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LEIPZIG: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

17.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Leipzig Oper: “DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ – 15.01.2012 – Pr. 09.10.2010

 Der Stoff, den Wagner ursprünglich in Marienbad für ein heiteres Satyrspiel als Gegenstück zum tragisch endenden „Tannhäuser“ verarbeiten wollte, diente ihm später zu seiner großen Erfolgsoper, die zu allen Zeiten und in allen politischen Systemen zur Kult- und Fest-Oper avancierte und bis heute ganz oben auf der Beliebtheitsskala des Publikums steht. Mit ihr wurde manch Opernhaus eröffnet. Sie war Hitlers Lieblingsoper und wurde selbst in der DDR für zahlreiche Festakte „missbraucht“. Selbst zur  Wiedereinweihung der Dresdner Semperoper war sie 1985 im Gespräch, bevor man sich für den „Freischütz“ entschied. Schließlich stand sie 1960 zur Einweihung der – anstelle des im Krieg zerstörten alten Opernhauses – neu erbauten Leipziger Oper auf dem Programm und – der Tradition folgend – auch im Oktober 2010 anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Neueröffnung.

 Jetzt war Wolfgang Brendel der Magnet, der die Besucher ins Opernhaus zog. Sehr gut bei Stimme, perfekt in allen Höhen und Tiefen, selbst in schwierigen Phasen ohne Brüche und mit ausgezeichneter Textverständlichkeit sang er scheinbar mühelos einen beeindruckenden Sachs. Selbst wenn er, entsprechend der Inszenierung, außerhalb der Bühne zu singen hatte, blieb seine Stimme gut verständlich und ausdrucksstark, aber keineswegs schrill, sondern in jeder Situation, in jeder Entfernung und jeder Lautstärke immer dem Ohr angenehm. Er beherrscht alle Facetten einer guten, bühnenwirksamen Gestaltung und versteht die große Kunst, Gesang und glaubhaftes Spiel nahtlos miteinander zu verbinden. Er passte sich der modernen Inszenierung sehr gut an, blieb aber dennoch der alte, lebenserfahrene, wohlwollende, väterliche Handwerksmeister und volkstümliche Dichter, der seinen alten Idealen nachhängt, aber auch viel Verständnis für die Jugend und neue Entwicklungstendenzen aufbringt. Man hatte den Eindruck, dass er in seiner Rolle „lebt“. Trotz aller Verunglimpfung auf der Bühne bleibt er der Sympathieträger mit enormer Ausstrahlung, so dass man in Anbetracht so hoher Gesangskultur und Spielfreude, unwillkürlich denkt „Kann denn die jüngeren Sänger keiner lehren, wie man singt und spielt?“ Am Ende scheint Sachs zwar regiebedingt vernichtet und wird – ohnmächtig oder erschöpft – triumphierend von Sanitätern von der Bühne getragen, aber Brendel hätte wahrscheinlich noch lange weiter singen können, so unverändert frisch und klangschön blieb seine Stimme über die gesamte Dauer der Aufführung bis zum Schluss. Das war erstaunlich, wo doch so manch jüngerer Sänger schon während der Vorstellung Konditionsprobleme hatte.

 James Moellenhoff begann als Pogner verheißungsvoll, mit würdiger Tiefe, kam aber später mitunter an seine stimmlichen Grenzen und konnte kleine „Schwächen“ nicht verbergen. Schließlich brachte er aber seine Szene auf der Festwiese gut zu Ende.

 Ein  „schönes“ („vollschlankes“) Liebespaar in denkbar ungünstigen Kostümen waren Burkhard Fritz als Stolzing und Christiane Libor als Eva. Äußerlich passten sie auf ihre Art gut zu einander. Das darf man jedoch zu großen Teilen auch den Kostümen (Heike Neugebauer) anlasten. Es ist jetzt allgemein zu beobachten, dass die Kostüme offenbar nur in Hinblick auf die Inszenierung entworfen werden, aber nicht mit Rücksicht auf die Sänger, die nicht alle Schönheitsideale sind. Schließlich gibt es doch viele Möglichkeiten, manches bühnenwirksam zu kaschieren.

