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HANNOVER: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Wiederaufnahme

23.11.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

HANNOVER: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Wiederaufnahme am  9.11.2013

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Foto: Thomas M. Jauk

Sicher, in einer unkonventionellen, ja teilweise befremdenden Optik kamen sie daher, diese „Meistersinger von Nürnberg“ in der Inszenierung von Olivier Tambosi mit dramaturgischer Assistenz von Klaus Angermann, die in leicht abgewandelter Form auch schon in Linz zu sehen war. In simplizistischen Bühnenbildern von Bengt Gomér, der die Handlung in einen einfachen lackweißen Rahmen bei meist wenig variierender Lichtregie von Elana Siberski stellt, mit teils humoresken Assoziationen an das mittelalterliche Nürnberg und die Geschichte vom Parnass, aber mehr noch durch die ebenso simplen wie knalligen T-Shirts aller Protagonisten und Nebenrollen von Carla Caminati mögen viele der Hannoveraner nicht das erkannt haben, was sie so allgemein für die „Meistersinger“ halten. Nicht zuletzt das könnte die relativ schwach besuchte Aufführung erklären, ein selten bei Wagner zu sehendes Phänomen. Dabei sind die Hannoveraner doch spätestens seit dem „Ring“ von Barrie Kosky alles andere als traditionelles Wagnersches Musiktheater gewohnt…

Nun ja, dass alle Meistersinger, Eva und Stolzing sowie die Lehrbuben und auch viele Choristen auf ihren bunten T-Shirts jeweils eine Hauptstadt der Länder dieser Erde zur Schau tragen geht nicht jedem sofort ein, wenngleich es möglicherweise allzu plakativ, aber doch nachhaltig auf eine großartige Idee des Regisseurs verweist: Das Stück aus seiner engen Umklammerung durch das Deutsche und das Deutschtum – nicht zuletzt verkörpert durch das mittelalterliche und kleinbürgerliche Nürnberg mit seinen Butzenscheiben und anderen Apercus – zu befreien und zur Huldigung eines globalen Kunstbegriffs auszuweiten. Überzeugende Regieansätze, die deutschnationale Vereinnahmung der „Meistersinger“ abzuarbeiten, sind schwer zu verwirklichen, wie u.a. die weitgehend gescheiterte Bayreuther Inszenierung von Katharina Wagner aus dem Jahre 2007 gezeigt hat. Wenn auch optisch nicht immer ganz eingängig, wirkt Tambosis Regiekonzept hingegen überzeugend, denn er leitet es konsequent aus seinem Verständnis des Werkes in drei Aspekten ab: Zunächst geht es ihm um die menschlichen Beziehungen im Stück, insbesondere das Dreiecksverhältnis zwischen Sachs, Eva und Stolzing. Die menschlichen Aspekte dieser drei zentralen Figuren sieht er hier bei Wagner viel stärker verwirklicht als bei den Protagonisten seiner anderen Werke. Zweitens steht für ihn die Frage der Kunst zur Diskussion. Ist Kunst überhaupt notwendig? Sollte sie nur einer Elite vorbehalten, oder sollen Kunst und Kreativität allen zugänglich sein? Und wie geht man mit der Avantgarde um? Alles total aktuelle Themen! Die für Wagner immer so wichtige gesellschaftliche und politische, ja bisweilen religiöse (man denke an den in der Literatur kolportierten Begriff der „Kunstreligion“) Dimension der Kunst führt schließlich zum dritten Aspekt, den Tambosi in seiner Inszenierung herausarbeitet, wie er in einem Gespräch mit Klaus Angermann im Programmheft schildert: „…das Nationale, das bei der Beschäftigung mit dem Stück heute immer wieder zu Irritationen führt. Wagners Auffassung von Kunst und Gesellschaft versteht sich hier ausschließlich als „deutsch“, grenzt Anderes radikal aus und warnt am Ende der Oper explizit vor schädlichen fremden Einflüssen.“

Dass dieser Abend trotz der manchmal auch von Freunden des Werkes zugegebenen Längen eine inhärente Spannung hielt, ist Tambosis Hervorhebung des humanistischen Ideals und der konsequenten Umsetzung dieser drei Aspekte zu danken. Seine Personenführung stellt ganz intensiv und mit großer Authentizität auf die menschlichen Beziehungen ab. Und vor dieser Intensität wurde dann auch der schlichte optische Rahmen zweitrangig, obwohl auch hier immer wieder klar auf das einzig relevante Thema „Liebe“, welches man in den Sprachen aller Herren Länder auch auf einem Riesentableau sieht, abgestellt wird. Auch das Preislied, das Sachs niederschreibt, besteht nur aus einem Herzen und dem Wort „Liebe“.

