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HILDESHEIM/ Theater für Niedersachsen: ADELIA von Gaetano Donizetti

Deutsche Erstaufführung

02.04.2018 | Oper


Szene aus dem ersten Akt von Donizettis „Adelia“ am Theater Hildesheim. Foto: Falk von Traubenberg

HILDESHEIM: ADELIA von GAETANO DONIZETTI – Deutsche Erstaufführung
am 1.4.2018 (Werner Häußner)

„Adelia“ wirkt wie eine der typischen Routine-Arbeiten Gaetano Donizettis: Entstanden 1840/41 nach der kräftezehrenden Zeit als Direktor des Konservatoriums in Neapel, steht sie mitten in Donizettis ehrgeizigen Bemühungen, in Paris Fuß zu fassen. Und markiert das Ende einer Serie wichtiger Opern wie „Poliuto“, „Les Martyrs“, „La Fille du Régiment“ und „La Favorite“, die alle mit unendlich mühsamen Schwierigkeiten auf die Bühne gebracht werden mussten. Der Komponist, abgearbeitet und bereits von Krankheit beeinträchtigt, nahm sich ein Libretto von Felice Romani vor und schrieb für das Teatro Apollo in Rom eine Karnevalsoper. Weder in der Form noch in der musikalischen Erfindung kann „Adelia“ den Werken in der zeitlichen Nachbarschaft das Wasser reichen. Aber Donizetti musste Geld verdienen und konnte sich, anders als Wagner oder Meyerbeer, weder auf der Suche nach künstlerischer Originalität noch durch bereits erworbene Meriten Geduld leisten.

So ist an „Adelia“ nicht so sehr Innovation oder Erfindungskraft zu bewundern, sondern eher, wie ein derart strapazierter Komponist selbst aus einem solchen, nicht gerade die Fantasie entflammenden Libretto noch eine solide gearbeitet Oper schafft, die bei genauerem Hinsehen doch einige kreative Momente für sich beanspruchen kann. Sicher wird man angesichts der Menge qualitätvoller Donizetti-Opern, die in Deutschland so gut wie nie gespielt werden, nicht gerade zwingend für „Adelia“ plädieren. Aber der kreative neue GMD in Hildesheim, Florian Ziemen, sichert seinem Haus mit dem Werk immerhin eine deutsche Erstaufführung und bringt eine bisher nicht gekannte Farbe in den Spielplan.

Zunächst entsteht der Eindruck, Felice Romani bastelt bloß eine der sattsam bekannten Dreiecksgeschichten: herzensverhärteter Bass, unglücklich liebender, aber auch etwas unterbelichteter Tenor, zum Leiden auserkorene Primadonna. Aber schauen wir genauer hin: Während ihr Vater im Krieg erfolgreich Pfeile verschießt, wird Adelia vom Geschosse Amors getroffen und öffnet durchaus selbstbewusst einem Geliebten das Haus. Der ist leider höheren Standes, was das neugierige Volk und der zurückkehrende Vater ohne große Umstände als Schändung von Haus und Tochter versteht. Konsequenz: Todesurteil.

Die Ehre muss wieder hergestellt werden. Das ginge auch durch eine Erhebung in den Adelsstand, indes: Weder Herzog Carlo noch der Vater Adelias haben an dieser Lösung echtes Interesse. Adelia muss erfahren, dass ihr wirklich und innig geliebter Oliviero nach der Hochzeit hingerichtet werden soll und verweigert den Gang zur Kirche. Das erzürnt Vater Arnoldo, der unter allen Umständen auf der Ehe besteht, denn seine Ehre geht über alles. Im originalen Libretto, das Carlo Coccia 1834 schon einmal vertonte, löst Adelia den Konflikt durch Selbstmord; in Rom drängte die päpstliche Zensur auf ein „lieto fine“: Der Herzog ändert seine Meinung, die Liebenden heiraten und alles ist gut.

In Hildesheim misstraut Regisseur Guillermo Amaya dieser gewaltsam geklitterten Wendung mit Recht: Er lässt am Ende die Bühne im Dunkel versinken, nur noch Adelia steht in grellem Licht. Aus der Finsternis klingen die frohe Botschaft und der Jubel, erreichen Adelia aber nicht mehr. Das Glück kommt nur im Wahn. Diese naheliegende Idee bleibt auch die einzige in Amayas allzu vorsichtig zwischen Realismus und Stilisierung pendelnder Inszenierung. Er findet keinen passenden Schlüssel für Romanis psychologisch desinteressierte Szenen und Charaktere. So arrangiert er den Chor teils mit militärisch exakten Bewegungsmustern, teils in statischen Bildern, lässt an der Rampe singen, versucht mit magerer Personenführung, irgendein Interesse an den Menschen auf der Bühne zu wecken, das ihm aber schon die kolportagehafte Holzschnitt-Dramaturgie Romanis verweigert hat.

All das kann als unüberwindbare Schwäche eines Durchschnitts-Librettos aufgefasst werden. Eine andere Sache wäre, die Protagonisten bewusst zu entindividualisieren und als Chiffren eines Systems zu lesen. Denn Adelia, die einzige Figur, die auch ein musikalisches Profil gewinnt, steht in einem patriarchalistischen Zwangs-Zusammenhang, der mit der Präzision einer Maschine funktioniert. In solchen Denk- und Weltmustern wird die frei bestimmte Liebestat Adelias nur unter Begriffen wie Entehrung, Schändung, Schuld und Verrat wahrgenommen; kann ihre Folge nur Rache, Vergeltung und Tod sein. Die Rose ist vertrocknet und wird nie wieder blühen, singt Arnoldo. Ihm gönnt Donizetti folgerichtig nicht eine Cavatina, in der er etwa einen Konflikt zwischen väterlicher Liebe und gesellschaftlicher Pflicht formulieren könnte. Für diesen Mann ist sofort alles klar – eine eiserne Logik, die befremdet und erschreckt, unmenschlich wie das System, für das er steht.

