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KARLSRUHE: IN DEN WINDEN IM NICHTS – empfunden anstatt buchstabiert

Badisches Staatsballett Karlsruhe; „IN DEN WINDEN IM NICHTS“ 16.03. 2013 (Deutsche Erstaufführung) – Empfunden anstatt buchstabiert


Das vom Wind beflügelte Männer-Corps. Foto: Jochen Klenk

 

Die Stellung und Bedeutung Prof. Birgit Keils als ehemalige Primaballerina von Weltgeltung zieht in ihrer nunmehrigen Funktion als Ballettdirektorin immer weitere Kreise. So ist es ihr jetzt gelungen, die Rechte für die deutsche Erstaufführung eines der Bach-Ballette von Heinz Spoerli zu gewinnen. Die Beschäftigung mit dem Eisenacher Meister hat vor allem die spätere Schöpfungsphase des berühmten Schweizer Choreographen (und laut Horst Koegler „Weltbürger des Balletts“) bestimmt. Das nun in Karlsruhe gezeigte Stück entstand 2003 als Abschluss des zweiteiligen Zyklus von Bachs sechs Cello-Solosuiten für das Zürcher Ballett. Zu den Uraufführungs-Interpreten gehörten auch die von Spoerli engagierten Zwillingsbrüder Oleksandr & Sergiy Kirichenko, die nun die deutsche Erst-Einstudierung übernommen haben. Hatte sich der erste Teil von 1999 („Und mied den Wind“) zu den Suiten 1, 4 und 5 mit den Elementen Erde, Feuer und Wasser beschäftigt, so konzentriert sich der zweite Abschnitt zu den Suiten 2, 3 und 6 ganz auf die Luft.

Grundlegend für das Verständnis von Spoerlis Umgang mit der Musik ist die daraus entspringende emotionelle Empfindung, nicht das notengetreue Nachbuchstabieren der Struktur und Melodielinien. Ähnlich der Einbeziehung zwischenmenschlicher Aspekte durch seinen Kollegen Hans van Manen, sind auch Spoerlis abstrakte Werke von tänzerischen Dialogen, einer sprechenden Ebene durchzogen.

Zur Gesamtkomposition des Stückes gehören ganz entscheidend auch der Bühnenraum und die Kostüme. Der Architekt Sergio Cavero hat die grundlegenden Elemente des Universums in einem großen kippbaren Ring aufgegriffen, der den Raum gleichzeitig öffnet und abschließt. Mit wesentlicher Unterstützung des Beleuchtungs-Designers Martin Gebhardt glühen seine Ränder (zeitweise ergänzt durch entstehenden Dampf) in unterschiedlichen Farben, in die eines schattengleichen Wechsels auch der Bühnenboden in unterschiedlich oszillierenden Farb-Kombinationen vom Wölkchen-Himmel bis zum Widerschein der grünenden Natur getaucht wird. Diese sind wiederum in den von Spoerli selbst entworfenen Kostümen aufgegriffen, deren edler Charakter einerseits durch die Beleuchtung hervorgehoben wird, andererseits durch ihren körperbetonten Stil jedes tänzerische Detail klar offenbaren und damit Bachs musikalischer Nacktheit entsprechen.

