Kreischa/Kirche – Reinhardtsgrimma/Schloss: „VIII. SCHUMANNIADE“ – LETZTMALIG MIT PETER SCHREIER – 27. bis 29.6.2014
„Alles hat seine Zeit“ resümiert die Marschallin im „Rosenkavalier„. Manchmal möchte man die Zeit festhalten. Manches möchte nie vergehen, und doch heißt es, Abschied nehmen von vielen „Sternstunden“ der Musik, wie sie während der „Schumanniaden“ unter Peter Schreiers Leitung und Mitwirkung stattgefunden haben. Seine Liederabende im Schloss zu Reinhardtsgrimma und die Oratorienaufführungen unter seiner Leitung in der Kirche zu Kreischa sind Legende und werden allen, die das Glück hatten, sie mitzuerleben, unvergesslich bleiben.
Die „Schumanniade Kreischa/Reinhardtsgrimma“ wurde von Musik- und Kunstfreunden des Kunst- und Kulturvereins „Robert Schuman“ Kreischa und Ehrenmitglied Peter Schreier ins Leben gerufen, um in den, in der lieblichen Landschaft des östlichen Erzgebirges, etwa 20 km südlich von Dresden gelegenen, Orten Kreischa, Reinhardtsgrimma und Maxen die Erinnerung an den Aufenthalt Robert Schumanns und seiner Familie im Revolutionsjahr 1849 wach zu halten. Jetzt leitete Peter Schreier diese Veranstaltungsreihe auf den Spuren von Robert Schumann zum letzten Mal, aber die Konzerte sollen auch weiterhin stattfinden, wie er und seine große Fangemeinde hoffen.
Bevor er den Dirigentenstab endgültig aus der Hand legt, dirigierte er noch einmal das traditionelle Konzert in der Kirche zu Kreischa (27.6.) Mit wenig bekannten Werken Robert Schumanns, über deren Aktualität und Bedeutung für unsere Zeit man geteilter Meinung sein kann. Interessant waren sie allemal. Sie ergänzen das Persönlichkeitsbild Schumanns und verdeutlichen nicht nur seinen Werdegang als Komponist, sondern stellen nicht zuletzt auch ein Zeitbild der Romantik mit ihren Männerchören und zum Teil romantisch-sentimentalen Gefühlen dar.
„Verzweifle nicht im Schmerzensthal“ heißt es in der fünfsätzigen, im Mai 1849 von Schumann in Kreischa komponierten, „Motette“ (op. 93) nach Texten von Friedrich Rückert, mit der er seine Sympathie und sein Mitleid mit den Teilnehmern des Maiaufstandes in Dresden bekundete. Er selbst war mit seiner Familie zu dem ihm befreundeten Baron Serre im benachbarten Ort Maxen geflohen, der als „Hoflieferant“ für sächsischen Marmor vermögend geworden war und sein Schloss als großzügiger Kunstmäzen den Dresdner Künstlern weit öffnete. Später wohnten die Schumanns in Kreischa.
Im Original der Motette heißt es: „für doppelchörigen Männerchor a capella oder mit Orchester oder mit Orgel“. Hier entschied man sich für die vom Komponisten 1850 hinzukomponierte Orgelbegleitung. Sehr dezent untermalte und stützte Stefan Kießling den Chor an der Truhenorgel. Abgesehen von einigen dominanten, etwas spröden Männerstimmen im Forte, die daran erinnerten, warum Männerchöre aus der Mode gekommen waren, beeindruckte der, 1995 gegründete, Kammerchor Cantamus Dresden, in dem viele der Herren Mitglieder des Dresdner Kreuzchores sind, in klangvollen Piano- und Mezzoforte-Passagen, sorgfältig einstudiert von Marcus Friedrich.
Man kann geteilter Meinung sein, ob solche, aus heutiger Sicht etwas problematisch erscheinende Werke zu Recht oder Unrecht vergessen wurden. Mögen sie uns heute fremd erscheinen, gehören sie doch zum Gesamtschaffen Schumanns und sind als Reminiszenz an die Zeit der Romantik durchaus von Interesse.
