Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KÖLN: EUGEN ONEGIN – Premiere

21.10.2013 | KRITIKEN, Oper

KÖLN: EUGEN ONEGIN           Premiere am 20.Oktober

 Auch wenn das Vorspiel sogleich zeigt, dass MARC PIOLLET ein enorm sensibler und klangformender Dirigent ist, muss im Falle des neuen Kölner „Eugen Onegin“ zuerst von der Inszenierung gesprochen werden. Nicht nur, weil vielen Kölner Opernfreunden eine rund 3 Jahrzehnte alte Inszenierung Willy Deckers noch als maßstäbliche Produktion in Erinnerung haftet, sondern auch, weil DIETRICH HILSDORF, der jetzige Regisseur, mit diesem Werk 1981 in Gelsenkirchen sein Operndebüt absolvierte. Der dortige Intendant Claus Leininger (1931-2005) hatte den bislang nur im Schauspielsektor arbeitenden und diesem inzwischen offenbar weitgehend abhanden gekommenen Regisseur für das Musiktheater entdeckt. Der Rezensent hat die damalige Premiere erlebt (Sängerprotagonisten: Sue Patchell, John Janssen, Scot Weit und (!) Marga Höffgen). Der Inszenierungsstil in Köln ist ein gänzlich anderer. Ein markantes Detail aber hat Hilsdorf beibehalten, und diese kurze Szene könnte jederzeit als korrektives Anschauungsmaterial für selbstgefällige, berserkerische Regisseure dienen. Am Ende seiner an Tatjana gerichteten Arie, an der „moralisch“ nichts zu beanstanden ist, stößt Onegin mit den Füßen Bücher um, die Tatjana gewissermaßen als Schutzwall aufgestellt hat. Kleine Geste, große Wirkung.

 Hilsdorf hat als Regie-„Revoluzzer“ begonnen, vor allem in Gelsenkirchen, Essen und Bonn. Inzwischen ist er so etwas wie altersmilde geworden und lässt sich (wie auch jetzt von DIETER RICHTER) realistische Bühnenbilder bauen. Im Falle der Tschaikowsky-Oper scheint dabei fast die Rudolf-Noelte-Zeit wieder aufzuerstehen (z.B. Lichteinfall durch seitliche Fenster). RENATE SCHMITZERs Kostüme holen die Handlung ein wenig in die Jetztzeit – Richters Bühnenbild schmückt sich seinerseits mit dezenten Jugendstilmustern; es gibt bereits elektrische Beleuchtung). Da in der Interimsspielstätte der Kölner Oper (bis 2015 ist die gegenwärtige Generalsanierung projektiert), der zeltartigen „Oper am Dom“, große Umbauten nicht möglich sind (Ausnahme: die speziell konzipierte Wandelbühne von „Forza del destino“), müssen Ausstatter immer wieder zu einem weitgehend gleichbleibenden Szenenbild Zuflucht nehmen. Bei „Eugen Onegin“ gelingt dies vorzüglich. Sogar die Duell-Szene spielt – absolut logisch – in einem Innenraum. Es ist ein Saal in Larinas Haus, wo zuvor schon die Auseinandersetzung zwischen Lenski und Onegin anhob, welche nota bene zu einem Schlaganfall Larinas führt. Im Rollstuhl hereingefahren, muss sie nach dem Duell sogar noch den plötzlichen Tod ihrer Njanja miterleben,

Beim Übergang zum Finalbild muss man nicht die Jahre zählen, die zwischen diesen Geschehnissen und der Rückkehr Onegins liegen. Die Begräbnisstimmung wirkt nach, von einem „Festesglanz“ bei Gremin ist nichts zu spüren. Ein Fürst ist dieser alte Herr ohnehin nicht. Ein Kostümdetail bei Tatjana suggeriert, dass sie ihre Heirat über die Straße organisiert hat. Diese Andeutung tut regelrecht weh. Das Wiederbegegnen und Wiedererkennen von Tatjana und Onegin schmerzt ebenfalls nachhaltig. In Für den Kölner „Onegin“ konzentriert Hilsdorf seine ganze Kunst der Personenführung – bis in die Chor-Auftritte hinein. Eine klug-realistische Erzählweise funktioniert also immer noch.

 Dass OLesya GOLOVNEVA als Tatjana ein Rollendebüt gibt, möchte man kaum glauben. Die koloraturversierte russische Sopranistin bewegt sich überzeugend auch im jugendlich dramatischen Fach (Kölner Partien waren bisher u.a. Konstanze, Anna Bolena, Natascha in Prokofjews „Krieg und Frieden“) und erfüllt die schwärmerische Mädchenfigur mit einer Inbrunst sondergleichen. ANDREI BONDARENKO muss sich als junger Sänger das Dandy-hafte des Onegin noch etwas erkämpfen, das steigert freilich den Sympathiebonus für diese Figur. Sein warm getönter Bariton besitzt angemessene maskuline Kraft, ohne den lyrischen Ansprüchen der Rolle etwas schuldig zu bleiben.

 Ganz stark sind die weiteren Frauenfiguren besetzt. ADRIANA BASTIDAS GAMBOA trifft den Charakter der lebenslustigen Olga genau und bezaubert einmal mehr mit ihrem wohltönenden Mezzo. Als Larina ist DALIA SCHAECHTER eine starke Persönlichkeit, wie erwartet. Keine Interpretationspikanterie von Hilsdorf (wie das überflüssige Hündchen auf Larinas Fest): die Gutsbesitzerin trinkt ganz gerne, wenn es gilt, emotionalen Anwandlungen aus vergangener Zeit entgegenzuwirken. Wiederum eine kleine Geste mit großer Wirkung. Die Filipjewna von ANNA MARIA DUR besitzt ebenfalls eine ungemein starke Ausstrahlung.

 In zwei Fällen sind freilich vokale Einschränkungen zu machen. MATTHIAS KLINK gewinnt als Lenski mit seinem jungenhaften Flair das Publikum mühelos, aber seine Tenorhöhe wirkt mittlerweile gefährdet, vor allem, wenn auf Linie zu singen ist. Partien von lyrischem Charakter sollte er sich zumindest sehr sorgsam auswählen. Der Gremin ist zwar eine kurze Partie, aber die Ohrwurm-Arie bedarf großer vokaler Autorität. ROBERT HOLL besitzt sie nur noch bedingt, dabei war er vor nicht allzu langer Zeit in Köln noch als Hans Sachs präsent. Andererseits war es schön, diesen großen Künstler wieder einmal zu erleben.

 Der eingangs bereits erwähnte Marc Piollet (seine Stationen waren u.a. in Halle, Kassel, Volksoper Wien) erweist sich als geradezu idealer „Onegin“-Dirigent. Er lässt das GÜRZENICH-ORCHESTER so sensibel spielen, dass man die Klassifizierung „lyrische Szenen“ als wirklich zwingend empfindet. Die Balance zwischen Forte-Eruptionen und Piano-Zartheit stimmt. Alles in allem: ein großer Abend.

 Christoph Zimmermann

 

Diese Seite drucken