Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE: LOHENGRIN

02.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Karlsruhe : „LOHENGRIN“ 1.4.2012 – Das Wunder oder ein Drahtseilakt:


Heidi Melton (Elsa) und Lance Ryan (Lohengrin). Copyright: Jochen Klenk

 Reinhild Hoffmann, die die Regie für den ursprünglich vorgesehenen, aber inzwischen zum Direktor des Theaters Bremen berufenen Benedikt von Peter übernommen hat, wollte weg von den überstrapazierten Politfabeln, die um den Schwanenritter in den letzten Jahren herum konstruiert wurden, und ein modernes Märchen zeigen. Die Basis dafür bildet eine Party-Gesellschaft, die in einem Stadion (Bühne: Hartmut Meyer )- angedeutet durch verschiebbare Segmente einer Stufen-Tribüne, Begrenzungslinien, Absperr-Stangen, Tore und eine Beleuchterbrücke – zusammentrifft, um über die Zukunft ihrer Führung zu verhandeln. Eine Art Königsfigur symbolisiert die gegensätzlichen politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen. Gestützt auf Wagners These, dass nur ein revolutionärer Künstler Neuerungen zu schaffen vermag, stellt sich Lohengrin als die ersehnte Hoffnung dar. Die Regisseurin vergleicht ihn mit einem Seiltänzer, dessen Kunst  sich in einem für die Masse unerreichbaren Raum über dem Abgrund konzentrisch zu behaupten, ihn zu einem Erhabenen macht, zu dem die Menschen aufblicken.

In dieser Konsequenz lässt die renommierte Tanztheater-Leiterin Parzivals Sohn auch symbolisch als Strichmännchen auf dem über die Bühne gespannten Seil erscheinen, während der Leibhaftige in weißem Ornat, von hinten erleuchtet, und hier bereits begleitet von dem verschleierten Gottfried, herein schreitet. Statt eines Schwertes ficht er den Kampf gegen Telramund mit seinem mitgeführten Stab aus und zeigt im weiteren Verlauf aber auch zusehends seine Überforderung im Konflikt der ehelichen Verbindung mit Elsa. Beider Frustration wird in der Brautgemachszene durch eine stringent aufgebaute Personenführung deutlich. Sie spielt vor einer fahrbaren Wand in Weiß und Rot, denselben Farben wie die beim Hochzeitszug im 2.Akt vom Volk geschwungenen Papierfähnchen und gedrehten Blumen-Windräder. Das Brautbett ist das mit einem großen weißen Tuch bedeckte Siegertreppchen aus den beiden ersten Akten, auf das dann der von Lohengrin erschlagene Telramund fällt und in diesem vor die Versammlung der letzten Szene getragen wird. Und da erreicht die Regie endgültig jene Spannungsgeladenheit, die zuvor nur selten auszumachen war (wobei die Gerichtsverhandlung im ersten Akt gegebenermassen eine konzertantere Angelegenheit für ausdrucksstarke Persönlichkeiten ist). Im allgemeinen ist der Regisseurin  jedoch zuzugestehen, dass sie die Gruppen großteils sinnvoll arrangiert hat, dass solistische Einsätze zu ihrem vollen Recht kommen.

Am Schluß erklimmt die im schwarzen Kleid mit pelzbesetzten Schulter-Partien und Handschuhen mehr schlangenartig als hexenhaft wirkende Ortrud triumphal das Siegertreppchen, stürzt aber nach der Erlösung Gottfrieds zu Boden. Dieser entpuppt sich als Spiegelbild Lohengrins. Wenn er den Elsa überlassenen Stab mit dem seinen zusammensteckt, versuchen Elsa und Ortrud an den beiden Enden Halt und Fassung zu bekommen. Der neue Führer wird es nicht leicht haben zwischen der Macht kalkulierenden friesischen Fürstentochter und der aus vollem Herzen vertrauenden Elsa. Der Kampf wird weitergehen.

Was das Premierenpublikum an dieser Regie so erzürnt hat, dass es mit einem gnadenlosen Buhkonzert antwortet, bleibt nicht nachvollziehbar. Sicher ist die optische Seite eher ernüchternd und stimmungslos ausgefallen, doch unter Abstreifung und Ausblendung des im Text erwähnten historischen Umfelds erzählt Hoffmann eine konsequente und großteils schlüssige Geschichte in einer modernen Gesellschaft, wobei die Kostüme von Emily Laumanns trotz fehlender Farben und vor allem bei den Herren einheitlicher Formen weder entstellend noch einfallslos sind, zumal die Lichtregie von Stefan Woinke immer wieder reflexive Momente wie das Gebet im ersten oder das Ensemble im zweiten Akt herausleuchtet. 

