Kreischa / Reinhardtsgrimma: „X. SCHUMANNIADE“ – ZUM LETZTEN MAL MIT PETER SCHREIER – 22.–24.6.2018
Man möchte es nicht wahrhaben, aber es war die letzte „Schumanniade“ unter der Ägide von Peter Schreier, der zwar anwesend war, aber momentan krankheitsbedingt, nicht mehr als Künstler aktiv werden, wohl aber mit seinen schöpferischen und gestalterischen Ideen dem Organisationsteam zur Seite stehen konnte. Das rief wehmütige, aber auch glückliche Erinnerungen an die Zeiten zurück, als er mit ungeahnter Kondition, Konzentration, Vitalität und höchster künstlerischer Qualität drei große Liederzyklen an einem Abend sang, von denen sonst nur einer einen Liederabend füllt, oder später noch umfangreiche Oratorien wie J. S. Bachs „Johannespassion“ in der Instrumentierung von Robert Schuman oder Schumanns „Der Rose Pilgerfahrt“ und „Das Paradies und die Peri“ dirigierte.
Doch es ist kein endgültiger Abschluss. Es geht weiter, KS Olaf Bär, Professor an der Hochschule für Musik Dresden, Freund und „Schüler“ Peter Schreiers, wird die Leitung des kleinen, feinen dreitägigen Festivals, das maßgeblich von Schreier geprägt wurde, übernehmen. Es wurde 1999 auf den Spuren von Robert und Clara Schumann, die in dieser reizvollen Gegend, etwa 20 km südlich von Dresden am Nordhang des Osterzgebirges 1849 mit ihrer Familie Zuflucht vor der Revolution und Ruhe zum Komponieren suchten, gegründet und fand (mit einer Ausnahme) aller 2 Jahre statt, zuerst nur im idyllischen Barockschloss Reinhardtsgrimma, später auch in der Kirche zu Kreischa. In dieser Gegend entstanden u. a. die „Arabeske“ und zahlreiche Lieder, die bei den „Schumanniaden“ neben größeren Werken und Kammermusik von Robert Schumann und seiner Zeitgenossen auch immer wieder im Mittelpunkt standen.
In diesem Jahr fand am ersten Tag in
Reinhardtsgrimma / Schloss: EIN LIEDERABEND MIT MIRIAM ALEXANDRA UND ERIC SCHNEIDER (22.6.9)
statt. Jung und zart, fast zerbrechlich erschien Miriam Alexandra (Wigbers) eine deutsch-griechische Sopranistin und Musikwissenschaftlerin (aus gutem Grund verschweigt sie ihr Geburtsdatum) und sang, begleitet von dem versierten Pianisten Eric Schneider, mit Charme und ungewohnter, bewusst mädchenhaft zarter Gestaltung fünf Lieder nach Texten von Friedrich Rückert, vertont von Clara und Robert Schumann, bei denen die Urheberschaft nicht so genau zu trennen ist, da sich beide gegenseitig zu besonderen Anlässen mit solchen Liedern beschenkten.
Ähnlich verhält es sich mit den darauf folgenden sieben Liedern, sechs nach Texten von Heinrich Heine und eins nach Ludwig Hölty, von Fanny und Felix Mendelssohn-Bartholdy, nur dass es sich hier mehr um eine bewusste „Verschleierung“ handelt, da es sich damals für eine Frau nicht gehörte, in die „Männer-Domäne“ der Komponisten einzubrechen. Die Sängerin, deren Opernpraxis am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln (2003-2005) begann und sich jetzt vorwiegend auf Kammeropern, u. a. am Münchner Cuvilliés-Theater (2013) konzentriert, gestaltete die Lieder wie hauchzarte, zerbrechliche Miniaturen.
