Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

KARLSRUHE: IPHIGÈNIE EN TAURIDE. Premiere

14.06.2015 | Oper
Karlsruhe: „IPHYGÈNIE EN TAURIDE“. Premiere 13.06.2015
kar
Stephen Ebel, Katharine Tier, Armin Kolarczyk. Foto: Falk von Traubenberg
 
Gestrandete …
Die Choreographin Arila Siegert inszenierte am Badischen Staatstheater „Iphygénie en Tauride“ (Christoph Willibald Gluck), brachte viel Bewegung auf die Bühne und blieb in ihrer Sichtweise dem Text ohne wesentliche Deformierungen treu. Positiv darf man die diskreten Einflechtungen der aktuellen Flüchtlingsdramen bewerten. Gestrandete lautet der Untertitel, inhaltlich gemäß der auf Tauride, der Insel des Todes gelandeten Protagonisten Orest, Pylades und Griechen. Negativ bewerte ich lediglich die überlaute Präsentation der Statisten, des Chores bzw. derer Störungen des musikalischen Ablaufs, durch lärmendes Getrampel, Gepolter – oder muss man dies lediglich  als  Attribut der zeitgenössischen Theater-Ästhetik akzeptieren?
 
Thilo Reuther schuf die optimale Bühnenatmosphäre auf zwei Ebenen, durch die Drehbühne variabel in Szene gesetzt, erscheinen Tempel, Kerker, skelettierte Schiffsrümpfe in bester Lichtregie (Rico Gerstner) optisch durchaus dekorativ. Die Gestrandeten, Statisten aus hauptsächlich afrikanischen Ländern agieren sehr eindrucksvoll in Jeans und bunten Shirts. Den Sängern verpasste man neutrale, einfallslose Kostümierungen (Marie-Luise Strandt), den Chordamen einheitliche Trägerkleider,  bei den Chorherren schieden sich jedoch in Fragen der Ästhetik  die Geister.
 
Glucks Modernität, die ihn zum Wegbereiter des Musikdramas des 19. Jahrhunderts machte, wird erst durch die klangliche Fixierung auf das Vorjahrhundert, also durch den Verzicht romantischer Elemente, vollständig evident. Unbeeindruckt vom zeitweiligen Bühnenlärm fesselte Christoph Gedschold  schon bei den ersten Takten, der einleitenden Sturmmusik, hörbar. Vorzüglich nimmt der Dirigent mit der prächtig aufspielenden Badischen Staatskapelle, den Dramatiker Gluck in jedem Moment ernst. Er lässt die Musik mal explodieren, jedoch stets in gedämpften Phonlevels, mal in weitem Atem sich verströmen. Die Partitur erhielt im ausmusizierten Schönklang eine enorme Innenspannung, wenngleich zuweilen von gezügeltem Temperament. Nun trotz aller Übereinstimmungen, der akustischen Mittel von Affekt und Emotion, hielt Gedschold stets den Blick offen für die detaillierten Ansätze des Notentextes und somit gelang ihm eine frische, moderne, instrumentale Gluck-Deutung, welche auch teils die Vokalsolisten (alle Rollendebüts) beflügelte.
 
Die Titelpartie war mit Katharine Tier besetzt und es war schon beachtlich, wie sich die australische Mezzosopranistin in die darstellerischen Facetten der Rolle warf, teils im Kokon der Göttin Diana, teils in deren Goldmantel agierend. Gewiss verfügt die Sängerin über genügend Reserven für dynamische Eruptionen, doch blieben (für mich) vokal viele Wünsche offen, ein unschönes Timbre, Verfärbungen und Verhärtungen im Registerwechsel bereiteten mir Ohrenpein. Meinen Einwänden zum Trotz, hatte die Dame beachtlichen Erfolg.
 
Den absoluten Bravosturm des Abends erhielt allerdings und wohlverdient Armin Kolarczyk. Der Bariton erwies sich als adäquater Orest, seine Stimme verfügt über den klaren Fokus der optimalen Rollengestaltung. Vortrefflich verstand es der Sänger mit Zwischentönen seines bestens geführten Organs zu spielen, was besonders dem Duett und der Trennungsszene zu Gute kam. Ausdrucksstark, schön timbriert, nuanciert stets auf Linie singend, portraitierte Kolarczyk auch darstellerisch facettenreich den verzweifelten Atriden-Sohn.
Nun hätte ich mir von Steven Ebel mehr Stimmglanz gewünscht, dennoch verstand er es mit erstaunlichen Schattierungen des Mittelbereichs seines ebenmäßig klingenden Tenors, sowie mit intensiver Darstellung des Pylades, zu überzeugen. Unausgeglichen, nicht frei von Diskrepanzen erschien mir die Stimme von Lucia Lucas einer Bariton-Sängerin (Programm-Angabe), in der Rolle des tyrannischen Thoas.
 
Rhythmisch, präzise, souverän in bester klanglicher Formation präsentierte sich der Badische Staatsopernchor (Stefan Neubert), besonders prägnant die Damenriege. Die weniger tragenden Rollen, waren mit sehr klangvollen und frischen Stimmen besetzt: Yang Xu (Skythe), Mehmet Altiparmak (Tempeldiener), Camelia Tarlea, Nicole Hans (Priesterinnen), Constanze Kirsch (Griechin). Als Gestrandete fungierten äußerst eindrucksvoll in Szene gesetzt die Statisterie sowie eine Delegation von 20 in Karlsruhe beheimateten Emigranten aus nahöstlichen und afrikanischen Ländern.
 
Zum Finale: 11 Minuten lautstarke Publikumsgunst ohne Einschränkungen.
 
Gerhard Hoffmann
 

 

Diese Seite drucken