 Beide Sänger blieben nicht nur der Darstellung vieles schuldig. Meist blieben sie teilnahmslos im Hintergrund. Während sich Christiane Libor schon in der Szene, wo sie Beckmesser als sein Traumbild im (ziemlich umfangreichen) Brautkleid, das von Stolzing entworfene Preisgedicht überreicht, um einiges steigerte und im 3. Akt dann plötzlich aus sich herausging und einen passablen Wagner-Gesang präsentierte, konnte man sich bei Stolzing beim besten Willen keinen jungen Rittersmann mit heldenhaft strahlend schönem Tenor, voller Elan und neuer Ideen vorstellen. Sein Preislied, wofür er sich aus dem Publikum auf die Bühne bemühen musste, klang eher gequält. Er schaffte es im gemächlichen Tempo, wirkte aber etwas fad und machte keine Bewegung zu viel.  

 Das „Gegenpärchen“ Magdalene (Karin Lovelius) und David (Dan Karlström) erschien in ganz anderer Weise kurios. Er, kleinwüchsig und superschlank, wirkte tatsächlich wie ein Bub (höchstens im 1. Lehrjahr), der trotzdem schon am Leben teilnehmen möchte und deshalb der älteren Magdalene zugetan ist, die sich wie eine dominante Jugendliche gab und beherrschend über ihn verfügte, was schon deutlich wurde, als sie ihn wie eine Kind auf den Schoß nahm (Gleichberechtigung einmal anders?), was bei Wagner ursprünglich so wohl nicht gedacht war.

 Im Gegensatz zu manch anderer Inszenierung ist hier der Beckmesser kein verunglimpfter Pedant. Wagner wollte bekanntlich mit dieser Gestalt dem Wiener Musikkritiker-Papst  Eduard Hanslick, der  abschätzend über seine Musik schrieb, ein negatives Denkmal setzen. Stimmlich wie darstellerisch sehr gemessen, ganz sachlich und nicht übertrieben, war Dierich Henschel der nüchterne, aalglatte, korrekte Beamte und Sachwalter seiner musikalischen Wissenschaft. Er wirkte weder positiv noch negativ. Erst, als er auf der Festwiese über das Sängerpodest stolperte, wurde er zur Witzfigur, drohte dem Orchester und sang so falsch, wie noch kein Beckmesser „falsch“ gesungen hat. Am Schluss zeigte er menschliche Züge, als er bei dem zusammengebrochenen Sachs blieb. Bei seinem Ständchen für die vermeintliche Eva ließ er sich noch von einem alten Tonbandgerät begleiten, beim „Preislied“ wird für ihn eine (möglicherweise eigens dafür angefertigte) „Beckmesserharfe“ mit angeleimten „Stelzen“ auf die Bühne getragen und von einer echten Harfenistin gespielt – ein ziemlicher Aufwand.

 Ein Sonderlob verdient die Stimme des Nachtwächters (Roman Astakhov), die aus den auf der Bühne „installierten“ „Lautsprechern“ ertönt. Ganz gleich wie, es war eine dunkle, warme, volle Stimme mit wunderbar klarer Diktion, wie man den Nachtwächter nur sehr selten hört. Und noch eine Seltenheit: Das Sänger-Quintett im 2. Akt war sehr gut aufeinander abgestimmt.

 Unter der Leitung von Ulf Schirmer, dem jetzt als Intendant auch die Geschicke des Leipziger Opernhauses obliegen, spielte das Gewandhausorchester mit viel Rücksicht auf die Sänger. Die lauten Passagen waren zweckmäßigerweise auf die rein instrumentalen Teile verlegt. Kleine Pausen an dramaturgisch richtigen Stellen, z. B. vor dem Preislied, konnten den Effekt als Nachklang oder in Erwartung der nächsten Szene erhöhen – warum nicht?  

 Der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) musste den Lutherchoral in der Singschule laienhaft „verballhornt“ singen, wie ein schlechter Volkschor oder Gemeindegesang, wobei noch der Kinder- und Jugendchor (Sophie Bauer) unsachlich „dazwischen quirlen“ und plappern musste, was der Regie geschuldet war. Später sang der Chor konform, auch den „Wach-auf-Chor“. Am Ende muss der Chor Sachs‘ abschließende „Ansprache“, die deutsche Kunst in Ehren zu halten, verlachen. Warum aber sollen  ausgerechnet die Deutschen ihre Meister, auf die noch immer die ganze Welt schaut, nicht ernst nehmen, wo sich doch jede Nation ihren Nationalstolz leistet?

