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JENNERSDORF/Schloss Tabor in Neuhaus/Festival: DIE FLEDERMAUS. Albtraumhaft-Groteskes statt Wiener Charme

06.08.2016 | Operette/Musical

DIE FLEDERMAUS
Albtraumhaft-Groteskes statt Wiener Charme
Premiere auf Schloss Tabor, 4. August 2016

Foto 1, Fledermaus, jOpera 2016
Copyright: jOPERA

Festivalintendant und Sänger Dietmar Kerschbaum  ist einer, der nie bei Erreichtem und Bewährtem stehen bleiben will und der geradezu ruhelos-unermüdlich das Festival vorantreibt – auch im 14. Festivalsommer gibt es so manch Neues:
Anstelle des seit Jahren gewohnten einfachen Empfangszelts vor dem Schloss für den Karten- und Programmverkauf gibt es heuer eine wesentlich größere stabile Zelthalle (die eventuell bei Regenwetter sogar für eine konzertante Aufführung und nach den Opernaufführungen im Schlosshof für ganzjährig mögliche „Events“ genutzt werden soll), es gibt erstmals vor der Eröffnungspremiere nicht die lokale Blasmusik-Kapelle, sondern ein Hornquartett des Brandenburger Jugendorchesters, das zwar nett Volksliedadaptionen spielt, sich aber akustisch nicht gegen das munter tafelnde und parlierende Publikum durchsetzen kann. In den der Kulinarik gewidmeten Zelten fehlt diesmal ein beliebter lokaler Schmankerl-Wirt und es gibt kulinarisch nicht nur das Bodenständig-Einfache, sondern z.B. auch zeitgeistige Allerwelt-Scampi-Gerichte. Der frühere ländlich-einfache Charme des Ambientes vor dem Schloss geht damit ein wenig verloren – alles ist zwar nun vielleicht professioneller, aber auch ein bisschen glatter, kommerzieller und unpersönlicher.

Nach diesem gesellschaftlich-kulinarischen Entrée – das Publikum kommt aus nah und fern schon 2 Stunden vor Vorstellungsbeginn –  betritt man den Schlosshof, in dem die Publikumstribüne mit ihren knapp 900 Plätzen aufgebaut ist und man sieht erstmals ein dominantes Bühnenbild, das sich fast ein wenig aufdringlich-grell vor die Schlossfassade drängt – erstmals wurde nämlich in diesem Jahre mit Manfred Waba ein renommierter Ausstatter eingeladen, der durch seine Installationen im (Opern)Steinbruch St. Margarethen bekannt wurde und über den auf seiner Homepage zu lesen ist: Man kann heute schon sagen, das Manfred Waba im Bereich des Open Air-Theaters einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt hat, der durchaus gleichberechtigt neben den anderen großen Freilichtbühnen wie Verona, Bregenz oder Mörbisch bestehen kann.

Aber Schloss Tabor ist halt keine derartige „große Freilichtbühne“, sondern der Schlosshof bot in den letzten Jahren bisher sehr erfolgreich das eher kammerspielhafte und intime Ambiente. Diesmal dominieren hingegen die Ausstattung raumfüllende Portraits im Stile des belgischen Surrealisten René Margritte und dazwischen Uhren nach dem Muster der Zerrinnenden Zeit von Salvadore Dalí. Schauen Sie sich dieses Bild von Dalí und die Bilder von Margritte an, dann wissen Sie, wovon sich der Ausstatter inspirieren ließ.
Der kritische Beobachter hatte den medialen Vorbericht aufmerksam gelesen, in dem der Bühnenbildner zu seinem Entwurf zitiert wird: „Es ist einem surrealistischen Gemälde nachempfunden, das dennoch Raum für Verwandlungen bietet, weil heuer erstmals eine Drehbühne mit Spielpodesten zur Verfügung steht. Immer wiederkehrendes hochaktuelles Motiv ist das der Uhr als Symbol für das Verrinnen der Zeit, die Getriebenheit der Menschen zum Mehrscheinen als Sein in einer überbordenden Welt.“  Also man versteht die Absicht: die „Fledermaus“ von Johann Strauss (uraufgeführt 1874) ist diesmal in die Dreißiger-Jahre des 20.Jahrhunderts in die surreale Welt von Dalí und Margritte verlegt, liest man doch im zitierten Vorbericht auch: „Von Regisseur Wilgenbus in den 1925er Jahren angesiedelt, hat Kostümchefin Susanne Özpinar burlesk-groteske Gewänder erdacht, die „kein freundliches Vorgaukeln lustiger Träume, sondern eher Albträume entstehen lassen“.

