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KÖLN/ Staatenhaus: THE RAPE OF LUCRETIA. Wiederaufnahme

23.05.2018 | Oper

Bildergebnis für oper köln the rape of lucretia

KÖLN/Staatenhaus: The Rape of Lucretia

WA-Premiere am 22. Mai 2018

Nach der Neuinszenierung von Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ ist für die Interimsspielstätte der Oper Köln, das „Staatenhaus“, neuerlich hervorzuheben, daß seine prinzipiell zwar „provisorischen“ und fraglos nüchternen Räume für eine individuelle Bühnenkonzeption durchaus von Vorteil sein können. So auch bei TOBIAS FLEMMINGs Ausstattung für die nach knapp anderthalb Jahren wiederaufgenommene „Rape of Lukretia“ von Benjamin Britten. Der Saal im oberen Stockwerk hat eine besonders große Ausdehnung. Zu weitläufig für eine Kammeroper, könnte man denken. Aber Fleming nutzt die Raumgegebenheiten für eine brillante Ausstattungsidee. Er installiert ein riesiges Wasserbecken, in welchem sich, wie auch auf einem umlaufenden „Sandstrand“, die Handlung abspielt. In der Mitte ist ein Podest für die Harfenistin SASKIA KWAST installiert. Die Konzeption für dieses aparte Bild erschließt sich vielleicht nicht auf Anhieb und zur Gänze, wie auch die Inszenierung von Kai Anne Schumacher (Neueinstudierung: EIKE ECKER) in manchen Details etwas rätselhaft wirkt. Doch das Ungewöhnliche bei diesem ungewöhnlich starken Abend: man sucht mitnichten à tout prix nach Erklärungen, empfindet die optischen Einfälle jederzeit als stimmig. Und noch ein anderes … Die Regisseurin sorgt zwar durchaus für Aktion, liefert jedoch vorrangig Bilder mit langsamem Duktus, was jedoch nie zu Leerlauf führt. Die wenigen echten Stillstände sind immer gut plaziert und bieten sogar besondere Dringlichkeit und emotionale Tiefenwirkung. Zur bestechenden Optik tragen auch die einfallsreichen Kostüme von VALERIE HIRSCHMANN bei.

Beim zentralen Thema (die für die Titelheldin Lukretia nicht aushaltbare Vergewaltigung) ergaben kurz vor der Premiere (Januar 2016) die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte einen aktuellen Hintergrund, mittlerweile könnte man auf die #MeToo-Debatten vergleichend heranziehen. Aber auch ohne solche Bezüglichkeiten wirkt das Sujet der Oper realistisch, selbst wenn durch die beiden Chorprotagonisten das archetypische Klima eines griechischen Drama beschworen wird. Die Anrufung von Jesus Christus, welcher das Leid der Menschen durch seinen Kreuzestod zu lindern versuchte, ist gewißlich ein reichlich plakativer Finalakzent, aber den betont die Regie nicht.

Die Regisseurin läßt die Zentralfigur der Oper, Lukretia nämlich, nicht als Heilige erscheinen, sondern zeigt sie als erotisch durchaus empfängliche Frau, welche die Avancen des Prinzen Tarquinius nicht über Gebühr abwehrt. Gleichwohl bleibt das moralische Gesetz der Reinheit für ihr Tun bestimmend, und so wählt sie nach der Schandnacht (in einem aus dem Wasser hochgehievten Zelt lediglich angedeutet) den Freitod. Die besondere Qualität der Inszenierung sind überhaupt die Zwischentöne. Nichts Plakatives, sondern feingestimmte psychologische Details.

Die Aufführung erzeugt wohl nicht zuletzt deswegen Gänsehaut. Sie ist ein echtes Schmuckstück im Repertoire der Oper Köln, auch musikalisch. RAINER MÜHLBACH entlockt dem GÜRZENICH-ORCHESTER Klangreize sonder Zahl und bringt die Musik zu intensiver, bohrender Wirkung. Es ist reizvoll, die sicher kaum avantgardistisch zu nennende Klangsprache Benjamin Brittens mit der entschieden krasseren Partitur von Zimmermanns „Soldaten“ zu vergleichen.

Das Programmheft bildet noch die Sänger der Premiere 2016 ab. Geblieben ist JUDITH THIELSEN als würdevolle, mezzoleuchtende Lukretia, MATTHIAS HOFFMANN als ihr Gatte Collatinus (mit seit damals machtvoll gewachsenem Baßvolumen) sowie INSIK CHOI als Verführer Tarquinius, dessen intensive Bühnenpräsenz umwerfend ist. Unter den Rollenneubesetzungen ist STEFAN WOLFGANG SCHWAIGER als sarkastischer Junius ein besonderer Gewinn. Kaum minder beeindruckend: HELENA KÖHNE als wohllautend singende Amme Bianca und MARIA KUBLASHVILI, welche die heitere Kontrastfigur Lucia mit zauberhaften Waldvogel-Tönen ausstattet. Mit tragischem Nachdruck gibt IVANA RUSKO den Femal Chorus, aus dem Male Chorus macht DINO LÜTHY ein heldentenorales Ereignis.

In summa: diese ausgefeilte, in allen Momenten stimmige Aufführung ist für das Kölner Haus ein Glücksfall sondergleichen. Es sei noch daran erinnert, daß das Werk seine Deutsche Erstaufführung 1948 in der Domstadt erlebte, so wie Zimmermanns „Soldaten ihre Uraufführung 1965.

Christoph Zimmermann

 

 

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