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HELSINKI/ Finnland: VII. MIRJAM HELIN SINGING COMPETITION

Helsinki / Finnland: VII. Mirjam Helin Singing Competition – 4. bis 13.8.2014

Angesichts der (Ûber-)Fülle an Gesangswettbewerben wäre es interessant zu wissen, nach welchen Kriterien die jungen Künstler sich für bzw. gegen einen Wettbewerb entscheiden. Ist es die Höhe des Preisgeldes? Die mit prominenten Namen gespickte Jury? Oder die Karriere bisheriger Preisträger? Im Falle des diesmal zum 6. Mal (im 5-Jahres-Rhythmus) ausgetragenen Mirjam-Helin-Gesangswettbewerbs in Helsinki dürften alle diese Vermutungen zutreffen. Angesichts der 30 000 US-Dollar, die bei Plácido Domingos Operalia für die beiden Erstplazierten zu gewinnen sind, nehmen sich die 30 000 € nicht schlecht aus (20 000, 10 000 und 5 000 € für die Zweit- bis Viertplazierten). Den bisherigen Siegern, darunter Andrea Rost und René Pape (1989) und Elina Garanča (1999), waren zum Teil beachtliche Karrieren gelungen. Interessanterweise gehörte mit Andrea Rost zum ersten Mal eine ehemalige Gewinnerin der Jury an, zu der sich unter dem Vorsitz von Jorma Silvasti Sänger gesellten, die (mit einer Ausnahme) noch aktiv sind: Maria Guleghina, Deborah Voigt, Nathalie Stutzmann, Ben Heppner, Franz Grundheber und Robert Holl.

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Die Jury (Foto: Heikki Tuuli)

Von manchen Zuhörern und auch Journalisten ist bedauert worden, dass nicht auch Dirigenten, Intendanten, Betriebsdirektoren und/oder Agenten der Jury angehören, doch es war der ausdrückliche Wunsch der Namensgeberin dieses Wettbewerbs, der Sängerin und Pädagogin Mirjam Helin (2006 verstorben), dass diese nur von Sängern gebildet werden sollte. Schwerwiegender scheint mir der Einwand zu sein, dass der Bereich Lied / Oratorium lediglich von zwei der Juroren (Stutzmann, Holl) abgedeckt war, während die übrigen Kollegen mehr in der Oper zu Hause sind, doch gelten solche Kriterien wie Schönheit der Stimme, Technik und Gestaltung – um nur einige zu nennen – schließlich für alle Gattungen gleichermaßen.

Aus der Fülle an Anmeldungen hatte eine Vorjury 60 Teilnehmer zur 1. Runde zugelassen, von denen allerdings nur 46 erschienen waren. Ich hörte diese 1. Runde, die in der Sibelius-Akademie ausgetragen wurde, nicht, aber unter den Zuhörern wurde allgemein beklagt, dass mit der israelischen Sopranistin Hila Fahima, der französischen Mezzo-Sopranistin Marion Lebegue und dem US-amerikanischen Bariton John Brancy drei Künstler mit gutem Potenzial nicht zum Semi-Finale zugelassen worden waren. Dieses fand an 2 Tagen (9./10.8.) im modernen Musikzentrum Helsinkis statt. Von den Sängern, die diese Runde nicht „überlebten“, seien zumindest drei genannt. Den koreanischen Bariton Hansung Yoo hielt ich für einen sicheren Finalisten. Ein angenehm timbriertes lyrisches Material mit gut durchgebildeter Stimme und gutem Stilgefühl hätten ihn nach meiner Meinung ins Finale kommen lassen müssen, doch scheiterte er vermutlich an dem diesjährigen Ûberangebot an (guten) Baritonen. Bemerkenswert auch der koreanische Altist Siman Chung, der eine erstaunlich resonanzreiche Stimme hören ließ, so dass einer Karriere in der Barockoper eigentlich nichts im Wege stehen dürfte. „Ein Fall von and’rer Art“ ist der finnische Bariton Waltteri Torikka, der, auch ohne im Finale dieses Wettbewerbs gewesen zu sein, seinen Weg gehen wird. Es war klar, dass er polarisieren würde, denn Torikka ist mehr als bloßer Stimmbesitzer – nicht das „Womit“ machte seinen Vortrag so interessant, sondern das „Wie“. Trotz seines relativ reich timbrierten lyrischen Baritons mit guter Höhe / Tiefe und breiter Mittellage von individuellem Klang machte seine Stückauswahl es nicht leicht, seine Vorzüge ins rechte Licht zu rücken. Billy Budds Monolog, ein finnisches Lied von Toivo Kuula sowie in schwedischer und deutscher Sprache gesungene Sibelius-Lieder (nicht gerade die bekanntesten) ließen in ihm einen „singenden Geschichtenerzähler“ mit großer Persönlichkeit erkennen, erschwerten jedoch auch im Kontext der Konkurrenten eine bessere Bewertung.

