Gernot Romic. Copyright: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Linz: „ATTENTÄTER (ASSASSINS)“ – Premiere am Schauspielhaus des Landestheaters, 07. 04.
Eine Revue in einem Akt von Stephen Sondheim (Musik, Songtexte) und John Weidman (Buch), nach einer Idee von Charles Gilbert.
In deutscher Sprache; übersetzt von Michael Kunze
Die meisten vor 1960 Geborenen werden wohl wissen, was sie am Abend des 22. November 1963 getan und gefühlt haben – denn da langte in Europa die Nachricht über die Ermordung von John Fitzgerald Kennedy, des 35. Präsidenten der USA, ein.
Seit den „Iden des März“ vor gut 2000 Jahren ist das Attentat auf Mächtige ein Gegenstand von Betrachtungen und Überlegungen jeglicher Art. So weit wollten die Autoren die Spanne ihrer Darstellung freilich nicht strecken und beschränkten sich auf die blutig-ergiebige US-Geschichte: Abraham Lincoln (+ 1865), James Garfield (+ 1881), William McKinley (+ 1901) und natürlich Kennedy, dann der Attentatsversuch gegen Franklin Delano Roosevelt 1933, der Chicagos Bürgermeister Anton Cermak das Leben kostete, die erfolglosen Anschläge von Lynette Fromme und Sara Jane Moore auf Gerald Ford – 1975 war die Emanzipation auch im Assassinengeschäft angekommen. John Hinckleys Schüsse auf Ronald Reagan, der nur durch exzellente Chirurgenleistung überlebte, schließen 1981 die Reihe. Dazwischen gabs noch Samuel Byck, der schon Anfang 1974 plante, mit einem entführten airliner ins Weiße Haus zu stürzen und Richard Nixon zu töten.
Kastner, Brücher. Copyright: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Mit dem von den präsidentiellen Amtseinführungen bekannten „Hail to the Chief“, hier verschrägt für einen Jahrmarkt, im Original Schauplatz des Abends, werden die Protagonisten vorgestellt, während sie mit ihrem „Handwerkszeug“ versorgt werden. Die Attentäter werden mit Kompositionen charakterisiert, die den Epochen ihrer Taten entsprechen, und auch Konflikte finden kompositorisch ihren Niederschlag. Natürlich geht es um mehr als um den jeweiligen Präsidenten und dessen Attentäter: der einzige eigentlich und scheints gesichert politische Mord in dieser blutigen Abfolge ist ja der an Lincoln, durch den überzeugten Konföderierten John Wilkes Booth, vorgestellt als „der Pionier“. Die Motive der anderen reichen von persönlichem Scheitern im Lande, das allen den „pursuit of happiness“ ermöglicht (aber eben nicht den Erfolg garantiert) über chronische Magenschmerzen bis hin zu Wahnideen wie bei der Charles-Manson-Anhängerin Lynette Fromme. Man braucht nur eine Schußwaffe und den kleinen Finger… (ob Michael Kunze schon einmal eine Pistole abgefeuert hat? Sonst ist der deutsche Text aber gelungen). Im übrigen geben Sondheim und Weidman den Mörderinnen und Mördern auch ausführlich Gelegenheit, sich über die Jahrzehnte hinweg auszutauschen.
Das Werk wurde am 18. Dezember 1990 in New York uraufgeführt; die Kritik hatte – wegen der politischen Implikationen – starke Vorbehalte, während der Publikumserfolg gut war. Es gab seither zahlreiche Produktionen in englischsprachigen Ländern.
Es spielt wieder die Linzer Musical-„Allzwecktruppe“ Black Beauty and Friends, irgendwo hinter der Bühne, allerdings in perfekter Koordination mit dem Geschehen und den Akteuren; musikalische Leitung Borys Sitarski. Die bunten Stilrichtungen – viel Swing, Balladen, Gospelhaftes, modernerer Jazz, wenig (flachere) „typische moderne Musicalklänge“ (Sondheim verfällt darauf höchstens da und dort in Balladen) – werden von der diesmal 13-köpfigen Truppe stilsicher serviert.
