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KÖLN: CATONE IN UTICA (Vivaldi) Konzertaufführung

09.09.2016 | Oper

KÖLN: CATONE IN UTICA (Vivaldi)        Konzertaufführung am 9. September2016

Es war fraglos ein Planungszufall, dass Köln im Abstand von zwei Tagen konzertante (bzw. halbszenische) Aufführungen von Barockopern geboten bekam, zudem solchen, die nur als Fragment vorliegen. Von Purcells „Indian Queen“ in der Philharmonie war an dieser Stelle am 7.9. die Rede, jetzt ist von der Eröffnung der Opernsaison zu sprechen. Zur Erinnerung: die Kölner Oper spielt wegen der Sanierung des Theaterarreals am Offenbach-Platz in einem Provisorium, welches trotz räumlicher Beschränkungen zufrieden stellt. Umbaumöglichkeiten sind freilich minimal, so dass zur Aufrechterhaltung des Spielplans mehrfach konzertante Produktionen geboten werden. Im Falle von Antonio Vivaldis „Catone in Utica“ ist diese Entscheidung auch deswegen sinnvoll, weil eine triftige Inszenierung nur unter besonders inspirierenden Gegebenheiten vorstellbar ist.

Bei dieser Oper ist man durchaus geneigt, ein wenig zu lästern. Man erlebt verfeindete Staatsmänner, die verbissen um Macht kämpfen und dabei unterschiedliche Regierungsformen durchsetzen wollen; gleichzeitig spielen sich in ihrem Umfeld ziemlich simpel konturierte Liebesgeschichten ab. Selbst ein Librettomeister wie Pietro Metastasio verfängt sich in allzu simplen dramaturgischen Klischees, zumindest für heutigen Geschmack. Seine metaphernreiche Sprache rotiert in oft nur belanglosen Bildern, so dass man Übertitel (wie in Köln geboten) bald nicht mehr in Anspruch nimmt und sich lieber auf Orchester, Dirigent und Sänger konzentriert, welche ohnehin genügend „Inhalt“ vermitteln.

Selbst den Verlust des 1. Aktes bei dieser Oper nimmt man nur bedingt als Nachteil wahr. Wie die Personen der Handlung zueinander stehen, macht man sich auch ohne Vorgeschichte (1. Akt) ausreichend klar. Damit sollen wissenschaftliche Anstrengungen zur Werkvervollständigung nicht klein geredet werden. Ganz sicher wäre auch interessant zu erfahren, zu welchen (womöglich unterschiedlichen) Lösungen die sechs derzeit greifbaren Gesamteinspielungen des Werkes gekommen sind.

GIANLUCA CAPUANO, Dirigent der Kölner Aufführungen (es gab noch eine zweite), hat sich dafür entschieden, die Oper so zu präsentieren, wie sie als originaler Notentext vorliegt, also rudimentär. Bei Purcell in der Philharmonie geschah das Gegenteil, überaus plausibel. Keine ästhetische Festlegung also. Sehr interessant sind die Programmheft-Ausführungen des Dirigenten zu der nur langsamen Rehabilitierung Vivaldis in jüngerer Zeit, die erst in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einsetzte, als man peu à peu der Manuskripte habhaft wurde, welche der verarmte Komponist gegen Ende seines Lebens veräußerte. Von den  90 geschriebenen Opern (diese Zahl nennt ein Brief des Komponisten) ist gleichwohl nur die Hälfte per Titel bekannt.

So sehr Stoff und Libretto von dem häufig vertonten „Catone in Utica“ Kritik hervorrufen können, so überrumpelnd wird man Vivaldis Musik empfinden. Bereits die Tempesta-Einleitung (es müsste sich um das Vorspiel zum 2. Akt handeln, also nicht um die originale Ouvertüre) ist eine glänze3nde Furioso-Eingebung, welche CONCERTO KÖLN mit blitzender orchestraler Artikulation und straffer Tempogenauigkeit gewissermaßen in Flammen setzte. Auch sonst spielten die Musiker mit spürbarem Körpereinsatz und Heißblut, was besonders bei den Geigern am ersten Pult sichtbar wurde. Gianluca Capuano, immer wieder auch in die Tasten seines Cembalos greifend, strich die Farbenvielfalt der Partitur heraus, hob instrumentatorische Finessen hervor wie in der zweiten Arie der Emilia, deren Kadenz übrigens durch Mitwirkung eines obligaten Horns frappiert. Orchesterbegleitung nota bene: Streicher plus je zwei Oboen und Chitarronen, Fagott als Continuo-Verstärkung, bei besonderem Anlass Hörner und Trompeten.

Die Handlung der Oper wurde bewusst nicht erzählt, da 08/15 und vorhersehbar. Zu unterstreichen wäre allerdings der Konflikt zwischen Catone (setzt sich für eine Republik ein) und Cesare, den Machtpolitiker. Die Liebeswirren der Nebenfiguren müssen wiederum nicht näher beschrieben sein. Eine zentrale und besondere Gestalt ist allerdings Emilia, die rachedürstende Witwe des von Cesar ermordeten Pompeius. Sie verweigert sich einer Verzeihung, entflieht dem Lieto-Fine-Finale. Dass ihr Vivaldi zwei vehemente Koloratur-Arien in den Mund legt, ist seria-typisch. VIVICA GENAUX setzte mit ihrem Gesang gewissermaßen die Erde in Brand. Als Zuhörer wurde man ob ihrer Virtuosität und Leidenschaft schier atemlos.

Trotz vorgerückten Alters bewies sich RICHARD CROFT (Catone) als weiterhin stilistisch vorbildlicher Sänger mit ungebrochener tenoraler Kraft. Sein Gegner Cesare war KANGMIN JUSTIN KIM, Amerikaner koreanischer Herkunft. Seine Repertoirevielseitigkeit stellte er während seiner Zugehörigkeit zum Ensemble des Theaters Heidelberg in der letzten Spielzeit nachdrücklich unter Beweis. Er ist nicht nur ein souverän über mehr als zwei Oktaven verfügender Sänger, sondern auch ein elementarer Schauspieler (reichlich Material bei Youtube). Auch sein Cesare lebte von differenziertem Ausdruck (nicht zuletzt mimisch). Dass Kim als liebenswerter Blondschopf die politische Abgefeimtheit der Figur (welche auch die Musik abmildert) mehr andeutete als erfüllte, ist Feststellung ohne Kritik. Überzeugende Rollenkreationen boten noch CLAUDIA ROHRBACH (Arbace), ADRIANA BASTIDAS GAMBOA ( Marzia) und die besonders mezzosatte MARGARITA GRITSKOVA (Fulvio). Tobende Begeisterung eines nicht ganz vollen Hauses – geschuldet einer weiteren Kölner Veranstaltung und dem Beginn des Bonner Beethoven-Festes.

Christoph Zimmermann

 

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