Copyright: Karl Forster/ Bregenzer Festspiele
KÖLN/Staatenhaus: Mosè in Egitto von Gioacchino Rossini
Premiere am 8. April 2018
Der einstige Kölner Opernintendant Michael Hampe hatte viel für Rossini übrig. Unter seiner Direktion vor etwa vier Jahrzehnten erlebte man auch das eine oder andere entlegenere Werk. Doch erst jetzt gibt man dem unbekannten Rossini eine neue Chance. Bei der Kooperation mit Bregenz entschied man sich für „Mosè in Egitto“, wobei dem Titel besondere Beachtung zu schenken ist. In der Aufführungsstatistik des Werkes hat sich nämlich die für Paris gefertigte Neufassung „Moise et Pharaon ou Le Passage de la Mer Rouge“ von 1827 durchgesetzt. Allerdings wurde auch die 1818 in Neapel uraufgeführte Originalfassung bereits ein Jahr später überarbeit unter – Hinzufügung der später so berühmt gewordenen Preghiera „Dal tuo stellato soglio“.
Ohne den Flickerlteppich der Partiturentstehung und die Unterschiede zwischen den Fassungen aufdröseln zu wollen: Rossinis „Mosè“ ist ein starkes Werk. Die Formulierung einer Rezension über die Bregenzer Aufführung „gut gelaunt durch das Alte Testament“ oder „Bibel zum Mitwippen“ ist ein Missverständnis und dazu eine Frechheit. Sicher geht Rossini vor allem im 2. Akt an individuellen Ausdrucksklischees (Polacca-Rhythmen, Crescendo-Steigerungen, vokaler Zierrat u.a.) nicht ganz vorbei, aber das ist akzeptabel, sofern man überhaupt bereit ist, sich auf den Stil des Komponisten einzulassen. Es gibt aber auch viel Seria-Qualität zu hören, überhaupt Musik, welche Bühnensituationen stimmig abbildet. Und eine Ouvertüre, bei Rossini sonst häufig eine linkshändige Pasticcio-Angelegenheit, fehlt, was ein klares Abrücken von Konventionen signalisiert. Die ursprüngliche Genrebezeichnung „Azione tragico-sacre“ nähert die Oper sogar dem Oratorium an. Rossini ahnte, dass er damit beim italienischen Publikum, diesen „Makkaronifressern“, möglicherweise auf Unverständnis stoßen würde.
In Köln ließ sich das Premierenpublikum hingegen erkennbar mitreißen. Der Sound des GÜRZENICH-ORCHESTERs unter Altmeister DAVID PARRY (nicht zuletzt bekannt durch seine Einspielungen bei Opera Rara) klingt aufgrund der unsichtbaren Platzierung links neben der Bühne im Interimsquartier „Staatenhaus“ zwar etwas wattig, doch wird der der Rossini-Stil prinzipiell sicher und auch mit Gusto bewältigt. Großformatig der von ANDREW OLLIVANT einstudierte Chor.
Bis auf den jungen Südafrikaner SUNNYBOY DLADLA ist das Solistenensemble in Köln ein anderes als in Bregenz (alle Sänger debütieren in ihren Rollen). „Sunnyboy“ hat die enorm schwierige Partie des Osiride nun freilich gegen die leichtere des Aronne getauscht. Grund unbekannt. Aber diese relativ kleine Partie füllt er mit standfesterer Stimme bestens aus, gefällt zudem mit seiner eifrigen Spielfreude. Den Faraone-Sohn verkörpert in Köln ANTON ROSITSKIJ mit stählerner, gleichwohl genügend lyrischer Stimme, die einmal sogar das hohe F (!!!) stemmt. Auch dieser aus Russland stammende Sänger gibt sich darstellerisch ausgesprochen engagiert. Was Höhensicherheit angeht, kommt man bei ADRIANA BASTIDAS-GAMBOA (Almatea, Gattin des Faraone) aus dem Staunen nicht heraus. Die kolumbianische Mezzosopranistin feuert immer wieder mühelos leuchtkräftige C- und D-Raketen ab. Ob hier irgendwann ein Fachwechsel bevorsteht?
Den Faraone verkörpert der Australier JOSHUA BLOOM mit voluminösem, freilich etwas rauem Bass; auch dem prinzipiell überzeugendem Mosè des Kroaten ANTE JERKUNICA möchte man eine noch stärkere Hinzugewinnung von Belcanto-Qualitäten wünschen. Dafür erstaunt das Opernstudio-Mitglied YOUNG WOO KIM nachhaltig mit einer exorbitanten Leistung als Faraone-Vertrauter Mambre. Auch SARA JO BEBNOOT ist Mitglied des Opernstudios und setzt sich bei den wenigen-Amenofi-Passagen überzeugend in Szene. Absolut hinreißend die Leistung von MARIANGELA SICILIA, welche sich in ihrer Liebe zu Osiride sopranstrahlend und belcantesk verströmt.
Nicht von ungefähr erfolgt das Eingehen auf die Inszenierung LOTTE DE BEERs erst am Schluss. Wie bekommt man eine oftmals stillständige Seria-Oper angemessen in den Griff? Ein realistischer Regiestil dürfte dem Werk auf keinen Fall hilfreich sein und unweigerlich zu Peinlichkeiten führen. In der jüngeren Aufführungsgeschichte wird die Inszenierung Luca Ronconis 1983 an der Opéra Paris als besonders gelungen hervorgehoben, ohne dass eruiert werden konnte warum. Die Arbeit der niederländischen Regisseurin wurde nach der Bregenzer Premiere von den Rezensenten zwischen „Geniestreich“ und „selbstreferenzieller Bibel-Muppet-Show“ eingestuft.
Die Einschätzung an dieser Stelle ist eine primär skeptische. In die Inszenierung prägend eingebunden ist das Theaterkollektiv HOTEL MODERN aus der Heimat der Regisseurin, welches vor allem für Figurentheater und Puppenspiel steht. Lotte de Beer hat im Programmheft konzeptionelle Statements von sich gegeben, deren Klugheit nicht angezweifelt sei. Doch man gewinnt den Eindruck, dass für sie vorrangig die Frage galt: wie fülle ich szenische Leerstellen mit Leben aus? Immer, wenn das Bühnengeschehen von einer sich dehnenden Musiknummer eingefroren wird, greifen die Mitglieder von „Hotel Modern“ ein, verordnen den bewegungslosen Sängern (Solisten wie Chor) bestimmte Körperhaltungen, was auch als ironische Geste wenig Sinn macht. Die für die Gruppe so bestimmenden Drahtfiguren ersetzen immer wieder per Video auf einer zentralen Leinwandkugel (Ausstattung: CHRISTOF HETZER) die Personen der Opernhandlung. Einige Zeit lang nimmt man dieses abstrahierende Prinzip an, auf drei Stunden gedehnt wirkt es allerdings ziemlich öde, sogar penetrant. Und wenn das Schleifen einer Kriegsleiche durch einen Siegeswagen als Püppchenspiel vorgeführt wird, kommt sogar Abscheu auf. Dem Finale (Gang durch das Rote Meer) hilft das Prinzip noch einmal auf, doch insgesamt wird es zu Tode geritten. Kein Publikumswiederspruch jedoch in der Premiere.
Christoph Zimmermann