Karlsruhe: „TRISTAN UND ISOLDE“ 05.05.2016
Eine Opern-Sternstunde am Nachmittag!
Erin Caves (Tristan), Heidi Melton (Isolde). Copyright: Falk von Traubenberg
Völlig unbeeindruckt von Christopher Aldens-Regie-Absurdistan war ich neugierig auf diverse Umbesetzungen in „Tristan und Isolde“ (Richard Wagner) am Badischen Staatstheater, besuchte die Aufführung am Christi Himmelfahrt-Nachmittag welche sich als wahre Opern-Sternstunde erwies.
Galt mein hauptsächliches Interesse den Neubesetzungen der Partien Brangäne und Marke.
Entgegen bisheriger Hörgewohnheiten wurde die devote Magd konträr mit einem Sopran besetzt, das hat insofern den Vorteil den hohen Regionen dieser vielfältigen Partie gerecht zu werden. Christina Niessen verstand es ausgezeichnet jene Tücken zu meistern, im Vergleich mit Isolde wirkte ihre Stimme weniger voluminös jedoch beeindruckt die vielseitige Sängerin mit achtbarem Höhenpotenzial (zuweilen mit leichtem Klirrfaktor) sowie klangvollem Mittelbereich. Strömend weich-fließend erklangen farblich nuanciert die Wach-Rufe im zweiten Aufzug.
Einen König Marke der Sonderklasse durfte man von Konstantin Gorny vernehmen, der russische Bass bot darstellerisch höchst intensiv das erschütternde Portrait einer zutiefst verletzten Seele. Großartig-prägnant schwarze Töne, sonore Fülle von imposanter Vokalpracht schenkte der sympathische Sänger seinen (in derart differenzierter Interpretation viel zu kurzen!) Monologen.
Am Pult der prächtig musizierenden und bestens disponierten Badischen Staatskapelle waltete wiederum GMD Justin Brown. In musikalischer Transparenz, ohne überzogene Emphase in moderaten Tempi ließ der prädestinierte Wagner-Dirigent die betörende Musik fließen, atmen – rückt die suggestiven Details der musikalischen Droge bezwingend in den Vordergrund, völlig unbeeindruckt und distanziert vom überdrehten Bühnengeschehen. Bei Brown dominieren in allererster Linie die Ausformungen der Kontraste, die frischen Partituranalysen , die sich immer mehr steigernde, überbordende Ekstase der musikalischen Opium-Euphorie und bescherte dem Zuhörer in derartiger Formation „Wagner-Wonnen“ pur!
Umflort vom orchestralen Klangbad der Emotionen ließen sich die weiteren Solisten zu vokalen Höchstleistungen inspirieren. Entspannt, losgelöst des Premierenfiebers entfaltete sich die Sopranstimme von Heidi Melton voll Wärme und jugendlicher Frische. Weder während der gewaltigen Ausbrüche noch zu den lyrischen, liebevollen Momenten verliert ihr herrliches Timbre an Ausdruckskraft und Fülle. In ungewöhnlicher Schönheit entfaltet Melton ihr kostbares Material, schenkt den aufblühenden Oberregionen den glanzvollen Silberstrahl, den lyrischen Passagen schwebende Piani, dem Liebesduett einen überwältigenden Vokalkosmos sowie dem Liebestod eine verklärende Mystik. Auf die Brünnhilde zur nächsten Spielzeit darf man sich schon heute freuen.
In völliger Rollenidentifikation ließ Erin Caves wiederum in phonischer Vollendung, meisterlich artikulierend den Titelhelden erklingen. Der exzellente Tenor schöpft mit seinem herrlich-strahlenden Material aus dem Vollen, überzeugt gleichwohl im Kalkül des glanzvollen Höhenklangs, wie in den individuell-beseelten Momenten des Duetts. Einen Tristan geprägt von so hoher Musikalität schwebend in Melodie selbst während der kräftezehrenden Fieberträume muss man lange suchen. Bravo!
Als erkältet angekündigt, öfters hustend agierte Seung-Gi Jung in sensibler Intensität als getreuer Kurwenal, ließ vokal keinerlei Qualitäten vermissen und erfüllte mit seinem kernig-markanten Bariton höchste Ansprüche.
Intakt und schönstimmig besetzt die kleinen Rollen Melot (Matthias Wohlbrecht), Steuermann (Mehmet Altiparmak), Hirt/Seemann (Cameron Becker) sowie der bestens bewährte Herrenchor (Ulrich Wagner).
Kaum war der letzte Ton verklungen, ohne besinnliches Innehalten entlud sich die zehnminütige lautstarke Begeisterung des Publikums.
Gerhard Hoffmann