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LINZ / Musiktheater: Vicenzo Bellinis I CAPULETI E I MONTECCHI

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Julia (Ilona Revolskaya), Capellio (Dominik Nekel), Ensemble (Männerchor). Alle Fotos: Landestheater Linz / Reinhard Winkler

LINZ / Musiktheater: Vincenzo Bellinis I CAPULETI E I MONTECCHI

6. Juni 2021 (Premiere vor Publikum 22.6.21)

Von Manfred A. Schmid

Gegenüber Gounods bekannter Oper Roméo et Juliette, 1867 uraufgeführt, tut sich Bellinis tragedia lirica aus dem Jahr 1830 auf den Opernbühnen deutlich schwerer. Es lohnt es sich daher nach Linz zu fahren, wo derzeit im Musiktheater des Landestheaters eine szenisch beeindruckende und sängerisch famose Neuproduktion von I Capuleti e i Montecchi dargeboten wird. Der Unterschied zwischen beiden Bearbeitungen des Stoffes sind beträchtlich. Während sich Gounods Librettisten Jules Barbier und Michel Carré auf Shakespeares Vorlage stützen, bedient sich Felice Romani vor allem älterer italienischer Überlieferungen. Bei Bellini ist der Ausgangspunkt der unversöhnliche Streit zwischen der Familie der romtreuen Montecchi (Partei der Guelfen) und der Familie der kaisertreuen Familie Capuleti (Ghibellinen). Ein seit Jahren schwelender Konflikt der sich durch die Liebe Romeos, des Anführers der Montecchi, zu Julia, der Tochter des Ghibellinen-Clanchefs Capellio, verkompliziert und zuspitzt. Bei Gounod hingegen steht klar die Liebesgeschichte im Zentrum. Der Zwist zwischen beiden Familien liefert dazu den entsprechenden Hintergrund. Oder, auf den Punkt gebracht: In Romeo et Juliette leidet die Beziehung der beiden durch den Krieg, in I Capuleti e i Montecchi leidet der Krieg durch die ungehörige Beziehung der beiden, die gemeinhin als Hochverrat angesehen wird.

In der Inszenierung von Gregor Horres steht der latente Krieg eindeutig im Vordergrund. Das signalisieren aber auch die Ouvertüre und die Einleitung zum 2. Akt, wo militärische Fanfarenmusik und schmetternde Klänge vorherrschen. Die graugewandeten Soldaten, der Chor, manchmal aufmarschierend, meist aber, beobachtend und kommentierend am Bühnenrand sitzend, sind fast durchgehend auf der Bühne präsent. Da das Licht von hinten kommt, nehmen sich ihre schattenhaften Konturen, keinerlei Individualität preisgebend, bedrohlich aus. Auch der Hofstaat, die Dienerschaft, wird unterschiedslos von der Soldateska dargestellt. Somit herrscht permanenter, beklemmender Alarmzustand. Erst gegen Ende, Julias Tod beklagend, verwandeln sich die dunklen Gesellen dann in wandelnde Trauerkerzen. Was sich auf der Bühne (von Elisabeth Pedross) abspielt, erinnert an einen karg-expressiv in Szene gesetzten Schwarzweiß-Film. Ein mächtiges, grauschwarz schillerndes Tor, drehbar und Nischen freigebend, steht einschüchternd im Mittelpunkt und dient als Schauplatz für die diplomatischen Unterhandlungen, die heimlichen Treffen der Verliebten sowie die eskalierenden Auseinandersetzungen. Ein Tor, das seiner ursprünglichen Zweckbestimmung, Verbindung zwischen zwei Seiten herzustellen und Zugang zu gewähren, nicht gerecht wird, sondern allzu oft als Sperrvorrichtung in Erscheinung tritt.

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Lorenzo (Michael Wagner) und Capellio (Dominik Nekel)

Allein die Hauptakteure setzen mit ihrer Kleidung (Kostüme Yvonne Forster) farbig Akzente. Die Personenführung ist exzellent, der Ablauf der Ereignisse gut nachvollziehbar. Ilona Revolskaya ist eine zunächst unschlüssig hin und hergerissene Julia, die erst allmählich der Liebe gegenüber der verpflichtenden Treue zur Familie den Vorrang einräumt. Die russische Sängerin verfügt über einen silbrig-hellen, glockenreinen Sopran, der auch in den fordernden Belcanto-Koloraturen trefflich zur Geltung kommt. Die Rolle des Romeo ist von Bellini einem Mezzosopran anvertraut. Anna Pennisi hat in dieser Hosenrolle u.a. bereits am Klagenfurter Stadttheater auf sich aufmerksam gemacht, zeigt auch an diesem Abend – bei ihrem ersten Einsatz in Linz – gute Figur und singt prächtig.

Sämtliche weiteren Rollen sind bewährten Mitgliedern des Ensembles anvertraut. Michael Frey, als Publikumsliebling der Saison 2019/20 jüngst mit der Richard Tauber Medaille ausgezeichnet, kann mit seinem stattlichen Tenor der Figur des in unerwiderter Liebe zu Julia entbrannten Tebaldo jene emotionale Tiefgründigkeit verleihen, die ihn zuletzt durchaus sympathisch macht. Erschüttert vom Tod Julias, tötet er sich selbst, nachdem der zuvor Romeo zu überzeugen versuchte, Julia mehr geliebt zu haben und daher jetzt mehr betrauere als jener. Ein Wettmessen, dass leicht lächerlich wirken könnte, wenn sein Bekenntnis zuvor nicht so authentisch herüberkommen würde.

Der Bariton Michael Wagner als Lorenzo ist ein rauchender, Tabak und vermutlich auch Drogen schnupfender Arzt, der dem Liebespaar findig zur Seite steht und hier – anders als bei Shakespeare und damit auch bei Gounod – im entscheidenden Moment Romeo verhängnisvollerweise nicht in seinen Plan einweihen kann, da er kurz zuvor getötet wird. Capellio, das Oberhaupt der Familie Capuleti, ist mit Dominik Nekel hervorragend besetzt. Ein Clan-Chef, der seiner Macht bewusst ist und dies mit einem mächtigen wie artikulationsreichen Bass auch imponierend bekundet. Angesichts des Todes seiner Tochter muss er sich dann den Vorwurf seines Gefolges gefallen lassen, durch seine Unbarmherzigkeit und Starrsinnigkeit daran die Schuld zu tragen.

Der Chor beweist in den Auftritten seine breite Wandlungsfähigkeit und Einsatzfreude. Enrico Calesso als musikalischer Leiter zaubert mit dem Bruckner Orchester Linz Belcanto-Flair in das gutbesuchte Haus, Stimmführer sorgen in den Arien für allerlei feine, solistische Untermalungen. Einhelliger, freudvoller Applaus.

 

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