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LINZ/ Landestheater: PELLÉAS ET MÉLISANDE. Premiere

20.03.2016 | Oper

Premiere des Landestheaters Linz im Musiktheater am 19. März 2016
Pelléas et Mélisande
Lyrisches Drama in fünf Akten und zwölf Bildern nach der gleichnamigen Dichtung von Maurice Maeterlinck, Musik von Claude Debussy.
In französischer Sprache mit Übertiteln

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Copyright: Karl Forster

Im Jahre 1886 verdichtete der Maler Jean Moréas die zwischen Im- und Expressionismus liegende künstlerische Strömung des Symbolismus in folgende Worte: „Die wesentliche Eigenschaft der symbolistischen Kunst besteht darin, eine Idee niemals begrifflich zu fixieren oder direkt auszusprechen“ – man arbeitete also grundsätzlich „zwischen den Zeilen“, mit Assoziationen, gerne und wohl zum letzten Mal in der Kunstgeschichte mit Rückgriffen auf die Mythen der Antike, um oft düstere, damals offiziell verpönte, Themen des Inneren, der Psyche darzulegen.

Die damals noch überwiegend gegenständliche Malerei (etwa eines Böcklin, Gauguin, Hodler oder Munch) musste sich schon einiges einfallen lassen, um Leidenschaften und Träume gesellschaftlich (oft gerade noch) „akzeptabel“, oft aber auch bewusst skandalös, zu thematisieren. Die Literatur, in der diese Strömung zuerst auftrat (Charles Baudelaires „Fleurs du mal“, 1842 markieren die Anfänge) konnte hingegen auf bewährte umwegige und vieles sagende Be- und Umschreibung zurückgreifen. Und die Musik, als schließlich ohnedies überwiegend auf einer Metaebene arbeitende Kunst, fügt sich dort leicht ein – so leicht, dass die Historie für diese keine eigenständige Epoche des Symbolismus definiert; aber könnte nicht das Adagietto aus Mahlers 5. Symphonie ein Beispiel einer speziell symbolistischen Komposition abgeben?

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Copyright: Karl Foster

Vertonungen symbolistischer Literatur sind allerdings eher rar und nicht unbedingt eine Sache von musikalischen Zeitgenossen; das mag darin begründet sein, dass Dichter wie Verlaine sehr auf Musikalität ihrer Texte bedacht waren und im Fall einer Vertonung wohl so etwas wie Interferenzen befürchteten. Stéphane Mallarmé sah überhaupt seine Poesie als eigenständige Kunst in strenger Form, die keine Relativierung durch die zeitüblichen Klangspielereien vertrug – so Theo Hirsbrunner 1978 im „Archiv für Musikwissenschaft“. Trotzdem wurden einige Verse Mallarmés um 1895 herum von Ravel und Debussy vertont – freilich im vollen Bewußtsein der formalen Anforderungen des Dichters, die sie ähnlich aber auch an ihre Komposition stellen; zudem versuchte sich Debussy zu der Zeit auch selbst in der Dichtkunst. Zwar fußen spätere bedeutende Kompositionen auf symbolistischer Literatur („Die tote Stadt“ von E. W. Korngold und „Pierrot Lunaire“ von Arnold Schönberg), doch ist eine regelmäßige zeitgenössische Zusammenarbeit in diesem Stil kaum zu finden (von Debussys Verlaine-Vertonungen abgesehen – aber dessen Gedichte sind mehr romantisch als symbolistisch).

