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KOBLENZ: LA NAVARRAISE /Massenet und LES BOULINGRIN /Aperghis

27.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Zwei Opernraritäten im Theater Koblenz:

„La Navarraise“ von Jules Massenet und „Les Boulingrin“ von Georgis Aperghis (Vorstellung: 26. 1. 2012)


Ensemble-Szene des Ehedramen-Spektakels „Les Boulingrin“: Hana Lee, Monica Mascus, Christoph Plessers und Mathieu Dubroca (Foto: Presse Theater Koblenz)

 Es schien ein Fluch auf diesem Operndoppelabend im Theater Koblenz zu liegen, denn im Dezember musste er wegen der Erkrankung zweier Sängerinnen abgesagt werden und am 26. 1. konnte der erste Teil wegen des Ausfalls des Tenors auch nur konzertant aufgeführt werden. Aber kleinere Opernhäuser haben eben keine Doppelbesetzungen und bei unbekannteren oder nur selten gespielten Werken ist auch nicht so leicht ein Ersatz zu finden.

 Vorweg: Es war dennoch lohnenswert, die konzertante Aufführung (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln, die allerdings kaum zu lesen waren) in Koblenz zu besuchen. Die Episode lyrique „La Navarraise“ (Das Mädchen von Navarra) von Jules Massenet, 1894 in London uraufgeführt, ist neben seiner Sapho die einzige veristische Oper des französischen Komponisten und war sofort ein internationaler Erfolg. Das Libretto verfassten Henri Cain und Jules Claretie nach dessen Erzählung La cigarette. Die Handlung, die zur Zeit der Karlistenkriege spielt, in Kurzfassung: Auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich Geld für die nötige Mitgift zu verschaffen, um den Sergeanten Araquil heiraten zu können, beschließt Anita, den General Garrido im Kampf gegen die Karlisten zu unterstützen. Für eine hohe Geldsumme bietet sie ihm an, deren Führer Zuccaraga zu ermorden. Garrido willigt ein, Anita gelingt der Mord. Doch als Araquil, der im Kampf schwer verwundet wurde, erfährt, wie Anita zu dem Geld gekommen ist, weist er sie zurück, ehe er seinen Verletzungen erliegt. Anita verliert den Verstand und versucht sich umzubringen.

 Die konzertante Aufführung fand im Bühnenbild von Katrin Hieronimus und in den Kostümen von Gwendolyn Jenkins statt, sodass zumindest ein spanisches Ambiente sichtbar  war. Musikalisch wurden die veristischen Klänge des Komponisten durch das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter der Leitung von Marcin Dobrzanski erstklassig dargeboten. Ausgezeichnet Aurea Marston in der Titelrolle, die mit ihrem dramatischen Mezzosopran alle ihre Gefühle stimmlich auszudrücken verstand. Die Besonderheit der Vorstellung lag darin, dass der Bariton Michael Mrosek sowohl den General Garrido wie auch die Tenorpartie des Sergeanten Araquil sang – und dies stimmlich sehr eindrucksvoll! Ein Bravo für diese Leistung, die auch vom Publikum verdientermaßen mit starkem Applaus gewürdigt wurde.

 Nach der Pause wurde die Opéra bouffe „Les Boulingrin“ von Georgis Aperghis szenisch dargebracht. 2010 als Auftragswerk der Opéra Comique in Paris uraufgeführt, erlebte sie in  Koblenz ihre Deutsche Erstaufführung. Die Handlung der Oper, deren Libretto von Georges Courteline stammt: Monsieur Des Rillettes, ein professioneller Schmarotzer, hat eine Einladung des gutbürgerlich wirkenden Ehepaars Boulingrin zum Tee erhalten und freut sich schon, während des Winters mindestens dreimal in der Woche bei den Boulingrins eine warme Zuflucht zu haben und damit Geld zu sparen. Aber die Boulingrins integrieren ihren Besucher in ihre Ehehölle, ist ihnen doch inzwischen langweilig geworden, allein zu streiten.  Bald findet sich Monsieur Des Rillettes unentrinnbar als Zeuge und Prügelknabe des bürgerlichen Wahnsinns wieder, denn jeder Fluchtversuch wird von den aufmerksamen Gastgebern unterbunden. Am Schluss wird geschossen, die Wohnung brennt – und als endlich das Angebot kommt, Champagner zu trinken, kann dies Des Rillettes nicht mehr erfreuen…

 Der griechische Komponist Georgis Aperghis wurde 1945 in Athen geboren und lebt seit dem Jahr 1963 in Paris, wo er sich mit seinen Bühnenwerken, die zum Teil parodistisch absurde multimediale Spektakel sind, einen Namen machte. Er entwickelt viele seiner Kompositionen mit seiner Truppe, dem Atelier Théâtre et Musique (ATEM), und erkundet seit Jahrzehnten neue Formen des Musiktheaters. Einen großen Erfolg erzielte er vor zwei Jahren in Brüssel im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Musik  Ars Musica mit „Ismène“, einer 75minütigen Oper für Sologesang ohne Instrumentalmusik, die im Théâtre Balsamine aufgeführt wurde (siehe meine Rezension im „Neuen Merker“ von der Premiere am 15. 3. 2010).

 Leider wurde Les Boulingrin von der Regisseurin Beate Baron mit viel zu viel Klamauk inszeniert. „Absurdistan lässt grüßen“ war noch einer der harmloseren Kommentare von Besuchern, die während der Vorstellung das Theater fluchtartig verließen. Die Hoffnung auf eine niveauvolle komödiantische Aufführung, als der Dirigent mit einem Sektglas in den Orchestergraben stieg, war bald verflogen. Schon der erste Auftritt Des Rillettes‘ bei den Boulingrins – er stolperte auf die Bühne und fiel auf die Nase – ließ Böses ahnen. Aber es wurde viel schlimmer. Gewiss kann man über Humor streiten, so manche Damen und Herren im Publikum lachten auch hin und wieder, doch der Ärger schien zu überwiegen und für  manche blieb nur die Flucht aus dem Theater…

 Das vierköpfige Ensemble mühte sich ab und hatte auch Teilerfolge zu verzeichnen, wobei die schauspielerischen Leistungen im Vordergrund standen. Überzeugend der belgische lyrische Bariton Christoph Plessers in der Rolle des Besuchers, der einem am Schluss nur Leid tun konnte.  Als Madame Boulingrin gefiel die aparte Mezzosopranistin Monica Mascus in einigen Szenen, während der französische Bariton Mathieu Dubroca als ihr Ehemann zu stark outrierte. Hübsch anzusehen war die koreanische Koloratursopranistin Hana Lee als hochschwangeres Dienstmädchen Felicie, die allerdings durch ihre kieksende Stimme die Ohren des Publikums grausam strapazierte (eine Vorgabe des Komponisten oder eher ein Gag der Regisseurin?).

 Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie, nun unter der Leitung von Karsten Huschke, gab zu diesem parodistisch-absurden Ehedrama-Spektakel die vom Komponisten geschriebene Begleitmusik, wobei der Schlagzeuger sich am stärksten in Szene zu setzen wusste. Höflichkeitsapplaus der noch im Theater verbliebenen Zuschauerinnen und Zuschauer, der vor allem den schauspielerischen Leistungen des Ensembles zu gelten schien.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

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