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HEILBRONN/ Gastspiel Pfalztheater Kaiserslautern: LA CENERENTOLA

Zwischen Himmel und Erde

16.06.2018 | Oper

Bildergebnis für polina artsis
Copyright: Theater Heilbronn/ Hans-Jürgen Brehm-Seufert.

„La Cenerentola“ von Gioacchino Rossini am 15. Juni 2018 als Gastspiel des Pfalztheaters Kaiserslautern im Theater/HEILBRONN

ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE

Der Himmel spielt in der hintersinnigen Inszenierung von Urs Häberli bei dieser Produktion des Pfalztheaters Kaiserslautern eine durchaus herausragende Rolle. Neben dem roten Ambiente von Don Magnificos altem Palast deutet sich auch das Schloss Don Ramiros im 18. Jahrhundert an, wobei der Zeitsprung zur modernen Welt stellenweise recht witzig gelingt (Bühne und Kostüme: Marcel Zaba). Das von den Brüdern Grimm bekannte Märchen vom Aschenputtel, das durch seine Herzensgüte die Liebe eines Prinzen gewinnt, wird bei dieser Aufführung mit beissender Gesellschaftskritik gewürzt. So kommt es beim Essen im Rahmen eines seltsamen Gala-Diners zu köstlichen rhythmischen Szenen – etwa dann, wenn die Spaghetti und die Teller an der großen Tafel passend zur Musikeinlage mit allerlei Verrenkungen gereicht werden. Aschenputtel hilft dabei keine Fee, sondern die Vernunft des Philosophen Alidoro. Dadurch kommt der leuchtende Charakter der schließlich als Prinzessin allen verzeihenden Angelina erst richtig zum Vorschein, während die beiden garstigen Stiefschwestern Tisbe und Clorinde leer ausgehen. Klares Profil erhält hier auch der auf reiche Heiraten erpichte Don Magnifico. Angelina wird selbst einer Probe ausgesetzt – doch ihre Liebe lässt sie den verkleideten und weit unter seinem Stand auftretenden Prinzen schließlich erkennen. Bei der Gewitterszene im zweiten Akt fliegt das ganze Haus mit klappernden Fenstern in die Luft, wodurch die rasante Situationskomik weiter angeheizt wird.

Der Charakter der Commedia dell’arte offenbart sich bei dieser Inszenierung immer wieder in köstlicher Weise. Virtuose Szenen und einfallsreiche Ensemblesätze besitzen elektrisierende Wirkungskraft, die nicht nachlässt. Auch die lyrische Empfindung kommt bei den einzelnen Arien nicht zu kurz, was insbesondere Polina Artsis als feinnervige Angelina überzeugend unter Beweis stellt. Sie reagiert mit reichem Empfindungsvermögen gesanglich auf jede erdenkliche Situation und wird dadurch Rossinis vor sprühendem Witz geradezu blitzender Musik glänzend gerecht. Dies gilt auch für den von Daniel Kim mit höhensicherem Tenor dargestellten Don Ramiro, Prinz von Salerno, der am Schluss angesichts der endgültigen Vereinigung mit dem „Aschenputtel“ Angelina mit einer grünen, elektronischen Kreissäge erscheint – was auch immer das bedeuten mag. Die von Polina Artsis virtuos beherrschte Koloraturpartie der Angelina war übrigens für die gefeierte Isabella Colbran komponiert, Rossinis spätere Frau. Eine gewisse Nähe zu Rossinis „Barbier von Sevilla“ wird bei dieser Produktion auch vom umsichtigen Dirigenten Anton Legkii gefördert, der das Orchester des Pfalztheaters akribisch dirigiert. Richard Morrison gibt dem sich als Prinz verkleideten gewitzten Diener Dandini mit kernigem Bassbariton ein wandlungsfähig-sonores Format, während Wieland Satter der Bass-buffo-Partie des Don Magnifico geradezu mediterranes Kolorit und erstaunliche Bewegungsfähigkeit verleiht. Zum Mezzosopran von Polina Artsis bildet er eine passende klangfarbliche Ergänzung. Monika Hügel (Sopran) als Clorinda und Rosario Chavez (Alt) als Tisbe überzeugen als genervte Stiefschwestern Angelinas mit einprägsam und facettenreich gestalteten Kantilenen und Arabesken. Bartolomeo Stasch stellt Don Ramiros Lehrer mit einem profunden Bass dar.