Diese Anmerkungen sollten nicht als Jurorenschelte verstanden werden. Wie das Endergebnis zeigte, hat die Jury – zumindest nach meiner Meinung – unbedingt vertretbare, wenn nicht sogar sehr gute Entscheidungen getroffen. Sie hat sich zum Glück nicht dadurch blenden lassen, dass drei der Finalistinnen in der Vergangenheit bei bedeutenden Wettbewerben „abgeräumt“ hatten: Die Koreanerin Sunyoung Seo (in Basel verpflichtet) mit dem 1. Preis beim Francesc Viñas-, Maria Callas- und Tschaikowsky-Wettbewerb; die Russin Ekaterina Morozova (sang Fiordiligi am Bolshoi-Theater) mit dem 3. Preis 2013 beim Elena Obraztsova-Wettbewerb und ihre Landsmännin Elena Guseva (fest engagiert am Moskauer Stanislavsky-Theater) mit dem 1. Preis 2009 bei eben diesem Wettbewerb bzw. 3. Preisen beim Viñas- und Tschaikowsky-Wetttbewerb. Daneben nahm es sich geradezu bescheiden aus, dass die 28jährige Ukrainerin Kateryna Kasper aus dem Studio der Frankfurter Oper als Festmitglied dieses Opernhauses übernommen wurde.

Natürlich darf man nicht außer Acht lassen, dass die Jury diese Sängerinnen in allen Runden gehört hat und deren Leistungen in den Vorrunden, eventuell unbewusst, in das Urteil über die Finalleistungen einfließen ließ. Doch mir scheint, dass mit der Verleihung des 1. Preises an Kateryna Kasper die beste, einwandfreieste Leistung

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Die Finalisten Matija Meić, Ekaterina Morozova, Leon Kosavic, Kateryna Kasper, Dmytro Kalmuchyn, Elena Guseva, Sunyoung Seo, Beomjin Kim (Foto: Heikki Tuuli)

des Finales zu Recht prämiert wurde. Mit ihrer silbrigen Stimme von hohem individuellen Reiz, noch angesiedelt zwischen lyrischer Soubrette und lyrischem Sopran, sang Kateryna Kasper sich mit einer zum Zuhören zwingenden Interpretation der Pamina-Arie in die Herzen des Publikum und krönte dies noch durch den charmanten Vortag einer Arie aus Poulencs „Les mamelles de Tirésias“. Was die Schönheit der Stimme anbelangt, wurde sie – zumindest nach meinem Geschmack – noch von der Zweitplazierten, der Russin Ekaterina Morozova, übertroffen: ein interessantes, beinahe „cremiges“ Timbre einer in der strahlkräftigen Höhe richtig aufgehenden Stimme, die ich jedoch – trotz des gewählten Repertoires – für einen lyrischen Sopran mit Koloratur und nicht für einen Koloratursopran halte. Mit einer Arie aus Haydns „Schöpfung“ verstörte sie durch ungenügendes Stilgefühl und – noch schwerwiegender – übergroßes Vibrato, vielleicht auf Grund von Nervosität, und konnte diesen Eindruck auch durch eine „Semiramide“-Arie nicht wieder wettmachen. Die Drittplazierte, die Koreanerin Sunyoung Seo, scheiterte meiner Ansicht daran, dass sie ein im Grunde lyrisches, wenn auch in Richtung jugendlich-dramatischer Sopran weisendes Material sowohl durch die Auswahl des Repertoires als auch durch die vokale Interpretation „auf groß machte“, die Stimme dadurch hart und unruhig wurde und zu wenig Piano-Kultur zum Vorschein kam. Sie sang eine Arie aus Mendelssohns Elias und „Pace, pace“ aus „La forza del destino“. Elena Guseva, die Vierte wurde, hätte ich besseres Händchen bei der Wahl der Stücke gewünscht, denn ihre Stimme, ein reich timbrierter lyrischer Sopran, ist durchaus von Reiz. Sieben frühe Berg-Lieder und Agathes „Freischütz“-Arie im Semi-Finale zeigten eher ihre Schwächen auf (Textverständlichkeit), ein Eindruck, der sich im Finale durch Strauss‘ September (bei dickem Orchester) und einer Arie, mit der man keinen Wettbewerb gewinnt (aus „Rake’s Progress“) noch verstärkte. Schade, bei besser gewähltem (russischen) Repertoire hätte sie sicherlich mehr Erfolg gehabt.