Strukturell stellt Spoerli einem Solisten verschiedene Gruppen-Konstellationen gegenüber, verschmilzt im weiteren Verlauf den „einsamen“ Menschen mit der Masse, ehe am Ende wieder beide getrennt sind und auch damit den Kreis des Lebens(laufes) schließen. Ein immerwährendes Kommen und Gehen, Betreten und Verlassen, Geburt und Tod als Fixpunkte menschlichen Daseins. Nur anfangs dekliniert der hinten in einem Lichtkegel sichtbar werdende Solist klassische Grundkonstellationen, sind die Bewegungs-Metaphern mit aufbäumenden, Brücken bildendem Körper noch bodenverhaftet, dann heben sie mehr und mehr ab und schweben, bestärkt durch die Lichtregie, wie bewegte Lüfte im Raum. Sie verdichten sich gerne zu Zweier- und Dreier- Kombinationen, ergänzt oder auch ganz abgelöst vom Ensemble. Wenn auch hin und wieder synchrone Muster wie gegrätschte Sprung-Haltungen, fühlerartig gekrümmte Arme oder seitliche Hebungen das choreographische Bild bestimmen, folgen Spoerlis Tanzschritte doch einer oft individuellen Eingebung, die sich aus den diversen tänzerischen Zuschnitten der einzelnen Suiten-Sätze Prélude, Allemande, Courante, Sarabande, Menuett alternierend mit Bourrée und Gavotte sowie Gigue ergibt. Verlangsamte Momente setzen dabei ebenso reizvolle Akzente wie beschleunigte Rhythmen. Auf diesem pausenlosen eineinviertelstündigen Weg neigt Spoerlis zweifellos vielseitiges Vokabular vor allem in der Mitte auch zu einigen Spannungsabfällen, besonders dort wo sich musikalische Motive ähneln oder zu oft wiederholen. Die letzte Suite mit ihrer fast symphonischen Ausdruckskraft hat die Phantasie des Choreographen wieder deutlich beflügelt und führt den Kreislauf zu einem würdig großen Abschluss zwischen Abheben und Versenken. So wie es auch Alexandre Vay, dem stellvertretenden Solo-Cellisten des Münchner Rundfunkorchesters, in seiner Live-Wiedergabe mit nicht nachlassender Konzentration gelungen ist, durch die vorhergehende Abstimmung der Tempi den Tänzern eine möglichst genaue Ausführung der Choreographie zu ermöglichen. Bach-Verehrer mögen es verzeihen, wenn der zweifellos wegweisenden und beispielhaften kompositorischen Bedeutung dieser Musik mancherseits eine gewisse mathematische Strenge und Sprödigkeit attestiert wird, die sich für ihre doch ausgedehnte Länge phasenweise als Nachteil, auf jeden Fall als zusätzliche Herausforderung herausstellt.

Flavio Salamanka zum Kammertänzer ernannt


 10 Jahre geschmeidige Eleganz  –  Flavio Salamanka . Copyright: Jochen Klenk

Ganz im Sinne des Stückes und seiner unterlegten programmatischen Metapher sind die 21 TänzerInnen als Ensemble zu würdigen, in dem keiner wichtiger ist als der andere, sondern füllendes Element des Ganzen. In der Tat fällt, ob dies nun eher positiv oder negativ zu werten ist, keiner unter ihnen besonders auf, sie alle agieren gemeinsam oder in unterschiedlichen Gruppierungen als geschlossenes und überwiegend exaktes Ganzes und erfüllen damit die Bedingungen des geschlossenen Kreises oder Ringes. Nur der erwähnte Solist tritt besonders hervor und verdient nicht nur aus diesem Grund spezielle Erwähnung. Flavio Salamanka führt die Compagnie denn auch mit seiner gereift geschmeidigen Eleganz an, wie er es in beständiger Entwicklung seit den Gründungstagen von Birgit Keils Lebenswerk in allen großen Partien des in 10 Jahren gezeigten Repertoires gezeigt hat und dafür nun den in Karlsruhe erstmals vergebenen Titel eines Kammertänzers ( auf offener Bühne überreicht durch Generalintendant Peter Spuhler) erhalten hat. Im Jubiläumsjahr bedeutet dies nach der Erhebung zum Staatsballett nicht nur eine Ehre für ihn selbst, sondern auch für das gesamte Ensemble und seine Leitung, die an diesem Abend stolz und dankbar zugleich sein durfte. Auch das für weitgehend ausverkaufte Vorstellungen sorgende Publikum, das sich an diesem Abend wieder sehr begeisterungsfähig zeigte.

Udo Klebes

 

 

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