 Als „Beigabe“ gab es wie in alten Zeiten einmal wieder Ballett, z. B. als Sachs‘ Vision, in der seine (gewesene) Frau und Kinder vorbeieilen, oder ein (ungeschicktes) Männerballett mit Schlafmützen und Kissen als nächtliche Prügelszene, die sich zum bedrohlichen Spuk ausweitet und in einer Fackeln tragenden Formation endet (Choreografie: Silvia Zygouris).

 Gewalt darf natürlich (!) auch hier nicht fehlen. Beckmesser, der exakte Mensch kommt mit Pistolen in Sachs‘ Zimmer und droht damit – wie jetzt in vielen Neuinszenierungen – in alle Richtungen. Müssen sich denn die Regisseure immer gegenseitig alles nachmachen? Der Erste bringt es als neuen Gag, da, wo es angebracht ist. Der Zweite übernimmt es vielleicht noch sinnentsprechend. Alle Weiteren passen dann auf Gedeih und Verderb eine Opernszene daran an. Was soll das?

 Wer eine stimmige Inszenierung erwartet hatte, musste enttäuscht sein. Das mittelalterliche  Nürnberg ist auf ein Stadtmodell (teils sogar erleuchtet!) reduziert. Nichts ist mit Meistersingerkirche. Das meiste findet in einem nüchternen Saal statt, der sogar innen Platten aufweist, aus denen dann „deutsche“ Sprüche heraus- klappen, die weniger erwünschten in Sütterlin-Schrift, die die wenigsten heute noch lesen können. Ein altes Klavier mit Musiker-Gips-Nippes soll den Bezug zur Musik herstellen.

 Nachdem schon der Johannistag als eine Art Faschingskostümfest endet, findet die Festwiese, auf der die Meistersinger schneidend scharf sangen, wie auf einer DDR-, Fußball- oder Pferderennbahn-Tribüne statt. Damen und Herren kommen in großer (oder kleiner) Abendrobe von allen Seiten und statt Schneider ein tierischer Ziegenbock. Riesige Fahnen werden geschwenkt. Ein großer Aufmarsch von Burschenschaften, Kreuzrittern, Hitlerjugend und FDJ wird zum Alptraum für Sachs. Zum Schluss wird der ganze Spuk hinweggefegt. Zurück bleibt nur viel Dampf, der sich langsam in Richtung Orchestergraben und Hinterbühne verzieht, und die 5 Protagonisten, später nur noch der einsame, ermattete Sachs (Inszenierung: Jochen biganzoli, Bühne: Helmut Brade).

 Nur wer schon mehrere „Meistersinger“, möglichst auch in traditionellen Inszenierungen mit Kulissen, die das alte Nürnberg wenigstens andeuten, gesehen hat und die (historischen und politischen)  Hintergründe der jüngeren Vergangenheit kennt, konnte auch hier folgen. Was aber ist mit der (nicht am Theater beschäftigten) Jugend, die einfach einmal etwas anderes als Disco und Popkonzert erleben möchte. Wie soll sie mit so vielen Ebenen, die nicht nur geschichtliche, sondern auch einige musikhistorische Kenntnisse voraussetzen, klar kommen? Viele geben da einfach wieder auf, was sehr schade ist, denn man möchte doch die nächste Generation als künftige Opernbesucher gewinnen. Und mal ehrlich, bei vielen jungen Leuten verbindet sich noch immer der Gedanke an Oper mit der traditionellen Vorstellung an Glanz und Glamour. Sie machen sich nicht die Mühe, die zwar richtigen, aber auch komplizierten Gedankengänge eines modern orientierten Regisseurs, der seine Sicht auf die Oper bringt, nachzuvollziehen, denn so ganz adäquat war hier der ursprüngliche Sinn des Werkes nicht umgesetzt. Wagner war gewiss immer auch ein politisch denkender Mensch, aber sein Anliegen versteht man am besten aus seinem Text und den die Fantasie anregenden Bühnenbildern, wie er sie detailliert beschrieben hat. Er bedarf eigentlich keiner „Veränderung“ und neuer Sicht. Letztere ist bei ihm bereits vorausschauend integriert.

Ingrid Gerk

 

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