Wo die Regie eher zaghaft in der Ausformulierung blieb, steuerten die tempomäßig flüssigen, aber nie verhetzten Akzente von GMD Justin Brown mit einer unüberhörbar martialisch pompösen Auffassung der Partitur, in der das Blech aus festlichem Stolz strotzen und das Schlagwerk zum militärisch anmutenden Tschingdarassabum ausholen durfte, dagegen. Gegenüber diesen straffen Vorgaben standen zum Glück auch sanft und mit viel Gefühl inspirierte Streicher-Teppiche und nachdenklich ausgehörte Holzbläser-Floskeln. Die Badische Staatskapelle stellte nach noch etwas unruhigem Beginn im Vorspiel ihre hinreichende Wagner-Erfahrung in den Raum und ließ gemäß den Vorgaben mehr den lärmenden Romantiker als den distanzierenderen Modernen zu seinem Recht kommen. Ob dieser Grundtenor Lance Ryan bei seinem mit Spannung erwarteten Titelrollen-Debut zu teilweise penetrant lautem Stimmeinsatz verleitete, oder ob der mittlerweile durch viele heldische Kraftakte gestählte Tenor Leichtigkeit und Flexibilität verloren hat, ist nach diesem Abend schwer zu beantworten. Viele zurückgenommene, fast liedhaft empfundene und klangvoll gelungene Phasen im dritten Akt versöhnten ein Stück weit mit eher steifer Forte- Verausgabung und selbst das lauteste Ensemble trompetenhaft gerade durchdringenden Spitzentönen. Es wäre sehr bedauerlich, wenn der nicht mit sonderlicher Ausstrahlung, aber über eine doch angenehme Bühnenerscheinung verfügende Kanadier angesichts der vielen geplanten Siegfried-Einsätze (2013 auch im neuen Bayreuther „Ring“) nach hoffnungsvollen Jahren nicht mehr die entsprechend erwartete Qualität mitbringt. Hoffen wir, dass dieses sehr schwankende, teilweise schmerzhafte und auch mit einigen Buhs bedachte Rollendebut zumindest zum Teil den Premieren-Umständen zuzuschreiben ist. Verschleißerscheinungen sind jedoch nicht zu überhören.

Statt seiner wurde die Elsa zum umjubelten Mittelpunkt der Aufführung. Die noch blutjunge Amerikanerin Heidi Melton war bereits im Herbst als Pracht-Dido in „Les Troyens“ eine Entdeckung und mit ihrem dunklen Wohllaut eher im Mezzofach einzustufen. Was die Sopranistin mit helleren und dennoch getönteren Stimmfarben als diejenigen Ortruds (dazu später) mit einer Mühelosigkeit und Tragkraft in allen Lagen entfaltete, dazu ein Höchstmaß an Gefühl und Intuition in ihren Gesang legte und gleichzeitig eine ganz in ihren Visionen befangene Liebende und Leidende spielte, der die aufkommenden Zweifel, das immer drängendere Verlangen nach der Identität ihres Gatten und ihre letztendliche Verzweiflung ergreifend im Gesicht standen, liess Elsa über ihr sonstiges naiv einfältiges Wesen hinauswachsen.

Einem solchen (auch körperlichen) Kaliber gegenüber stand die mit ihrem Rollendebut als Ortrud überraschende Susan Anthony auf verlorenem Posten. Die Stimme der einstigen international gefragten Elsa ist nur geringfügig stärker und breiter geworden, um das breite Fundament der Gegenspielerin einigermaßen sicher auszufüllen. Immerhin versucht sie nicht, ihrem im zweiten Akt achtbar differenzierenden Einsatz mit Gewalt mehr Volumen und Attacke abzuringen, sondern das Bestmögliche mit ihrem Sopran zu erreichen. Bis dahin noch ein akzeptables und durch ausgesprochen glaubhaft raffiniertes Spiel unterfüttertes Experiment, bedeutet dann der finale Auftritt mit den unerbittlichen Forte-Höhen doch den unüberhörbar grenzüberschreitenden Kraftakt. Schade um diese mäßige Ortrud, die doch besser eine erstklassige Elsa geblieben wäre.

Stückgemäß unterlegen, war Telramund hier eindeutig der Überlegene – soviel höhenexpansiven unermüdlichen baritonalen Zunder und berstende Ausdruckskraft investierte Jaco Venter in den geächteten Grafen, dass er zum zweiten Publikumsgewinner wurde.

Dasselbe gilt in etwas gemässigterer Form für die plastisch in den Raum gesendeten Kommentare von Seung-Gi Jung als Heerrufer. Etwas gedrosselter und spröder und mit wenig ergiebiger Tiefe agierte Renatus Meszar als hier zum etwas lässig agierenden Sport-Manager mutierter König Heinrich.

Staatsopern- und Extrachor (Einstudierung: Ulrich Wagner ) füllten ihre reichhaltig schattierten Parts in weitgehender Stimmgruppenübereinstimmung (abgesehen von ein paar übertönenden Tenören) nicht nur mit Macht, mehr noch in mitfühlend schwingender Beteiligung am jeweiligen Geschehen aus und stellten auch die kurzen Einsätze der Edlen und Knaben. Nicht besonders anhaltende, abgestufte Ovationen für einen wechselhaften und dennoch großen, weil auch nicht kalt lassenden Opernabend.                               

Udo Klebes

 

Diese Seite drucken