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HANNOVER/ Berggarten: STERNKLANG von Karlheinz Stockhausen

30.08.2020 | Konzert/Liederabende

HANNOVER/ Berggarten: STERNKLANG von Karlheinz Stockhausen  am 29. August 2020

Im Einklang mit der Natur

Karlheinz Stockhausen - Stockhausen: Sternklang- Park Music for 5 Groups -  Amazon.com Music

In schwierigen Zeiten für die Kultur gilt es, sich gerade auf das zu konzentrieren, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist. Und es gibt sogar Werke, die in besonderer Weise für diese besonderen Bedingungen geeignet sind, deren Chance also gerade in der aktuellen Situation liegt, weil sie beispielsweise nur im Freien ihre Wirkung entfalten.

Karlheinz Stockhausens „Sternklang“, entstanden 1969-71, ist vom Komponisten selbst als „Parkmusik in fünf Gruppen“ konzipiert, inspiriert vom Blick in den Sternenhimmel, eine Komposition also in engster Verbundenheit mit der Natur. Rund 50 Jahre nach der Uraufführung 1971 im Englischen Garten in Berlin blickt das Werk auf eine bis heute überschaubare Anzahl von Aufführungen zurück. Über zweieinhalb Stunden Spieldauer und die Konzeption als nur unter freiem Himmel wirkungsvoll aufführbares Stück mögen Gründe dafür sein. Umso dankenswerter also, dass sich jetzt in Hannover viele Kräfte miteinander vereint und den Berggarten, Teil der Herrenhäuser Gärten, für einen Abend auf wunderbar inspirierende Weise mit Stockhausen belebt haben.

Der Berggarten, einst als Küchengarten angelegt und von der späteren englischen Thronfolgerin, der Kurfürstin Sophie, als Ort exotischer Vegetation umgestaltet, bot genau den passenden Rahmen für das hannoversch-englische Kooperationsprojekt. Das Neue Ensemble hat sich seit seiner Gründung 1993 weit über Hannovers Grenzen hinaus erfolgreich als Ensemble für neuere und neuste Musik etabliert; Stephen Meier,  künstlerischer Leiter, ist inzwischen zudem in gleicher Funktion bei der Birmingham Contemporary Music Group beschäftigt. Beide Ensembles hat er für dieses aufwändige Projekt versammelt, dazu die Nordic Voices aus Oslo. Da die norwegische Regierung am Tag vor der Aufführung Deutschland zum Risikogebiet erklärt hat, mussten das Vokalensemble Hannover umgehend verlassen, die Musiker haben sich aber per Livestream aus Norwegen dazugeschaltet – eine unerwartete Wendung, gelöst mit erprobten Methoden der aktuellen Situation.

Die fünf Musikergruppen waren im weitläufigen Berggarten gut mit dem erforderlichen Abstand platzierbar. Eine Aufführung von „Sternklang“ ist als Wandelkonzert gedacht, die Zuhörer sollen sich zwischen den einzelnen Stationen hin und her bewegen. In der Mitte der Gruppen soll ein Schlagzeuger mit verschiedenen Instrumenten, Gong und Glocken etwa, aufgebaut sein. Das Instrumentarium der einzelnen Gruppen ist variabel, einzig von Bedeutung ist, dass die Instrumente die von Stockhausen vorgegebenen Tonhöhen leicht realisieren können. „Sternklang“ basiert auf einem gemeinsamen Tonvorrat für alle Gruppen, fünf Obertonklänge mit jeweils einem gemeinsamen Ton, der durch den Schlagzeuger mittels Röhrenglocke vorgegeben wird. Ob die Gruppen jeweils den gleichen oder unterschiedliche Obertonklänge spielen, wechselt im Verlauf von insgesamt 40 Klangkombinationen, die Stockhausen in einem Formschema notiert hat. An bestimmten Stellen geben sogenannte Klangläufer Klänge von einer Gruppe an die andere weiter. Eine Aufführung lebt also davon, dass genug Platz zwischen den Gruppen ist, dass andererseits aber von jedem Platz aus mehr als nur eine Gruppe zu hören ist, damit sich die Klangkombinationen von jedem einzelnen Platz aus für den Hörer individuell zusammenmischen.

Ein faszinierendes Zusammenspiel aus Tönen und Klängen ergibt sich so über den Verlauf des Abends. Und in der Tat intensiviert sich die sehr starke Wirkung dieses Geschehes mehr und mehr, je dunkler es wird und je mehr die Klänge in die aufkommende Nacht eintauchen. Die ohnehin mehr als stimmungsvolle Kulisse des Berggartens hätte gereicht. Doch dazu kamen wie auf den Abend abgestimmte Wolkenkonstellationen am Himmel, deren Auflösung und der klare Blick auf den Mond zum Ende der Aufführung hin.

Es geht bei „Sternklang“ nicht vor allem um das Hören von Musik, es geht um ein Gesamterlebnis aus dem, was zu hören ist und dem, wo es zu hören ist. Der Zuhörer, die Musiker, alle stehen in unmittelbarer Verbindung mit dem Naturgeschenen. Das hat an diesem Abend ganz wunderbar funktioniert. Und diese ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur hat eine sehr erdende Wirkung, die gerade unter dem Einfluss der aktuellen Situation wichtig und wohltuend ist. Es war ein langer Abend, aber alle, die bis zum Ende durchgehalten haben, wurden bereichert um ein Gesamterlebnis aus Klang und Natur, das in dieser Form singulär bleiben wird.   

Christian Schütte

 

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