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KOBLENZ: A STREETCAR NAMED DESIRE (ENDSTATION SEHNSUCHT) von Andre Previn

06.06.2016 | Oper

KOBLENZ: ENDSTATION SEHNSUCHT (A STREETCAR NAMED DESIRE) von André Previn
am 04.06.2016 (Werner Häußner)

Vier Menschen, von Sehnsucht erfüllt: Blanche, die verletzte Seele, die sich nach dem Zauber hinter allen Dingen sehnt. Die sich in Lügen und Fehlern verstrickt, weil ihr Träume wichtiger sind als Wirklichkeit. Stella, die ergeben unter der Grausamkeit ihrer Welt und ihres Mannes leidet, ein hilfloses Opfer, das sich ein wenig Schönheit und Würde wünscht. Mitch, ein aufrechter, aber etwas fantasieloser Mann, gefangen in seinen Hemmungen, seiner Anständigkeit und dem psychischen Spinnennetz seiner Mutter. Und Stanley, dessen Ängste mit verbaler Aggression, plakativem Männlichkeitsgehabe und ungenierter ausbrechender Gewalt überdeckt sind – aber im Greinen des kleinen Kindes nach Liebe offenbar werden.

Vier Menschen, deren Lebensstrecke die Sehnsucht zur Endstation hat, wie die Straßenbahn, die Tennessee Williams von seinem Fenster in New Orleans beobachtete, als er sein Stück schrieb. Und deren andere Station nicht Erfüllung, sondern Friedhof heißt. „A streetcar named desire“, eines der erfolgreichsten Dramen des amerikanischen Autors, diente dem musikalischen Multitalent André Previn als Vorlage für seine Oper gleichen Namens. 1998 uraufgeführt, hat sie sich zu einem viel gespielten Musiktheaterwerk der Gegenwart gemausert, immer wieder auch an deutschen Theatern inszeniert.

In Koblenz rahmt Bodo Demelius eine anspruchslose Zwei-Zimmer-Wohnung mit der filigranen Eisen-Architektur des erblühten Industriezeitalters. Den Hintergrund füllen einfache Mietshaus-Ziegelfassaden. Vom Lebensgefühl der Fünfziger, als Williams‘ Stück und der weltberühmte Film Elia Kazans entstanden, sprechen die Sessel um den Nierentisch und ein voluminöser Kühlschrank. Einfache Attribute eines Lebens knapp über der Unterkante der Armut. Auch die Kostüme von Claudia Caséra sprechen von dem Wunsch, ein wenig mehr zu scheinen als man ist. Verblichener Flitter für Blanche, ein etwas zu schreiend modisch bedrucktes Hemd für Mitch, Südstaatler-Hüte und viel Macho-Feinripp für die Hitze des Südens. Die Atmosphäre ist stimmig, das Milieu passend gezeichnet. Behutsam wird der bloße Naturalismus vermieden – etwa durch die Galerie, die sich über die Wohnung spannt, oder durch Haruna Yamazaki als mexikanische Frau, geschminkt als Todesbotin wie eine Figur des „Día de los muertos“.

Markus Dietze arbeitet in seiner Inszenierung mit den Menschen des Stücks. Die Entwicklung, die Blanche von der Lebenslüge über die Illusion bis in den Wahn treibt, zeichnet er stimmig nach. Kerrie Sheppard verkörpert in jeder Nuance ihres Spiels die Frau auf der Flucht vor der unerbittlich durch den brutalen Stanley Kowalski (beklemmend realistisch und mit destruktiver Energie: Michael Mrosek) eindringenden Realität. Sie ist das Opfer, das sich fadenscheinige Fassaden aufbaut, bis sie unbarmherzig abgerissen werden und nur noch die Flucht in den Wahn bleibt. Sheppard ist gesanglich immer dann glaubwürdig und nahe bei ihrer Figur, wenn sie die allzu voluminöse Emission lässt und psychologische Nuancen in Piano-Facetten und in differenzierten Tönungen des Klangs ausdrückt.

Konzentriert gelingt so die für das psychologische Verständnis der Figuren entscheidende Szene zwischen Blanche und Mitch im zweiten Akt: Zwei zutiefst einsame Menschen, die einander bräuchten, um sich zu befreien – aus den halb eingestandenen Alpträumen der Vergangenheit und aus der psychischen Umklammerung durch eine dominierende Mutter. Juraj Hollý beglaubigt als Mitch mit seinem warm abgetönten Tenor und seinem sorgsam geformten Spiel die sensible Seite eines Mannes, der nicht wirklich in die raue Runde Poker spielender Prolls passt, der im entscheidenden Moment jedoch den Aufbruch nicht wagt. Christoph Plessers (Steve) und Jona Mues (Gonzales) komplettieren das Männerquartett mit sorgfältig entwickelten Personenstudien. Irina Marinaş als Blanches Schwester Stella hat mit den schüchternen Momenten des Aufbegehrens keine Chance gegen ihren ordinären Mann.

Previns Partitur merkt man an, dass ein erfahrener Operndirigent musikalische Mittel in kluger Dosierung einsetzt und der Stimme den Primat einräumt. Schostakowitsch hat in „Lady Macbeth von Mzensk“ die grellere und komplexere Vergewaltigungs-Musik geschrieben, aber Previns ökonomischer Mitteleinsatz macht aus der demütigenden Szene gleichwohl einen dramatischen Höhepunkt. Eine Musik ohne Avantgarde-Anspruch, aber eminent theaterwirksam und über das unverkennbare Können hinaus auch mit Momenten, die nur so und nicht anders für das Drama geschrieben sein können. Musiktheater, das unter die Haut geht.

Die Rheinische Philharmonie hat unter Enrico Delamboye ihre Spielkultur weiter ausgebaut. Es gibt weder klangliche Nachlässigkeiten noch rhythmische Unschärfe. Vor allem in den nächtlich leisen, den fiebrig lauernden, den gebrochen traurigen Klängen beweisen sich die Solisten in rund gestaltetem Ton und in filigranem Zusammenspiel. Den Tutti nimmt Delamboye das Fett von den Hüften, lässt straff und konzentriert artikulieren und findet die Balance, die den Spielraum zum Gestalten weitet. Nicht nur das Orchester – das gesamte Koblenzer Ensemble glänzt mit dieser Produktion, die über die Region hinaus einen Stern verdient hätte.

Aufführungen am 14., 19., 22., 27. und 30. Juni. Info: www.theater-koblenz.de

 

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