eines großen Durchganges, einem herrschaftlichen Tisch mit modernen Bürosesseln und eher konservative weitere Sitzmöbel. Im Durchgang erscheinen immer wieder Projektionen. Die Kostüme der gibichungischen Zukunft könnte man als gemäßigt spacig bezeichnen (Antje Sternberg), die „Mannen“ sind mit dem „guten alten“ StG 77 ausgerüstet.

Die aufwendigen wiederholten Umbauten im ersten Akt laufen übrigens lautlos ab, ohne die vor dem Vorhang „weiterwebende“ Musik zu stören.

Bernadett Fodor leiht ihre profunde Stimme auch der Waltraute, jedoch wissen wir: dieser eindrückliche Auftritt warnt Brünnhilde vergeblich. Die Betrugsszene mit Tarnhelm findet zum größten Teil auf dem Flachdach der Brünnhilde/Siegfried-Behausung statt – dieses mißt vielleicht 6 x 6 m, und nachdem die Regie nicht gerade auf Statik setzt, kommt es dabei ein paarmal zu Momenten, in denen man fürchtet, einer der Darsteller könnte abstürzen. In der Mitte der Behausung ist ein Kamin installiert (vergleiche Philip Johnsons glass house), in der sozusagen die Bauhausversion des Feuers vom Brünnhildenfelsen brennt – und als es (bei Eindringen der beiden mutmaßlichen Fremdlinge) wieder hochgefahren wird, gibt’s eine beachtliche Verpuffung mit allerhand Rauchentwicklung, was die Darsteller allerdings geistesgegenwärtig wegsteckten (aber in der Pause zu merklichen Diskussionen bei Mitgliedern des Produktionsteams führt).

Wieder zurück bei den Gibichungen tauchen die Eltern (!) von Hagen auf (offensichtlich zurückgekehrt von ihrem Einkauf bei Aldi oder eher einem namenlosen Tante-Emma-Laden – die Einkaufstaschen bestehen aus unbedrucktem braunen Packpapier), und der vorerst stumme Alberich (Bjørn Waag) stellt einen der Bürosessel für seinen Sohn auf den Tisch, in dem dieser ähnlich wie in einem Thron Platz nimmt.

Sicher kann man den Darsteller des Alberich als normal gewachsen bezeichnen, jedoch neben Herrn Pesendorfer mit seinen deutlich mehr als 1,80 m Höhe ist wohl leicht Zwerg spielen; ein knitterig-speckiges outfit, das dem von Peter Falk‘s Inspector Columbo stark ähnelt, hilft auch noch dabei. Jedoch will wohl Alberich, als er zu Beginn des 2. Aktes seinen ihm längst über den Kopf gewachsenen Sohn auf Macht und Mord trimmt, seine Macht mit Sicherheit spielen lassen: daher stellt er eine Videokamera auf und bringt sein Bild so auf die erwähnte Projektionsfläche, auf welcher er natürlich dann auf alle Fälle mächtiger als Hagen erscheint.

War die Produktion bis dahin szenisch als befriedigend, aber nicht aufregend zu bezeichnen, ändert sich das mit dem Eintreffen der „Brünnhildenfänger“ drastisch: angefangen mit dem gespenstischen Auftritt einer zutiefst schockierten Brünnhilde gerät alles einfach mitreißend hochdramatisch, bis hin zum Aktfinale mit der blutigen Verschwörung.

Ein – natürlich völlig gegenstandsloses – Klischee lautet, daß ein rechter Waidmann niemals an einer Tränke vorbeigehen könne, zumal, wenn diese höherprozentige Alkoholika anbietet. Auf dieses bauen wohl die Rheintöchter, denn sie haben sich mit ihrer Bar „zum Rheingold“ genau dorthin gestellt, wo der wackere Jägersmann Siegfried vorbeikommen muß. Woglinde Claudia Braun-Tietje, Wellgunde Gotho Griesmeier und Floßhilde Kathryn Handsaker (alle drei vorzüglich bei Stimme und Spiellaune) locken ihn nicht nur mit Getränken, sondern durchaus auch mit elaborat dargebotenen körperlichen Reizen, was dieser ja – textlich mehrfach belegt – nicht unbedingt als Zumutung empfindet. Freilich folgt er zu seinem Unheil den Angeboten nicht, auch als es die drei schlüpfrigen Damen auch noch auf die bedrohlich-blutige Tour versuchen.

Die folgenden Szenen finden, man glaubt es in Zeiten des „Regietheaters“ kaum, tatsächlich im Wald statt: Eine ansehnliche Strecke – eine gelungene Leistungsschau der Requisite – wird präsentiert, bevor Siegfried als letzte Jagdbeute fällt. Sein folgendes Arioso – dramaturgisch von Wagner nicht sehr überzeugend placiert, mit dem tödlichen Lanzenstich im Leibe! – wird mit Versatzstücken aus seiner Vergangenheit recht plausibel gedeutet als Ablauf des Lebens vor dem inneren Auge des Sterbenden: von der Esse, in dem Nothung neu geschmiedet wurde bis hin zum Teddybären, den er als Zögling von Mime besaß.