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Die Gewinner Kateryna Kasper und Beomjin Kim (Foto: Heikki Tuuli)

Schien die Entscheidung bei den Damen relativ eindeutig zu sein, war diese bei den Herren mit Sicherheit schwierig, denn – wie schon das Semi-Finale zeigte – war das Niveau sehr hoch und die Unterschiede in den Leitungen minimal. Der mit dem 4. Preis bedachte erst 21jährige ukrainische Bariton Dmytro Kalmuchyn ist ohne jeden Zweifel ein beachtenswertes Talent, dem bei vorsichtigem Aufbau eine große Karriere bevorstehen könnte. Trotz seiner Jugend fällt schon jetzt ein schmelzreich timbriertes, reiches lyrisches Material auf, das in allen Bereichen sehr gut geführt wird. Nach einer sehr schönen Posa-Arie ließ die abschließende Elias-Arie jedoch auch eine etwas unergiebige Tiefe und Schwächen in der Tragfäigkeit (gegenüber einem zu lauten Orchester) erkennen. Trotzdem: ein Riesen-Talent, dessen Namen man sich merken muss. Dies gilt auch für den ebenfalls erst 23jährigen kroatischen Bariton Leon Kosavic, dessen Stückauswahl eine kluge Einschätzung seiner Möglichkeiten unter Beweis stellte: Er, der an seinem Heimattheater Rollen wie Papageno und Moralès singt, ist genau dies – ein Kavaliersbariton mit ausgesprochen angenehmem Timbre und sehr tragfähigem Material, etwas weniger schmelzreich als das von Kalmuchyn, aber dafür etwas größer. Arien aus „I Puritani“ und „L’elisir d’amore“ waren gut gewählt, da ohne dickes Orchester, und ließen seine große Eignung für das lyrische Baritonfach erkennen. Die Entscheidung, ob nun dem 24jährigen koreanischen Tenor Beomjin Kim oder dem 28jährigen kroatischen Bariton Matija Meić der 1. Preis bei den Herren zuerkannt werden sollte, dürfte der Jury nicht leicht gefallen sein, denn meiner Meinung waren deren Leistungen vollkommen gleichwertig, und es oblag dem eigenen Geschmack, wen von beiden man bevorzugte. Kim hatte 2012 den 1. Preis beim Belvedere-Wettbewerb gewonnen, ein Erfolg, den er nun auch in Helsinki wiederholen könnte, sicherlich, ohne einen „Tenor-Bonus“ in Anspruch nehmen zu müssen. Kim besitzt trotz guter Tragfähigkeit keine große Stimme, auch ist seine Mittellage etwas unergiebig, aber er kompensiert dies durch ein schmelzreiches, attraktives Timbre und – unerlässlich für eine Tenorkarriere – ein strahlende Höhe, die auch vor dem C keine Angst kennt. Auf der Bühne würde ich den Rodolfo, den er im Finale sang, noch für eine Grenzpartie halten; ich könnte ihn mir sehr gut im französischen Repertoire, aber auch als Lensky vorstellen. Sein Gounod-Roméo im Finale war verheißungsvoll. Mit 24 Jahren ist Kim noch so jung, dass er seine Stimme in aller Ruhe wachsen lassen könnte/sollte. Dagegen ist Meić schon ein ausgereifterer Künstler, ein relativ dunkel-timbriertes reiches Baritonmaterial mit ausladender Höhe; lediglich das piano ist ein wenig unergiebig. Die Barbier-Arie und die gesamte Todesszene Posas hätten auch ihn zum Sieger werden lassen können (vielleicht wäre eine andere Reihenfolge effektvoller gewesen), doch er dürfte sich auch damit trösten lassen, dass ihm der Preis für die beste Interpretation eines finnischen Liedes durch einen Ausländer verliehen wurde.

Das Finnische Radio-Sinfonie-Orchester ist natürlich ein hervorragendes Orchester, wie auch sein Chefdirigent Hannu Lintu ein großartiger Dirigent ist (jedenfalls im Prinzip). Für das Finale eines Gesangswettbewerbs hätte ich mir ein bisschen mehr Sensibilität, ein bisschen mehr Anpassung an das Volumen der Sänger gewünscht. Hier sind Begleiterqualitäten gefragt, steht der Dirigent nicht im Mittelpunkt wie bei einem Sinfoniekonzert. Natürlich sollte man jedem Sänger raten, für das Finale nicht Stücke mit (zu) dickem Orchester zu wählen, aber ein anpassungswilliger Dirigent könnte auch hier etwas hilfreicher agieren. Trotz dieser leichten Einschränkung – dieser Wettbewerb war es wert besucht zu werden (Kompliment an die perfekte Organisation). Ich werde aufmerksam verfolgen, ob die Teilnehmer dieses Wettbewerbs denselben Karriereweg ihrer Vorgänger gehen werden.

Sune Manninen

 

 

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