In „La Cenerentola“ imponiert in Heilbronn aber auch der von Johannes Köhler ausdrucksvoll einstudierte Herrenchor. Diese Herren treten bei der Inszenierung wiederholt auch als Bettler auf, die sich dann rasch verwandeln. Witzig ist die Cembalo-Partie gestaltet, die Mirei Arai mit Filmmusik und Rimsky-Korsakows „Hummelflug“ anreichert. Gelegentlich könnten die Crescendo- und Ostinato-Passagen noch präziser zum Ausdruck kommen, doch das komische Pathos dieser Oper erscheint immer wieder glanzvoll. Die Liebesprüfungen von Aschenputtel erfahren so auch in der Musik ständige Wandlungsprozesse. Diese betreffen neben Angelinas traurigem Moll-Volkslied auch dessen barsche Unterbrechung durch die eifersüchtigen Schwestern, die das harmonische Geschehen somit glutvoll erhitzen. Cenerentolas erstes Zusammentreffen mit Don Ramiro entwickelt sich zu einem geschickt charakterisierten, dramatischen Ensemble – was typisch für Rossinis Meisterschaft ist. Beim Quintett „Signor, una parola“ in C-Dur brillieren Angelina und Don Magnifico in der hintersinnigen Darstellung von Polina Artsis und Wieland Satter im Viervierteltakt. Aschenputtels Bitte, für eine Stunde auf den Ball des Prinzen gehen zu dürfen, wird von Don Magnifico abgelehnt. Rüde klärt Magnifico dann Ramiro und Dandini auf, dass das Mädchen eine einfache Küchenmagd ist – eine „servaccia ignorantissima“. Die Bläser geben dazu einen passenden Einwurf, der aber viel härter wie etwa bei Mozarts „Figaros Hochzeit“ ist. Beim Erscheinen von Ramiros Hauslehrer Alidoro ist dann ein kühnes Es-Dur zu hören. Als Magnifico erklärt, dass seine dritte Tochter tot sei, obwohl „La Cenerentola“ neben ihm steht, ist diese harmonische Erschütterung klar und deutlich im Orchester des Pfalztheaters zu vernehmen. Anton Legkii achtet dabei auf Detailarbeit. Ganz ohne Leidenschaft wird musikalisch herausgefunden, wer nun wen hintergeht. Die Intrige kulminiert in einer brillanten C-Dur-Stretta. Auch die Pizzicato-Einlagen erzählen wiederholt viel über die verzwickte Psyche der Figuren. Wieland Satter gefällt als Don Magnifico zudem bei seiner kuriosen Traum-Kavatine, wo der Klangfarbenreichtum seiner Stimme hervorsticht. Ausgelassene Tutti beschreiben hier gewitzt eine Menge von Geplapper, das nicht enden will. Dass Don Magnificos wirkliches Problem allerdings sein Diener Dandini ist, kommt ebenso plastisch zum Vorschein. Die Stretta „Di quest‘ ingiuria, di quest‘ affronto“ zeigt Magnifico nochmals in einer Paraderolle, die Wieland Satter rasant ausfüllt. Richard Morrison überzeugt ferner als Dandini bei seiner gewieften Auftrittsarie, die eine Parodie auf den Redeschwulst der Opera seria ist. Im großen Finale des ersten Aktes macht Dandini die Charaktere wieder höchst lebendig. Das Verschwörungsduett „Zitto, zitto, piano, piano“ gerät zu einem Höhepunkt dieser Aufführung. Cenerentolas Eintritt in das große Sextett des zweiten Aktes wirkt dank Polina Artsis ebenfalls überwältigend.

So endete diese Vorstellung mit großem Jubel des Publikums.

Alexander Walther

 

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