Foto 2, Fledermaus, Jopera 2016
Copyright: jOPERA

Diese albtraumhaft-grotesken Gewänder und das Bühnenbild bieten den Rahmen für die revuehaft-grelle Inszenierung von Dominik Wilgenbus, dessen zwiespältige Arbeit man schon 2012 hier beim „Wildschütz“ erleben konnte. Damals schrieb ich: “Einerseits ist sein Konzept dem herkömmlichen Spielopern-Stil verhaftet, andererseits schwenkt er dann plötzlich in Slapstick-Szenen um, denen natürlicher Humor, aber auch kritische Distanzierung und die im Stück zweifellos vorhandene Gesellschaftskritik fehlt.“  Leider fällt mein Urteil diesmal nicht freundlicher aus – im Gegenteil: diese Fledermaus-Inszenierung ist für mich ein glatter Fehlgriff und vermittelt nichts von dem, was der Kulturlandesrat im Programmheft diesem Stück – völlig zu Recht! – zuordnet: „Inbegriff von Wiener Lebensfreude und Walzertaumel“. Das vom Leading-Team angestrebte Groteske und Albtraumhafte war eher grell-peinlich und krampfhaft-lustig ohne jeglichen Charme – und wenn man das Stück nicht kennt, hätte man ob der Überfülle der szenischen Einfälle wohl nur schwer dem Handlungsfaden folgen können. Dazu kam noch, dass die Personenführung im Detail recht unprofiliert war. Glaubhafte Persönlichkeiten entstanden so nicht – eher entweder karikierende Übertreibungen oder konventionelle Routinefiguren. Schade – denn mit dem aufgebotenen Ensemble hätte man durchaus eine gültige Fledermaus-Interpretation zustande bringen können. Beginnen wir mit den Damen:

Foto 3, Fledermaus, Jopera 2016
Copyright: jOPERA

Claudia Goebl von der Wiener Volksoper war eine stimmsichere Adele – die grotesk-hässliche Kostümierung im 1.Akt verdeckte den merklich vorhandenen Wiener Charme, den sie dann ab dem 2.Akt in einem zwar grotesken, aber wenigstens nicht hässlichen Kostüm mit Erfolg versprühen konnte. Sie erntete am Ende deutlich den meisten Applaus. Ihre Schwester Ida musste ganz kurz vor der Premiere ersetzt werden, da die vorgesehene Sängerin durch eine Meniskus-Verletzung ausfiel. Die Musical-und bühnenerfahrene Tina Schöltzke sprang ein und machte ihre Sache hervorragend – diese Ida war eine pralle und überzeugende Bühnenfigur.
Das zentrale Paar Rosalinde – Eisenstein ist mit dem Intendantenehepaar besetzt – das ist alljährlich eine speziell für das regionale Publikum besonders reizvolle Sache.

Foto 4 , Fledermaus, Jopera 2016
Copyright: jOPERA

Renate Pitscheider – auch sie im 1. und 3. Akt nicht gerade vorteilhaft kostümiert, dafür aber als ungarische Gräfin bildschön – war eine warmtimbrierte, sauber singende Rosalinde, der ein wenig die große Diva-Geste fehlte. Dietmar Kerschbaum ist der Intendant, der alles macht – fast ein wenig wie Peter Squenz im Sommernachtstraum: Laßt mich den Löwen auch spielen.  Zuerst begrüßt er die Ehrengäste vor dem Schloss, kümmert sich um die Sponsoren, dann hält er die charmante Begrüßungsrede, um anschließend gleichsam nahtlos in die Rolle des Lebemanns Eisenstein zu schlüpfen – das ist eine große Beanspruchung, die er an diesem Abend mit einer nicht gerade blendenden stimmlichen Leistung „bezahlen“ musste. Als Darsteller lebte er von der jahrelangen Routine in dieser Rolle – mehr ließ die Inszenierung nicht
zu.
Der Prinz Orlofsky war mit dem burgenländischen Countertenor Thomas Lichtenecker besetzt, der trotz seiner Jugend schon beachtliche internationasle Erfolge aufzuweisen hat. Ihm gelang bei seinem szenischen Debut in dieser Rolle eine ordentliche stimmliche Leistung, die sicher noch differenzierter werden wird – allerdings war auch er durch Kostüm und Regie in eine krampfhafte Schablone gepresst, die durch seinen Diener Ivan ins Groteske übersteigert wurde. Die beiden erinnerten ein wenig an die Rocky-Horror-Picture-Show – noch dazu mit unnötigen elektroakustischen Gags. Diesen Ivan gab der Schauspieler Florian Stohr  – als Doppelrolle war er auch der Dr. Blind. Stohr macht dies alles handwerklich sehr gekonnt. Den Drahtzieher Falke sang der junge Kroate Miljenko Turk mit gut geführtem, aber etwas schmalem Bariton. Erfreulich ist seine ausgezeichnete Wortdeutlichkeit.