Hat Evgeny Titov für seine Linzer Inszenierung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“ vergangenen Herbst noch jede Menge Umstellungen im Stück vorgenommen, geht das bei Musicals, dessen Autoren am Leben sind und über ihre Rechte wachen, nicht so ohne weiteres (Dramaturgie: Arne Beeker). Der originale Rummelplatz wurde aber zur Kabarettbühne, mit einer Bar, die auch ein umfassendes Waffenmenü anbietet; an den Tischen 9 Trumps und 1 Ivana; ein Trump kann auch sprechen (Walter Witzany, nicht nur als Schauspieler, sondern auch aus dem ORF-Landesstudio bekannt). Zwar liefert diese Konstellation böse Witze, Attentäter und Attentate geraten aber buchstäblich in den Hintergrund; akustisch nicht schlimm, da Mikrofonstützung, aber Unmittelbarkeit und einige Details leiden.
Davon abgesehen entspricht die Bühne (Eva Musil) durchaus dem Charakter des Stückes; im letzten Drittel wird quasi die Kehrseite gezeigt – eine kahle schwarze Kubenlandschaft, die den passenden Raum für oft an absurdes Theater erinnernde Reflexionen und Interaktionen der Attentäter bietet, samt der Übertragung ihres düsteren Vermächtnisses an eine künftige Generation. Im Finale dreht die Bühne wieder ins erste Bild zurück, zu einer blutigen Schlußbemerkung… lichtseits unterstützt von Helmut Janacs.
Zwar findet sich in Kostümbildnerin Nicole von Graevenitz‘ Biographie keine Arbeit für Robert Wilson, aber Anklänge an dessen Stil sind deutlich – dem totentanzhaften Charakter des Stückes jedenfalls sehr gut entsprechend, und trotz aller Überzeichnung doch den Epochen der einzelnen Episoden treu. Die Choreografie (Wei-Ken Liao) hingegen lehnt sich nicht an Wilsons Marionettenmenschen an, sondern paßt zur Kabarettumgebung, natürlich auch den Auszuckern der Protagonisten Rechnung tragend.
Videos (als Hintergrund der Bühne auf der Bühne) wurden von der Meisterschule für Kommunikationsdesign Linz geliefert; man hat Terry Gilliams „Monty Python“-Stil gründlich studiert und reichhaltig Eigenes, für dieses Stück maliziös Paßgenaues kreiert, z. B. (sowieso zu prätentiöse) Engelsflügel auffressende fettbäuchige Teufel…
Viele Darsteller (aus Schauspielhaus und Musicalabteilung) übernehmen – in Perfektion! – mehrere Rollen: der Bin-Laden-Vordenker Samuel Byck / ein abgefahrener Präsident McKinley / no-nonsense-Präsident Ford: Thomas Bammer; John Hinckley jr. / Booth-Komplize David Herold: Wenzel Brücher. Christian Fröhlich kommt als John Wilkes Booth im Stück zentrale Bedeutung zu und er stellt diesen auch in mehrfachem Sinne überragend dar. Für Lynnette „Squeaky“ Fromme, die an Manson verlorene Seele, fordert Ruth Fuchs gelungen Empathie ein; deren Quasi-Kollegin, wenn auch mit gänzlich anderer Biographie, Sara Jane Moore, erhält durch Ariana Schirasi-Fard ebenso glaubwürdiges und verzweifeltes Leben. Riccardo Greco gibt Giuseppe Zangara / Präsident Garfield schräges bzw. pompöses Profil.
Elias Poschner mit beachtlicher Bühnenpräsenz. Copyright: Reinhard Winkler/ Linzer Landestheater
Schießbudenbesitzer bzw. Pistolenbarmann Christian Manuel Oliveira präsentiert uns beweglich, mephistophelisch und wortdeutlich die schaurigen Charaktere, von denen der politisch wie religiös von der Rolle geratene Charles Guiteau (ermordete James Garfield) der unglaublichste ist; eine dankbare Aufgabe für den immer wieder mit neuen Facetten glänzenden Rob Pelzer! Der Arbeiter und Anarchist Leon Czolgosz, der William McKinley ermordete (und dadurch dessen Vizepräsidenten Theodore Roosevelt ins höchste Amt hievte) erhält von Peter Lewys Preston handfeste Qualität. Bub / Lee Harvey Oswald: Elias Poschner mit beachtlicher Bühnenpräsenz und Präzision; sein Vater hatte an dem Abend natürlich kein Dirigat und hielt ihm, mit der ganzen Familie, die Daumen.
Ein an den M. C. in „Cabaret“ erinnernder Balladensänger führt uns durch das Stück; Gernot Romic hat als solcher den Saal unter Kontrolle.
Einige der Genannten agieren auch im Ensemble, dazu auch Lynsey Thurgar.
Begeisterter Applaus, ein paar schüchterne Buhrufe für die Regie.
Petra und Helmut Huber