Eine noch spartanischere Schusterstube hat der Rezensent nie gesehen, gerade mal ein rechteckiger Ausschnitt in der weißen Wand mit einem Stuhl, einem Tisch, ein paar Schusteruntensilien. Aber was der Wagner-erfahrene Oskar Hillebrandt mit seiner enormen Bühnenpersönlichkeit in dieser kargen Szene macht, ist schon beeindruckend. Er singt und spielt immer noch mit unveränderter emotionaler Intensität, stets passender und somit glaubhafter Mimik, bester Diktion sowie starkem Ausdruck den zwischen großen Gefühlen wankenden Schuster. Dabei lässt er die weiterhin blendenden Höhen seines Heldenbaritons hören. Wunderbar nachdenklich auch sein Flieder-Monolog! Hillebrandt war mit seiner große Menschlichkeit und Altersweisheit ausstrahlenden Präsenz das Gravitationszentrum dieser „Meistersinger“-Aufführung – wie schon vor Jahren in der Mielitz-Produktion an der Wiener Volksoper. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Sachs hier die Stadt Tel Aviv verkörpert – und Stolzing Teheran…

Auch der Hannoveraner Loge und Siegfried, Robert Künzli, kann mit seinem beherzten Auftreten viel Emotionalität und jugendliche Direktheit ausdrücken. Schon beim ersten Treffen mit Eva – natürlich ist weder eine Katharinenkirche noch ein Chor zu sehen (aber gut zu hören) – lässt ihn Tambosi nach einem langen und intensiven Blick Eva ebenso intensiv küssen… Künzli singt den Stolzing mit heldischem Aplomb und guten Höhen, das Preislied zwar strahlend aber doch zu sehr mit Kraft. Sara Eterno verkörpert die Eva mit viel Empathie und singt sie mit einem klaren, leuchtenden und bestens artikulierten Sopran beeindruckend gut. Auch die Figur des Beckmesser zeichnet Tambosi bei aller Zurschaustellung seiner Schwächen und Komplexe schon im Laufe der Handlung, aber besonders am Ende mit menschlichen Zügen. Er versöhnt sich mit einer berührenden Geste nach der Niederlage auf der Festwiese mit Stolzing. Stefan Adam liefert eine exzellente Charakterstudie des Stadtschreibers, der als einziger keine Stadt auf der Brust trägt, sondern zunächst die Sonne gibt und am Ende zum Mond mutiert… Stimmlich bleibt Adam dem Beckmesser auch mit kraftvoller Höhe keine Note schuldig, eine insgesamt ausgezeichnete Leistung! Per Bach Nissen singt einen guten Pogner, bisweilen mit etwas zu klangloser Höhe, und Michael Dries einen gesanglich nicht überzeugenden Kothner. Ivan Tursic ist ein klangvoller David mit hellem Tenor, der zu mehr Hoffnung macht, Mareike Morr eine ansprechende Magdalene. Die übrigen Meister singen anstandslos. Hervorzuheben ist noch der profunde Nachtwächter von Shavleg Armasi aus dem 1. Rang.

Was das Thema Kunst und Kreativität und ihr Zugang für alle angeht, referiert Tambosi u.a. Wagners Zitat „Hier gilts der Kunst“ auf einem großen Vorhang und macht überhaupt in seiner ganzen Dramaturgie und Luftigkeit der optischen Umsetzung seines Regiekonzepts deutlich, dass Kunst keine Sache nur der Elite ist und sein kann. Hier sind in einem demokratischen Kunstverständnis alle mit dabei. Und schließlich die gesellschaftliche und politische Dimension der Kunst, die zum häufig falsch verstandenen Nationalcharakter der „Meistersinger“ führte. Hier kommt Tambosi ganz anders als Peter Konwitschny in seiner Hamburger Inszenierung zu einer konstruktiven und ebenso zeitgemäß wie angemessen wirkenden Alternative in der Schlussansprache des Sachs: Er schreibt die ominösen Zeilen ab „Zerfällt erst deutsches Volk und deutsches Reich…“ wie folgt um:

An Geist, an Wissen nicht mehr reich,/verarmt im Herzen und im Sinn,/gibt sich kein Mensch der Kunst mehr hin./Mit seichtem Dunst und seichtem Tand/begnügt man sich ringsum im Land./Was Kunst uns gibt, wüsst’ keiner mehr,/lebt’s nicht in wahrer Meister Ehr’./Drum sag’ ich Euch:/Ehrt Eure wahren Meister,/dann bannt Ihr gute Geister!/Und gebt ihrem Wirken Gunst,/zerging’ in Dunst/auch jedes ird’sche Reich,/uns bliebe gleich/Die ewig neue Kunst!“

Wenngleich Eingriffe in das Libretto immer problematisch sind, erscheint dieser einmal gerechtfertigt. Denn er trägt mehr zur Entnationalisierung des Stückes bei als mancher Regieansatz mit dem Holzhammer. Wagner schrieb selbst in seiner produktiven theoretischen Zürcher Schaffensphase, dass das Nationale im Kunstwerk nur eine Dekoration sei…

Karen Kamensek schuf mit dem Niedersächsischen Staatsorchester Hannover den zu dieser Interpretation genau passenden Klang mit stets flüssigen Tempi aus dem Graben. Leicht, locker und beschwingt kam sogleich das Vorspiel daher. Klangvolle Bläser machten auch das Vorspiel zum 3. Aufzug zu einem wahren Hörgenuss. Hier war kein Raum für Pathos. Das Orchester spielte den ganzen Abend über fehlerfrei und entfaltete einen großen klanglichen Facettenreichtum in der guten Akustik des Hannoveraner Hauses. Hinzu kam der starke und homogen singende Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover. Schade, dass diese Produktion offenbar nicht von allen (ganz) verstanden wurde…

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

 

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