Amaya gelingt es nicht, die (beabsichtigte?) psychologische Schwäche der Geschichte in einer systemischen Analyse für die Bühne bedeutsam zu machen. Und so bleiben die Figuren im reduzierten grauen Raum von Hannes Neumaier – ein Streben-Skelett, eine bühnenbreite Treppe, ein diagonaler Steg in der Höhe – blasser Abklatsch, den auch die ästhetisch gelungenen Kostüme Franziska Müllers in Schwarz, Grau, Weiß und akzentuierendem Rot nicht beheben können. Wenn sich Konstantinos Klironomos als Oliviero zwei Mal von der erhöhten Brücke herunter zu Adelia hangelt, deutet das an, dass von der Ebene des Adels zu der einfachen Soldatentochter eigentlich kein Weg führt. Aber dann sind die Auftritte wieder zu konventionell und lassen solche Signale verpuffen.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch Donizettis Musik das Interesse nicht durchgängig fesseln kann. Erst im Duett zwischen Adelia und Oliviero im zweiten Akt leuchtet Donizettis belcantistische vokale Linie in die Seelentiefen seiner Protagonisten; im dritten Akt findet er für die vergeblich gegen die patriarchalen Wahnsinn ankämpfende Adelia eine berührend intime Musik, geprägt von der Soloflöte als Leitinstrument der geistigen Entrückung, die den gequälten Frauen Donizettis nicht nur in „Lucia di Lammermoor“ als einziger Ausweg bleibt. Die Final- und Ensembleszenen im zweiten Akt sind vorzüglich gearbeitet und zeigen, wie souverän sich Donizetti der überlieferten Formen bedient, aber dem „gran pezzo concertato“ merkt man doch die Routine an, auch wenn sich Florian Ziemen als Dirigent engagiert bemüht, die Schönheit der Musik zu entdecken.

Unter seiner Leitung zeigt das Hildesheimer Orchester trotz mancher Flüchtigkeiten und unsauber modellierter Details eine beachtliche stilistische Kompetenz: Ziemen kann Bögen schlagen lassen, hält den Rhythmus frei von jeder schematischen Peinlichkeit und trägt seine Sänger. Der Hildesheimer Chor und Extrachor (Achim Falkenhausen) singt etwas zu frisch von der Leber weg, um zu subtileren Momenten vokaler Gestaltung vorzudringen.


Kim Lillian Strebel als Adelia (Mitte) in Donizettis gleichnamiger Oper am Theater Hildesheim. Foto: Falk von Traubenberg

Mit Kim Lillian Strebel hat das Theater für Niedersachsen eine gewinnende Besetzung für die Titelpartie: Sie zeigt, wie eine aufrichtige junge Frau, überzeugt von ihrer Liebe, allmählich zermürbt wird und sich schließlich mit wehenden Haaren in die Umnachtung wirft. Strebels Sopran überzeugt vor allem in einer leuchtenden, sicher geführten und mit schmelzend-substanzvollem Klang erfüllten Mittellage. Ihr Legato ist warm und flexibel; nur in der Höhe wendet sie etwas zu viel Mühe auf, statt den Ton leicht anzusetzen. Neele Kramer als ihre Begleiterin Odetta verlässt sich auf markant-kraftvolle Formulierung.

Bei den Männern des Ensembles kommt nicht viel Freude auf: Konstantinos Klironomos hat als Oliviero im Duett des zweiten Akts entspannte Momente, versteift sich aber in den Höhen und kann den Ton nicht aus dem Körper frei entwickeln. Wie weit der mulmige, unsicher fokussierte Bass von Diogenes Randes Farias (Arnoldo) seiner Indisposition geschuldet ist, bleibt dahingestellt; der Sänger tut sich im Lauf des Abends immer schwerer. Auch Uwe Tobias Hieronimi als Herzog Carlos erfüllt die Kriterien belcantistischen Singens nicht: ausgeprägtes Vibrato und prekärer Stimmsitz behindern eine ausgeglichene Linie, die Tonbildung wirkt gezwungen. Daniel Käsmann als Comino dagegen ist, wenn er den Ton frei und rund in den Raum projiziert, ein hell-präsenter, deutlich artikulierender Tenor.

„Adelia“ hat in den letzten Jahren mit Aufführungen unter anderem in England, Italien und den USA ein gewisses Interesse gefunden, das sich auch in zwei CD-Einspielungen (mit Gustav Kuhn und John Neschling am Pult) niederschlägt. Auf Dauer konnte die Oper keine Beachtung genießen; ob sich das nach der deutschen Erstaufführung in Hildesheim ändern wird, ist fraglich. Immerhin haben Florian Ziemen und das Theater für Niedersachsen darauf aufmerksam gemacht, dass sich bei Donizetti jenseits seiner Dauerbrenner noch einiges entdecken ließe. Und diese neue Farbe würde jedem Spielplan – nicht nur in Hildesheim – gut stehen.

Werner Häußner

 

 

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