Für die Aufführung von Schumanns, 1852/53 in Düsseldorf entstandener, „Missa sacra“ c‑Moll (op. 147) für Soli, Chor und Orchester kamen besonders klangschöne, sehr sichere Frauenstimmen hinzu. In dem jetzt ausgesprochen schönen, ausgewogenen Chorklang wurde die musikalische Struktur der ineinandergreifenden und mit den Klängen der Orgel harmonierenden Stimmen deutlich, ohne vordergründig zu wirken. Die Solostimmen kamen ebenfalls aus dem Chor, der ansprechende Sopran von Kristin Schafft und die Tenor‑/ Bariton-Soli von Tobias Mäthger.
Auch hier verzichtete man auf ein Orchester und beließ es bei dezenter Orgelbegleitung. Als Novum untermalte Carola Tautz, einstige Solistin des Ballettensembles der Sächsischen Staatsoper Dresden und jetzt (freischaffende) Choreografin, im langen roten Ballettkleid mit sehr eleganten, geschmeidigen Bewegungen ihres ästhetischen Körpers mit einem meditativen Ausdruckstanz in zurückhaltender Choreografie (Harald Wandtke) bildhaft die Musik. Unter dem Kreuzrippengewölbe der Apsis der Kirche erinnerten einzelne „Tanzbilder“ mitunter an die Engeldarstellungen auf Gemälden aus der Zeit der Gotik.
Es war eine nicht alltägliche, gelungene und in sich stimmige Gesamtkonzeption unter der Leitung von Peter Schreier, in die die wechselnde Aufstellung des Chores einbezogen war, um durch Aufbrechen der strengen Choraufstellung auch optisch für Bewegung und Abwechslung zu sorgen.
Zwei weitere Konzerte fanden traditionsgemäß im kleinen, sehr feinen Barockschloss Reinhardtsgrimma statt, einem architektonischen Kleinod, erbaut 2 Jahre nach dem Siebenjährigen Krieg.
Zum besonderen Höhepunkt wurde das Abendkonzert im Schloss Reinharddtsgrimma (28.6.). Im besonders schönen Rokoko-Festsaal gestalteten Ute Selbig, Sopran, Andreas Scheibner, Bariton, Camillo Radicke am Flügel, der auch Peter Schreier bei seiner letzten „Winterreise“ in Wien als Abschied vom Liedgesang, begleitete, sowie Christine Hoppe und Lars Jung vom Staatsschauspiel Dresden einen literarisch-musikalischen Abend mit Schumanns selten zu hörendem Liederkreis „Myrten“ (op. 25) und Lesungen aus Briefen von Robert und Clara Schumann.
In diesem Festsaal kamen die besonderen Fähigkeiten der beiden Sänger und des Pianisten besonders gut zur Geltung. Sie verstehen die große Kunst, sich auf jeden Raum einzustellen, den Raum akustisch zu füllen, ohne laut oder gar schrill zu werden, die Atmosphäre des Raumes in die Musik einfließen zu lassen und mit idealer Diktion, sehr deutlicher Artikulation und nicht zuletzt außergewöhnlich schönen Stimmen den Anwesenden jedes einzelne Lied der „Myrten“ als kleines Kunstwerk nahezubringen.
Sie sangen und gestalteten die Lieder, die Schumann 1840 komponierte, als er um die Hand der 9 Jahre jüngeren Clara, die ihm schon als Teenager ihr Ja-Wort gab, kämpfte und ihr schließlich einen Tag vor der Hochzeit als Geschenk überreichte, je nach Inhalt mit Ausdrucksstärke, Innigkeit, Liebe und Trauer, Freude und Sehnsucht, Klagen und Hoffen.
