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KÖLN: JAKOB LENZ von Wolfgang Rihm. Premiere

23.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Köln: Jakob Lenz   (Wolfgang Rihm)          Premiere am 22. März 2014

 75 Minuten lang einen von Wahnvorstellungen getriebenen Menschen singend glaubhaft zu machen und dabei pausenlos und in Hautnähe zum Publikum auf der Bühne zu agieren, ist eine Aufgabe, welche von einem Sänger sowohl physisch wie auch psychisch totalen Einsatz fordert und über die Ansprüche von  Monodramen wie Schönbergs „Erwartung“ oder Poulencs „Voix humaine“ hinaus geht. Was MILJENKO TURK als Wolfgang Rihms Jakob Lenz in der Kölner Trinitatiskirche bietet, ist nichts weniger als ereignishaft. Der nach wie vor ungemein jung wirkende kroatische Bariton  ist mit zeitgenössischer Oper vertraut, übernahm gleich zu Beginn seines Kölner Engagements mit dem Hamlet in Jurai Benes‘ „The Players“ (2002) relativ kurzfristig eine Aufgabe, bei welcher der Sänger sogar glaubte, dass ihm „die Kehle explodiert“. Aber er fühlt seine Stimme immer wachsen, wenn er sie „herausfordert“.

 Rihms 1979 in Hamburg uraufgeführte Oper schildert, auf Basis von Georg Büchners gleichnamiger Erzählung, die desolaten letzten Tage des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz („Der Hofmeister“, „Die Soldaten“ – in der Opernversion Bernd Alois Zimmermanns einer der wichtigsten Uraufführungsdaten der Kölner Oper), der mit 41 Jahren im fernen Moskau auf der Straße tot aufgefunden wurde. Das will Rihms Oper nicht realistisch rekapitulieren, auch wenn die in ihr geschilderte Episode (Besuch beim Pfarrer Johann Friedrich Oberlin) auf Fakten beruht. Der Lenz bei Rihm (aber fraglos auch der historische) ist ein Mensch, dem – wie Heinrich von Kleist über sich sagte – „auf Erden nicht zu helfen war“.

 Das auslösende Moment für seinen fatalen Zustand  wird nicht näher geschildert, die Oper (Libretto: Michael Fröhling) wirft den Protagonisten und auch die Zuschauer sogleich in eine zutiefst beklemmende Situation. Um die zerfasernden Gedanken von Lenz, seine Halluzinationen in opernhafter Weise sinnfällig zu machen, setzt Rihm ein Ensemble von 6 Vokalisten ein (2 weitere Knabenstimmen wirken eher pittoresk). Neben anderen Aufgaben unterstreicht es das Irrationale in den Gedanken von Lenz, stellt – wie es der Dirigent  ALEJO PÉREZ ausdrückt – die „Ausgeburt von Lenzens Bewusstsein“ dar. Die klanglich raffiniert operierende Musik von Rihm spiegelt das labile Denken des Protagonisten stimmig und bedrängend.

 Eine Aktion im äußeren Sinne gibt es nicht. Wie aber Miljenko Turk die Getriebenheit des Protagonisten vokal und darstellerisch umsetzt, hat eine dramatische Qualität anderer Art. Unterstützt wird diese exquisite Leistung vom wachen, konzentrierten Gürzenich-Orchester, welches Pérez  (wie auf den im Saal verteilten Monitoren leicht zu verfolgen ist) zu ebenso präzisem wie nuancenreich flirrendem Spiel animiert. Nur in einer einzigen Szene, wo sich Lenz vorübergehend in eine Beruhigung hinein träumt,  darf Miljenko Turk seine belcantesken Qualitäten hervorkehren. Ansonsten unterwirft er sich den Forderungen seiner Partie nach rhetorischer Expressivität mit geradezu schmerzhafter Intensität.

 Die Trinitatiskirche, nach Benjamin Brittens „Turn of the Screw“ zum 2. Male für eine Opernproduktion benutzt, bedeutet auf der einen Seite räumliche Beengung (das schmale Spielpodest gab es schon bei Britten), ermöglicht aber auch viel raumgreifende Aktion. Und mit Bett und Berghügel an der jeweils äußeren Seite (Ausstattung: NELE ELLEGIERS) wird die Kapazität der Spielfläche erheblich erweitert. Die Regisseurin BÉATRICE LACHAUSSÉE nimmt trotz einiger szenischer Zuspitzungen von drastischen Wirkungen Abstand, wie sie etwa Frank Castorf bei den Wiener Festwochen 2008 mit Live-Kameras suchte. Von den körperlichen Exaltationen Miljenko Turks abgesehen läuft die Inszenierung auf antikisierende Rituale hinaus, in welche sich die Figuren Oberlins (erstklassig und mit Würde: WOLF MATTHIAS FRIEDRICH) und Lenzens nüchtern denkender Freund Kaufmann (elanvoll: JOHN HEUZENROEDER) gut einpassen. Die „Stimmen“ sind durchgehend mit Kräften des Opernstudios sehr gut besetzt (ERIKA SIMONS, AOIFE MISKELLY, MARTA WRYK, MARCELO DE SOUZA FELIX, LUKE STOKER). ADRIANA  BASTIDAS GAMBOA kommt aus dem Ensemble, die Buben FARIS WIENECKE und MORITZ BOUCHARD von der Chorakademie Dortmund.

 Der Erfolg von Rihms Oper wiederholt sich auch in Köln. Er ist nicht zuletzt den überragenden Interpreten zu danken. Nachhaltiger Beifall.

 Christoph Zimmermann

 

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