Foto 5, Fledermaus, Jopera 2016
Copyright: jOPERA

Alfred ist in dieser Inszenierung keine skurril-überspannte Tenor-Karikatur, sondern ein sehr jugendlicher Latin-Lover, den der Brasilianer Gustavo Quaresma Ramos überzeugend mit schlankem Tenor gibt. Den Gefängnisdirektor Frank verkörperte der erfahrene Bassist Michael Eder als prägnante Figur – stimmlich liegt ihm diese Bariton-Partie doch merklich zu hoch.  Der Philharmonia-Chor Wien (Leitung: Walter Zeh) ließ sich mit beachtlicher Selbstverleugnung in die grauslichen Kostüme stecken und ist ein solides Rückgrat in den Ensembles. Der Chor wird – pädagogisch sinnvoll, aber dramaturgisch unnötig – durch den „jOPERA Kinder- und Jugendchor“ (mit den beiden Intendantenkindern) – Leitung: Alexandra Rieger – verstärkt. Die musikalische Gesamtleitung  hatte diesmal der renommierte deutsch-englische Dirigent  Alexander Joel.  Er wird in der nächsten Saison in Wiesbaden eine Ring-Neuproduktion leiten und ist an vielen großen internationalen Häusern tätig. Intendant Kerschbaum und er kennen sich seit der gemeinsamen Anfängerzeit in Düsseldorf und so gelang es, Alexander Joel für Jennersdorf zu gewinnen. Er leitete die ambitioniert spielende Junge Philharmonie Brandenburg mit der nötigen Autorität und hielt die musikalischen Fäden routiniert zusammen. – eine ganz wichtige Qualität bei einer Freilichtaufführung!

Foto 6, Fledermaus, Jopera 2016
Copyright: jOPERA

Eine völlige eigenständige Leistung – die geradezu als eigener, nicht so recht zum Ganzen gehörender Beitrag zu erleben und genießen war – bot der Kabarettist Christof Spörk als Frosch. Das war eine exzellente Einlage mit vielen aktuellen und auch lokalen Anspielungen, die nichts mit dem Gesamtkonzept der Aufführung zu tun hatte – köstlich seine Kommunikation in breitestem steirischem Dialekt mit den jungen Orchestermusikern aus Brandenburg und seine virtuose Klarinetteneinlage. Das Publikum war begeistert.
Am Ende gegen 23h30 spendete das Publikum reichen, aber kurzen Beifall. Mag sein, dass ein Teil des Publikums das empfunden hat, was einige in der Pause aussprachen: die Fledermaus ist kein Stück, das in diesen Schlosshof-Rahmen passt – schon gar nicht in dieser überdrehten Inszenierung.

Für den Sommer 2017 ist Carmen angekündigt – in der Regie des Intendanten Dietmar Kerschbaum. Möge er – der Ruhelos-Unermüdliche – das Motto, das er seinem diesjährigen Programm vorangestellt hat und das von der  (seiner?) spirituellen Lehrerin Bahar Yilmaz stammt, ernst nehmen, soweit es den Mut anlangt – und möge er die Verrücktheit in jenen Grenzen halten, die diesmal der szenischen Umsetzung fehlten!
Mut und Verrücktheit sind die Zutaten für Unaufhaltsamkeit. Mut lässt dich weiter machen, auch wenn du Angst hast. Verrücktheit lässt dich Wege gehen, an die noch keiner vorher gewagt hat, zu denken!“
 

Hermann Becke, 5. 8.2016
Aufführungsfotos: Jennersdorf Festivalsommer jOPERA

Hinweise:
–    Wiederholungsaufführungen: 6., 7., 10., 12., 13. und 14. August 2016
–    jOPERA leistet exzellente PR-Arbeit: Dem Intendanten Dieter Kerschbaum ist es gelungen, dass am Tag nach der Premiere in Österreichs Kultursender Ö1 eine fast einstündige Reportage über die Fledermaus-Produktion gesendet wurde – mit vielen Interviews und Musikbeispielen – 7 Tage lang ist diese Sendung nachzuhören (Minuten 0 bis 22:40 und 55:30 bis 1:28:50 )

–    Und am Tag nach der Premiere gab es hier schon einen schriftlichen Premierenbericht samt einem 5-Minuten-Video

 

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