Ihr Verdienst bestand vor allem in der Wiederentdeckung und Aufführung von Liedern der französischen Pianistin, Sängerin und Komponistin Pauline Viardot-Garcia (1821-1910), der jüngeren Schwester der legendären, frühverstorbenen Operndiva Maria Malibran. Die Viardot unterhielt in Baden-Baden einen Salon, in dem Clara Schumann, Johannes Brahms, Theodor Storm und auch das preußische Königspaar verkehrten, so dass nicht nur inhaltliche und stilistische, sondern auch persönliche Beziehung zu den anderen Liedgruppen gegeben waren. „Eine Komponistin von Genie“ urteilte Franz Liszt über Pauline Viardot, die im jugendlichen Alter seine Klavierschülerin war. Sie hatte ein Faible für deutsche Lyrik, speziell die Gedichte Eduard Mörikes, und vertonte sie, wobei in dem anspruchsvollen Klavierpart oft ihr pianistischer Hintergrund zu bemerken ist. Mit ihren Mörike-Vertonungen reiste sie sogar nach Stuttgart, um sie dem Dichter persönlich vorzutragen, der an einigen Stellen zusammenzuckte und lächelnd bemerkte: „Das ist aber starker spanischer Pfeffer“.
Miriam Alexandra sang sieben Lieder der Viardot mit Mörike-Texten zu Beginn ihres Liederabends eher sehr behutsam und entwickelte erst bei den sieben Liedern mit Texten französischer Dichter zum Abschluss ein wenig mehr Leidenschaft, die man sich auch bei den Liedern der Schumanns und Mendelssohns, zusammen mit etwas mehr Farbigkeit, Differenzierung und Nuancierung gewünscht hätte. Im Gegensatz dazu begleitete und gestaltete ihr renommierter Liedbegleiter Eric Schneider seinen Part mit „kernigem“, aber nicht vordergründigem Anschlag, guter Diktion und Stilgefühl. Als Zugabe wählte die Sängerin sinnigerweise das Lied „Geheimnis“ von Johannes Brahms.
Am nächsten Abend gab es in
Kreischa bei Dresden / Kirche: KAMMERMUSIK VOM FEINSTEN (23.6.).
Es gehört zur Tradition der „Schumanniaden“, dass in der Kirche zu Kreischa, „…einem der lieblichsten Orte um Dresden, überall schöner Busch, muntere Quellen – und auch Forellen“, wie Schumann schrieb, immer besondere, selten zu hörende Werke oder besondere Bearbeitungen / Instrumentierungen Schumanns zur Aufführung gelangen. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt seiner Kammermusik in seltener Besetzung.
Zur Eröffnung des Abends spielten András Schiff am Klavier und vier versierte Hornisten der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die beiden Solohornisten Zoltán Mácsai und Jochen Ubelohde sowie Julius Rönnebeck und Miklós Takács das “Konzert für Klavier und 4 Hörner F‑Dur“ (op. 86) in schönem, makellosem Zusammenspiel und guter Tongebung, was jedoch infolge der ungewohnten Akustik der romanischen, später gotisch umgebauten Kirche nicht wirklich zur Geltung kam. Die Feinheiten gingen unter und die exakte Spielweise und hohe Qualität der Ausführung war nur mit größter Anspannung zu erahnen.
Bei Violine und Klavier gab es diese akustischen Probleme nicht. Die feinsinnige Yuuko Shiokawa, die große alte Dame des Violinspiels, ließ mit ihrer sehr feinsinnig-kultivierten Wiedergabe, einschließlich sanft gezupfter Töne, die Herzen bei der „Violinsonate Nr. 2 d‑Moll“ (op. 121) höher schlagen. Zwischen ihr und ihrem Gatten András Schiff am Klavier gab es ein stilles Einvernehmen. Sie verstanden sich auch ohne Blickkontakt und musizierten auf gleicher Wellenlänge, mit gleichem Empfinden der Musik und stets ein Herz und eine gemeinsame Seele.
In einer ungewohnten, äußerst seltenen Besetzung für 2 Klaviere, 2 Celli und Solohorn“ spielten András Schiff und Schaghajegh Nosrati an zwei Klavieren, Simon Kalbhenn und Martin Jungnickel, jeweils Cello, und Zoltán Mácsai, Horn (alle drei Sächsische Staatskapelle) „Andante und Variationen B-Dur“ (op. 46). In wunderbarer Übereinstimmung boten die vier Herren und eine Dame Kammermusik vom Feinsten mit exzellenter Diktion und guter Klangwirkung, bei der sich der Hornist perfekt, aber dezent in den Gesamtklang von doppelt besetztem Cello und doppelt besetztem Klavier einordnete und dennoch mit seinem Instrument feine Akzente setzte. Er hatte sich geschickt an die Akustik des Kirchenraumes angepasst.