Der Trauermarsch kommt fast lyrisch daher, bevor er zu seiner düsteren Pracht und doch auch Tröstlichkeit mit der gehörigen Dynamik ausbricht; auch hier sehen wir wieder eine Projektion: eine Reise zum Licht, wie sie von Nahtoderlebnissen her bekannt ist.

Brünnhildens Todessprung wird, mit einem riesenhaften Grane als Kulissenteil, wie der Untergang Walhalls in feurigen Bildern bis hin zur Atomexplosion und zur Vernichtung bekannter Wahrzeichen wie des Empire State Building auf der Projektionsfläche symbolisiert, bevor, während der coda, die Vernichtung unter dem Symbol des Ringes langsam wieder Bildern neuen Lebens weicht.

Danach ein, zwei Sekunden – Stille(!), bevor der Applaus einsetzt – ca. 10 Minuten lang, wobei uns das Ende per Saallichtaufblendung bedeutet wurde (nach deutlich mehr als 5 Stunden Aufführungsdauer vielleicht verständlich). Die Hauptprotagonisten, Dirigent und Orchester bekamen am meisten davon, und mit Begeisterung, ab, und auch das Produktionsteam mußte keine Buhrufe entgegennehmen.

Lars Cleveman ist als Siegfried (und auch mit Maske als „Gunther“) hervorragend bei Stimme, zeigt keinerlei Ermüdung, überzeugt auch schauspielerisch und, mehr als in „Siegfried“, mit seiner Diktion.

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Foto: Karl Forster für Landestheater Linz

Brünnhilde Elena Nebera kommt, verglichen mit der „Walküre“, immer besser in Fahrt, hat einiges an früher störender Kehligkeit in tiefen Lagen abgelegt, wenn auch das Vibrato manchmal noch etwas zu sehr dominiert und die Textdeutlichkeit nicht optimal ist. Die lyrischeren Teile der Rolle gelingen ihr aber sehr gut, und was sie, nach so vielen Stunden in dieser wahnsinnig anstrengenden Rolle, am Schluß noch an präzise gesungenen (nicht geschrieenen!) Spitzentönen scheinbar beliebiger Lautstärke zu bringen imstande ist, ist höchst eindrucksvoll. Und ihre schauspielerische Leistung vor allem im zweiten Akt ist für sich schon sehenswert.

Albert Pesendorfer war trotz Ansage wegen grippalen Infektes in großer Form, nur die allerunterste Tiefe schwächelte geringfügig. Er zeigte bedrohliche (aber keinesfalls eintönige) Bühnenpräsenz, von lauernd bis brutal. Und kann auch körperlich auf die Zehntelsekunde präzise sein, wie er mit seinem Speer beweist. Gunther Seho Chang dröhnt fast so mächtig wie Herr Pesendorfer, ist textdeutlich und schauspielerisch fesselnd ebenso wie jener.

Bjørn Waag als Alberich zeigt wieder eine sängerisch und schauspielerisch grundsolide Leistung von internationalem Niveau, wie schon in seinen bisherigen Ring-Rollen.

Die Gutrune Sonja Gornik kommt in ihrer stimmlichen Durchschlagskraft nahe an Elena Nebera heran, verfügt jedoch über eine ausgewogenere Stimmführung. Auch sie schauspielerisch überzeugend.

Dennis Russell Davies hat als Dirigent eine großartige Leistung gebracht – seine Tempi und Lautstärken wirken überzeugend und selbstverständlich, und die Präzision des Zusammenwirkens von Graben und Bühne ist makellos, sowohl in timing wie der Dynamik. Dem Trauermarsch verleiht er eine eigene, durchaus interessante, vielleicht sogar faszinierende Note.

Das Bruckner-Orchester war schlicht und ergreifend toll. Zumal die bis zu den Grenzen der Leistungsfähigkeit geforderten Bläser (siehe die in der Vorberichterstattung erwähnten vorgesehenen Ablösen!) spielten mit äußerster Präzision – uns fiel nicht einmal ein einziger verkickster Ansatz oder sonst irgend eine auch nur winzige Fehlleistung auf. Extralob für Solotrompete und die Hörner!

Chor und Extrachor (Leitung Georg Leopold/Martin Zeller) konnten wie immer stimmlich wie szenisch überzeugen

Dr. Menicken „hat“ ihn nun, „seinen“ Ring – und Dennis Russel Davies hat ihn, mit dem Bruckner-Orchester, nun erstmals szenisch. Auch auf Sängerseite gab es zahlreiche Rollendebütanten, die sich großteils der Aufgabe als voll gewachsen zeigten; ein hoher Anteil der Besetzung konnte aus dem Haus bedient werden.

Die Ring-Opern werden, teils zyklisch, bis Ende dieser Saison weiter aufgeführt, “einige 100 Karten sind insgesamt noch erhältlich“. Und dann? Mennicken, dessen Amtszeit bald zu Ende geht, schätzt, daß es 10 bis 15 Jahre dauern wird, bis sich das Landestheater Linz wieder dieser Titanenaufgabe unterziehen wird…

 H & P Huber

 

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