Maurice Maeterlincks 1892 uraufgeführtes dramatisches Gedicht über unheilvolle, zu Tod und Verderben führende Liebe und Leidenschaft gilt als das Hauptwerk des Symbolismus und ist als solches natürlich durchaus abgeschlossen. Eifer und Begeisterung, mit der sich Claude Debussy 1893 an eine Vertonung machte, überzeugten den Dichter aber von solch einer Erweiterung. Über die lange Zeit, die der Komponist für sein Werk benötigte, blieben Maeterlinck und Debussy freundschaftlich verbunden – bis es, kurz vor der Uraufführung, wegen der Sängerin der Mélisande (der Dichter wollte seine frisch angetraute Ehegattin Georgette Leblanc, Debussy hatte sich mit dem Dirigenten aber schon auf eine andere geeinigt…) noch zu einem heftigen Streit kam: der Dichter beschuldigte Debussy öffentlich – immerhin in „Le Figaro“ – der Verfälschung des Textes, wollte gar die Aufführung verhindern. Tumulte empörter Anhänger des Dichters bei der öffentlichen Generalprobe folgten. Die Uraufführung am 29. April 1902 konnte aber ruhiger und letztendlich sehr erfolgreich stattfinden, und blieb das Stück dann lange, ausverkauft, am Spielplan der Opéra-Comique.

Intendant Dr. Rainer Mennicken lässt in seiner letzten Saison das Landestheater quasi im Festspielmodus laufen: Inszenierung, Bühnen- wie Personengestaltung sowie die Beleuchtung, nein, Lichtstimmungen, ja Lichterzählungen dieser tödlichen Dreiecksgeschichte liegen in den Händen des deutschen Regiegiganten und Universalkünstlers Achim Freyer (unterstützt von Moritz Nitsche und Sebastian Alphons, dramaturgisch von Wolfgang Haendeler). Das Ergebnis ist eine völlig surreale Präsentation der Handlung, die ja teils ohnedies nur aus Erzählungen, Briefen etc. gebildet wird. Die teils bunten, teils monocolor-verlaufenden Lichtstimmungen (der Regisseur sprach von gegen 8.000 Einstellungen – natürlich nur mittels Vorprogrammierung am Computer zu bewältigen) erschöpfen sich freilich nicht in einer einfachen Illustration von Gefühlen, sondern treiben auch die Handlung fort, da die Protagonisten den ganzen Abend über in teils wechselnden, teils fixen (das Königspaar) Stellungen über der Bühne schweben und daher wenig mobil sind. Wer von den Gestalten wirklich singt, ist allerdings mitunter fraglich, denn es gibt für jede Rolle ein „Double“, das je nach szenischer Möglichkeit den Sängerinnen und Sängern auch eine Pause erlaubt, oder sie von allzu exponierten Positionen frei hält. Wie und wo auch immer befindlich, die Sänger sind gut hörbar. Körperliche Interaktionen der Handelnden kommen nicht vor, diese werden nur pantomimisch angedeutet – etwa als Goulaud Mélisande über 5 m Entfernung „an den Haaren reißt“. Personenführung und Bewegungen sind nicht unähnlich denen bei Robert Wilson, allerdings weit weniger hektisch, oft definitiv zeitlupenhaft (und so natürlich auch extreme Körperbeherrschung verlangend).

Das Grundmuster des Bühnenaspektes wird lange Zeit von einem streng geometrischen Raster von runden Scheiben dominiert, die in zwei Ebenen gehängt sind und teils per Scheinwerfer, teils per eingebauter Beleuchtung weitere Lichteffekte liefern. Davor ist noch ein grauer Gazeschleier gehängt, der die Szenerie weiter ins Surreale, mitunter Schemenhafte entrückt. Eine heutige visuelle Interpretation der symbolistischen Bilderwelten, in Hinblick auf mehrere einschlägige Ausstellungen, die wir in den letzten Jahren besucht haben, kommt uns in den Sinn. Herausfordernd, aber sehr suggestiv, magnetisch hineinziehend – nur die bei der Aufführungsdauer unvermeidliche Pause weckt uns recht unsanft aus der Freyer‘schen Welt dieses bösen Märchens.

Ein weiterer Bruch derselben kommt mit dem Tod von Pelléas: Gazeschleier und Scheibenraster fallen, die Szene wird in kaltweißes, hartes Vertikallicht getaucht und ähnelt plötzlich einem Schlachtfeld nach Abzug der Truppen. Erst der Tod von Mélisande und die Hoffnung auf eine bessere, weniger gewaltsame Zukunft für ihre Kinder schimmert wieder in freundlicherem Licht.