Als Abschluss im doppelten Sinne, Abschluss der „X. Schumanniade“ und persönlicher Abschied von den „Schumanniaden“ für Peter Schreier und Andás Schiff gab es bei der Matinee in
Reinhardtsgrimma / Schloss: KLAVIERMUSIK VON ROBERT SCHUMANN, ABER LEIDER KEINE MELODRAMEN MIT PETER SCHREIER (24.6.).
Peter Schreier war zwar anwesend, aber sein derzeitiger Gesundheitszustand ließ die vorgesehene Gestaltung der Sprechrolle bei den drei Melodramen von Friedrich Hebbel für Klavier und Sprecher mit Musik von Robert Schumann nicht zu. Er beschränkte sich auf freundliche, wohlwollende Worte zu Beginn und Dankesworte am Schluss an den Kunst- und Kulturverein Kreischa, der sich immer für eine gute Organisation engagiert hat, und Olaf Bär, der die „Schumanniaden“ weiterführen wird.
Als „Ersatz“ für die Melodramen spielte András Schiff neben den auch ursprünglich vorgesehenen „Davidsbündlertänzen“ (op. 6) und der “Phantasie C‑Dur (op. 17) etwas völlig Unbekanntes aus Schumanns letzten Lebensjahren, erschütternde Variationen über eine Melodie von Mendelssohn, von denen Schumann drei schrieb, aus dem Haus lief, geradewegs in den Rhein, um seinem Leben ein Ende zu setzen, von Fischern gerettet wurde, danach zwei weitere Variationen komponierte und sich schließlich in die Nervenheilanstalt in Endenich bei Bonn einweisen ließ, ein trauriges Kapitel in seinem Leben, aber es gehört dazu. Schiff spielte diese Variationen mit viel Anteilnahme und einer meditativen Zäsur zwischen der 3. und 4. Variation. So plastisch und unmittelbar hatte wohl noch niemand Schumanns tragische Phase am Ende seines Lebens vor Augen gehabt.
Bei seinen Interpretationen legt Schiff sehr viel Wert auf Werktreue, die nicht von historischer Aufführungspraxis abhängt, denn nicht nur „die Instrumente und die Spielorte sind jetzt anders, sondern auch die Zuhörer und ihre Hörgewohnheiten“, wie er einst in einem Interview bekannte. Er bewegt sich mit seinem Klavierspiel innerhalb des Rahmens, den der Komponist vorgegeben hat. Seinen sanften, klangvollen Anschlag, der immer berührte, scheint er einer moderneren Interpretationsart mit relativ kraftvollem Anschlag und „härterem“, sachlicherem Klang „geopfert“ zu haben.
Nicht ohne Wehmut wurden sich alle Anwesenden, auch Peter Schreier und András Schiff, am Ende des Konzertes bewusst, dass eine Ära zu Ende gegangen ist. Am Abend zuvor wurde Schreier mit der Aufstellung einer ihn darstellenden Bronzebüste von Bildhauer Hans Kazzer im Kreischaer Kurpark eine besondere Ehre zuteil, wofür er sich mit freundlichen Worten bedankte, obwohl er kein besonderer Freund von Äußerlichkeiten und Publicity um seine Person ist. Die Festveranstalter vom Kunst- und Kulturverein „Robert Schumann“ Kreischa und der Bildhauer selbst wollten sich damit bei ihm für sein Engagement bedanken. 1997 hatte Schreier im gleichen Kurpark eine Büste für Robert Schumann vom gleichen Künstler gestiftet, was ihm vermutlich noch mehr am Herzen lag.
Behalten wir 20 Jahre großartiger Musikerlebnisse in dankbarer Erinnerung und blicken optimistisch in die Zukunft der „Schumanniaden“, die Peter Schreier gewiss auch noch weiterhin mit Rat und Tat unterstützen wird.
Ingrid Gerk