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HEILBRONN: INFERNO – Gastspiel Staatsballett Hannover. Der Papstthron als Feuerstuhl

DER PAPSTTHRON ALS FEUERSTUHL

Ballett „Inferno“ von Jörg Mannes mit dem Staatsballett Hannover als Gastspiel im Theater Heilbronn am 31. Januar 2015/HEILBRONN

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Lilit Hakobyan, Marco Boschetti, Ensemble. Foto: Gert Weigelt

„Inferno“ nimmt den berühmt-berüchtigten Borgia-Papst Rodrigo Borgia ins Visier. Der Revue-Charakter des Balletts in der subtilen Choreographie von Jörg Mannes sprengt die Grenzen zwischen Historie, Gegenwart und Zukunft. Die Kardinäle ziehen ins Konklave ein. Im Jahre 1492 wird Rodrigo Borgia zum Papst gewählt. Der Wahlspruch lautet jetzt „Du bist, was du hast“. Bestechung und die Beseitigung der Widersacher machen den Weg frei für Rodrigo. Rodrigo (facettenreich: Denis Piza) wird Papst Alexander VI. – und er bringt seine Mätresse und seine Kinder mit. Rodrigo traut Giulia (ausdrucksstark: Catherine Franco) und Orsino (Patrick Doe). Er verliebt sich in die Braut. Deren Bruder Alessandro (mit viel tänzerischer Energie: Ruben Cabaleiro Campo) wartet auf seinen Anteil an der Macht. Rodrigos Tochter Lucrezia wird mit Alfonso verheiratet. Rodrigo entscheidet, den Schwiegersohn auszuschalten. Lucrezia kehrt in den Schoß der unheimlichen Familie zurück. Rodrigo verfügt nach Gutsherrenart über seine Angehörigen und über die Kurie. Seine Gegenspieler vernichtet er mit Hilfe seines Sohnes Cesare (mit dunkler Aura: Elvis Val). Die Frauen nutzen hier ihre Reize im Sinne Rodrigos und zum eigenen Vorteil. Rodrigo verfällt Giulia. Durch ihren Einfluss zum Kardinal gekürt, wird Alessandro von der Kurie ausgelacht. Eine starke Szene. Unerwartet stirbt Rodrigo als Papst Alexander VI. einen qualvollen Tod. Die Reality-Show bricht bei dieser gelungenen Choreographie immer wieder in die Geschichte ein. „Funiculi, Funicula“ von Luigi Danza wird vom Erzähler raffiniert dazu benutzt, das Publikum mit „Heilbronner Temperament“ anzuheizen. Es ist eine Choreographie für die Zuschauer. Das Fernsehen ist auch live dabei. „Lassen Sie den kleinen Italiener aus sich heraus!“ lautet die Devise. Sehr stark wirkt hier die Musik von Dimitri Schostakowitsch (Jazz Suite No. 2). Hier können sich die Tänzerinnen und Tänzer rhythmisch richtig ausgelassen austoben. Neoromantische Effekte werden immer wieder passend betont. Im Programmheft wird Silvio Berlusconi erwähnt: „Ich bin der Fleisch gewordene italienische Traum.“ Und weiter heißt es: „Ich bin bei den Menschen in Frankreich sehr beliebt. Sie müssen nur einmal zählen, wie viele französische Freundinnen ich hatte.“ Man denkt hier tatsächlich an das Dolce Vita der Renaissancepäpste. Allerdings betonen die Veranstalter, dass jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen rein zufällig und nicht beabsichtigt sei. In der Bühnenmitte (Bühne: Alexandra Pitz) ist ein großer Ball zu sehen, der sich hebt und senkt. Man nimmt automatisch eine Sonne oder einen Planeten wahr. Das Ganze verleiht dieser fesselnden Aufführung eine gespenstische Aura. Stücke von Max Richter („Organum, Iconography“), Ennio Morricone („Falls“), Adriano Celentano („Personality“), Lisa Gerrard/Pieter Bourke („Sacrifice“) oder Alberto Iglesias („La guerra del agua“) begleiten nicht nur die eindringlichen Pas-de-deux-Einlagen von Denis Piza und Catherine Franco.

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Tanz der Kardinäle. Foto: Gert Weigelt

Eine Schlag auf Schlag präsente Szenenfolge zeigt in rasanter Revue-Geschwindigkeit das Konklave der Kardinäle, die witzige Bello-Show (Marco Boschetti), den fast schon erotischen Auftritt Bellas (Monica Garcia Vicente) und vor allem das pompöse Hochzeitsbankett von Giulia und Orsino. Auch die Hochzeit von Lucrezia und Alfonso wird auf der weiträumigen Bühne entsprechend bombastisch gestaltet. Im zweiten Akt präsentiert das Ballett der Staatsoper Hannover (Kostüme: Silke Fischer) bei den „Morden“ grandiosen Ausdruckstanz. Alessandros Wut und Rodrigos Tod bilden darstellerische Höhepunkte dieser ironischen Italo-Revue, bei der es zuletzt Konfetti regnet. Der Papstthron wirkt hier wiederholt wie ein Feuerstuhl. Das Errichten von Bauklotz-Figuren symbolisiert zudem den Bauwahn der Borgia-Familie. In weiteren Rollen stechen aus diesem meisterlichen Ensemble Lauren Murray als Lilla, Lilit Hakobyran als Rosa und Roland Wagenführer als Bruno heraus. Geld, Macht und Sex werden hier auf der Bühne nuancenreich beschworen. Bei seiner Choreographie stellt Jörg Mannes Giulia Farnese neben den Papst, sie bringt ihn in ein deutliches Abhängigkeitsverhältnis. Außerdem suchen Lucrezia und Cesare als die Kinder des Papstes immer wieder dessen unmittelbare Nähe. Und auch seine Mätresse Vanozza (mit bewegender Emphase: Cassia Lopes) weicht nicht von seiner Seite. Jörg Mannes zieht immer wieder gekonnt Parallelen zum heutigen Italien. Der ständige Wechsel zwischen Zeit- und Erzählebenen lässt viele Geschichten neu entstehen. Pomp und Intrige der Renaissance vereinen sich dabei mit dem Glamour von heute. Das Publikum in Heilbronn war von der Vorstellung jedenfalls restlos begeistert und dankte dem Ensemble mit Ovationen. 

 Alexander Walther

 

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