Debussy setzte wie Wagner und Strauss auf einen der Sprache nahen, quasi natürlichen Fluß der Singstimmen. Seine Musik ist radikal modern (im Grunde ein über drei Stunden variierter Tristan-Akkord…) und den Zeitgenossen wie Mahler oder Puccini weit voraus. Wir hatten den Eindruck, sie Musik sei kantiger und eigenwilliger als alles, was wir in den letzten Jahren an neueren und neuesten Kompositionen gehört haben. Freilich schafft Debussy mit diesen Mitteln Klangflächen und intensive Stimmungen wie in seinen berühmten und populären symphonischen Skizzen, aber oft schroffer, und vor allem hält er diese Spannung über Stunden. Und es gibt keinerlei harmonische Auflösung, keine Entspannung, keine Gnade, bis auf den Schlußakkord – da passt auch das Bild, dass die Protagonisten körperlich in Schwebe bleiben… Inszenierung und Musik gehen völlig Hand in Hand.

Dennis Russell Davies hatte diese Oper schon in drei Produktionen geleitet – in Rotterdam, in Stuttgart und Philadelphia, alles renommierte Orchester. Aber, so sagte er bei der Premierenfeier, erst mit dem Brucknerorchester habe er am heutigen Abend wirklich die Klänge erreichen können, die ihm vorschwebten. Dem können wir uns nur in Begeisterung anschließen – die Orchesterleistung war absolut makellos: feinst ziseliert, präziseste Phrasierung egal in welchen Instrumentenkombinationen egal in welcher Lautstärke, atemberaubende Effekte wie ein ins ppp verhauchender Paukenwirbel; dabei immer in Spannung, immer intensive Farben verströmend (und lässt sich auch von einem kurzen Ausfall der Pultbeleuchtung nicht aus dem Fluß bringen). Freilich steht dahinter auch eine fantastische Arbeit des Dirigenten (und Marc Reibels als seines Assistenten)!

Arkel, König von Allemonde, wurde von Nikolai Galkin mit vorzüglich geführtem, schön timbriertem Baß gesungen, seine Gattin Geneviève ebenso überzeugend, mit mütterlicher Wärme, von Karen Robertson. Seho Chang war der wilde bis brutale Golaud, der aber ebenso mitfühlend und liebevoll sein konnte – der koreanische Bariton hat uns alle Facetten der Rolle mit schöner, kräftiger, dunkler Stimme feinst differenziert präsentiert. Sein Bruder und Nebenbuhler Pelléas wurde von Iurie Ciobanu im Prinzip lyrisch gegeben, jedoch kann sich seine Stimme auch gegenüber dem großen Orchester, das diese Partitur vorsieht, ohne hörbare Anstrengung behaupten; auch er hat Emotionen wunderbar transportiert, zudem harmoniert sein timbre besonders gut mit dem französischen Text.
Die Mélisande ist ein weitere großartige Leistung von Myung Joo Lee, die seit 6 Jahren in Linz engagiert ist: von schüchtern bis aufbegehrend, von liebevoll bis traurig – all das ließ sie uns mittels ihrer Stimme eindringlich mitfühlen.

Die gar nicht kleine Rolle des Kindes Yniold sang Tabea Mitterbauer (Mitglied des Jugendchores) mit berückend schönem, hellen und doch blumigem Sopran. Ein Arzt / Ein Schäfer – jedenfalls in der Maske des Todes auftretend und als Figur mit ihrem Text womöglich Ideenquelle des Romans und Films „das Schweigen der Lämmer“ (!) – war Ville Lignell mit sauberem Bariton.
Der Chor des Landestheaters Linz unter Leitung von Georg Leopold hatte diesmal weniger zu singen – aber was er sang, war wunderbar.

Leider verließen viele Zuseher in der Pause das Theater. Die, die bis zum Ende blieben, spendeten begeisterten Applaus, jedoch gab es für den Regisseur/Ausstatter auch einige kräftige Buhrufe.

H & P Huber

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Premierenfeier (in Linz immer öffentlich). Achim Freyer und Dennis Russell Davies. Copyright: H & P. Huber

 

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