Während die beiden Schauspieler in ihrem Bemühen, dem Inhalt der Brieftexte mit dem jetzt üblichen emotionalen Abstand und rationaler „Unterkühlung“ gerecht zu werden, nicht über ihren Schatten springen konnten, d. h. der gegenwärtig üblichen Diktion der Schauspieler verhaftet blieben, vermochten Ute Selbig wie die zart besaitete, liebende Clara, Andreas Scheibner als energischerer, kraftvoller Robert und Camillo Radicke als einfühlsamer, mitgestaltender Begleiter, der in wenigen Takten Akzente setzen und kleine Stimmungsbilder „malen“ konnte, sich ganz in Gedankenwelt und Wesensart der beiden Schumanns als Künstlerpersönlichkeiten einzufühlen und die Zeit der Romantik lebendig werden zu lassen, ohne auch nur im Geringsten sentimental zu werden. Sie nahmen die Fäden der ganz persönlichen Brieftexte auf und spannen sie musikalisch weiter.
Als Zugabe und Abschied von diesem wunderbar stimmungsvoller Abend in wohldurchdachter Konzeption erfreuten sie die Anwesenden noch im Duett mit Schumanns „An den Abendstern“ aus dem „Liederalbum für die Jugend“ (op. 79), bei dem die beiden Gesangsstimmen miteinander und mit dem Klavier zu einer kongenialen, organischen Einheit verschmolzen.
Zur Tradition der „Schumanniaden“ gehört auch eine Matinee im Schloss (29.6.), die András Schiff mit einem besonderen Programm gestaltete, in dem er den Einfluss von J. S. Bachs „Präludien und Fugen“ aus dem „Wohltemperierten Klavier“ auf Schumanns kompositorisches Schaffen verdeutlichte. Auf seinem eigens dafür mitgebrachten „Bechstein“-Flügel spielte er Bachs „Präludium und Fuge d‑Moll“ BWV 851 aus Bd. 1 und BWV 875 aus Bd. 2 und im Vergleich dazu Schumanns „Kreisleriana“ (op. 16). Um es noch deutlicher zu machen spielte er Bachs Präludium und Fuge cis‑Moll (Bd. 1) und Schumanns „Symphonische Etüden cis‑Moll“ (2. Fassung) mit nahtlosem Übergang.
Schiffs Interpretation der Bachschen Präludien und Fugen ist anders als jetzt üblich, fernab der jetzt als „Non plus Ultra“ geltenden theoretischen Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis, dafür aber mit viel Leben erfüllt, mitunter relativ schnell und lebhaft, auch zuweilen etwas herb. Sein persönlicher Stil ist eigenwillig, die Palette seines Anschlags weit gefächert, von fein differenziert bis kraftvoll. Seinem grandiosen Interpretationsstil kann sich aber niemand entziehen, weil er dem ehrlichen Empfinden eines Vollblutmusikers entspringt. Da wird alle Theorie zur Nebensache. Da erübrigt sich auch der Streit, ob Klavier oder Cembalo. Beides ist richtig und gut, wenn die Werke mit musikalischem Gespür und ehrlich empfunden wiedergegeben werden. Es ist gut, wenn nicht alles gleichnivelliert wird, denn erst die Vielfalt ergibt ein lebendiges Bild von der Musik vergangener Jahrhunderte.
Mit einer besonders schönen Teerose gratulierte Peter Schreier András Schiff zur Verleihung des englischen Adelstitels „Sir András“. Als Dank und anstelle von 3 oder mehreren Zugaben spielte Schiff gleich die dreisätzige „Sonate Nr. 31 As‑Dur“ (op. 110), eine von L. v. Beethovens späten Sonaten, die einen weiteren Einblick in sein großes Können gewährte und zu einem weiteren grandiosen Erlebnis wurde.
Dass die „Schumanniaden“ in dieser Art und an diesen historischen Orten noch lange erhalten bleiben, hoffen nicht nur Peter Schreier und die zahlreichen Musikfreunde aus Dresden, sondern auch viele, von weither eigens dafür angereiste, Besucher.
Ingrid Gerk