Heidelberg: CARMEN am 30.5.2012
‚Carmen‘ geht immer, auch wenn in relativ kurzen Abständen die Regie-Sichtweisen sich stark ändern. Hallte es vor kurzem noch wie ein Dogma durch die Regietheaterwelt, daß der ganze spanische Flamencozauber und -plunder, der das Stück umgibt, unbedingt vernmieden werden müsse, um die eigentlich menschlich-pycholigischen, sowie die Geschlechtergegensätze ungeschminkt herausarbeiten zu können, hat sich Nadja Loschky in ihrer Heidelberger Fassung wieder ganz auf ein spanisch streng ritualisiertes Ambiente mit vielen roten Flamencokleidern kapriziert, wobei natürlich die Titelheldin auch in einem solchen auftritt, bis ihr in der Kneipe von Lilla Pastia ein kurzes cremefarbenes Cocktailkleid verpaßt wird von dem Text-Sprecher der Überleitungspartien, der aber auch in die Handlung selber involviert ist. Er liest sonst Gedichte von Luis Cernuda oder Ingeborg Bachmann. Diese ersetzen auch die die konventionellen in der Opera comique gesprochenen Zwischentexte. Jede/r kennt die Oper aber inzwischen so gut, dass man auf diese verzichten kann, wenn auch deutsch übersetzte Übertitel
erscheinen. Somit ist hier ein gewisses poetisches Flair vorgegeben und jüngere ‚harte‘ politische Deutungen fast vergessen gemacht.
Daran,dass das Stück im ganzen mehr aus Tanz, Gabärde und Bewegung geprägt war, zeigt auch die vielleicht geringere Bedeutung der Einheitsbühne von Gabriele Jaenecke (auch Kostüme), die an der hinteren Bühnenwand verschieden große, meist dunkelblau ausgeleuchete Kästen ineinander übergehen lässt, auf oder in welchen sich Protagonisten und Chor prächtig drapieren lassen. Frasquita und Merceses erscheinen als Flamenco Kontrast in orange-gelben Gewändern und obligatorischen Fächern.Escamillo ist ganz traditioneller Torrero währwnd sonst Uniformen verschiedenster Art hervorstechen.
Mit fein ziselierten Hand-und Armbewegungen gelingt es der jungen litauischen Dirigentin Mirga Grazinyte -Tyla die schönsten Gestalten der Bizetschen Musik im Orchester zum Leben zu erwecken Die präsenten Chöre (Jan Schweiger) singen aufregend-plastisch. Der Erzähler als El so~nante wird von Jan Schreiber verkörpert. Das Schmuggler Quartett wird von Sang Hoon Lee/Remendado, Dagang Zhang/Dancairo , Carolyn Frank/Mercedes und Emylia Ivanova/Frasquita sehr agil und schönstimmig verkörpert. Letztere als Einspringerin versteht es besonders, Bicke auf sich zu ziehen. Der Zuniga wird verlässlich und sehr sonor vom Hausbaß Wilfried Staber gegeben. Während mit Escamillo von James Homann ein brillanter Bariton zur Verfügung steht. Leider wirkt Silke Schwarz noch angeschlagen und kommt bei iher 3.Akt Arie nicht gut über das schön durch Grazinyte zurückmanipulierte Orchester herüber. Aber sie wírd wieder zu ihrer alten Kraft zurückfinden. Auch bei Joses Arie (Winfried Mikus) kommen die Schönheiten der Instrumentierung optimal zur Geltung. Der Tenor mit seiner hellen Färbung kann aber seine Sichtweise auf die Figur besonders am Ende einbringen, in dem er gar nicht martialisch erscheint. Für meine Begriffe ist
die die Chilenin Mariselle Martinez ein voluminöser Alt und somit für die Carmen-Rolle nicht das Nonplusultra. Man müsste einmal die bei der „Ariadne“ so überzeugende Anna Peshes dagegen hören.
Friedeon Rosén