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HAMBURG/ Staatsoper: MANON von Jules Massenet – gestreamt

28.01.2021 | Oper international

„Manon“ von Jules Massenet in der Staatsoper Hamburg als Stream am 29.1.2021/HAMBURG

Emotion und Liebesfieber

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Elsa Dreisig. Foto: Staatsoper Hamburg

 In der Inszenierung von David Bösch (Bühnenbild: Patrick Bannwart; Kostüme: Falko Herold) wird die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz bewusst ins Hier und Heute übertragen. Dabei gelingen ihm eindringliche Bilder, die man nicht vergisst. Einmal wirft die Video-Kamera sogar einen ironischen Blick hinter die Kulissen des Theaters. Im Hintergrund sieht man nämlich eine Katze, die sich in Stummfilm-Manier hin- und herbewegt. Später erkennt man auch die Silhouette von Paris mitsamt dem Eiffelturm, der im Miniformat auch auf der Bühnenmitte steht.

Eher rustikal wirkt das erste Bild in der Gastwirtschaft, wo Lescaut auf seine Cousine Manon wartet. Auch Guillot interessiert sich für die Schöne. Schon hier ist sie von Verehrern umzingelt. Der junge Chevalier Des Grieux meint, dass eine solche Schönheit wie Manon nicht hinter Klostermauern verwelken dürfe. Beide fliehen, während Lescaut empört von geschändeter Familienehre spricht. Im zweiten Akt sieht man das Schlafzimmer einer einfachen Behausung, wo Des Grieux seinen Vater um die Einwilligung zur Heirat mit Manon erbittet. Die Dienerin meldet den Besuch zweier Garde-du-Corps, von denen der eine behauptet, Manons Vater zu sein. Sie geben Manon zu erkennen, dass ihr Geliebter auf Anordnung seines Vaters entführt werden solle. Der Geliebte möchte die Störer verjagen, doch er kehrt nicht zurück. In opulenten Bildern zeichnet David Bösch das Volksfest nach. Packend wird in dieser Inszenierung verdeutlicht, dass Manon eigentlich überhaupt kein Auge für das ausgelassene Treiben im Konfetti-Regen hat, weil sie im Grunde genommen immer wieder an den entschwundenen Des Grieux denken muss. Ihre Auftritte als Diva wirken deswegen seltsam puppenhaft. Sie leidet unter Selbstentfremdung.

Ein szenischer Höhepunkt ist hier sicherlich die Verwandlung im dritten Akt, wo man Des Grieux erkennt, der auf eigenen Wunsch Priester geworden ist. In der Kirche kommt es dank eindrucksvoller Video-Sequenzen hinter dem Jesuskreuz zu beklemmenden Bildvisionen. Zunächst weist er die Beteuerungen der Liebe seitens der plötzlich erschienenen Manon zurück, wird dann aber wieder schwach und flieht mit ihr. Ein Roulette-Tisch deutet dann im vierten Akt im raffinierten Videodesign von Patrick Bannwart und Falko Herold den Spielsaal des Transsylvanischen Hotels an. Das Glück entscheidet sich für Des Grieux, während Guillot eine große Summe verliert. In seiner Wut beschuldigt er diesen des Falschspiels und holt die Polizei. Der Vater von Des Grieux will diesen vor Schande bewahren. Des Grieux wird zwar freigelassen, doch Manon trifft das Los der Deportation. Diese letzte Szene hinterlässt bei der Inszenierung den stärksten Eindruck. Im Schneetreiben („c’est la vie“) ist das Liebespaar wieder vereint, doch das Glück ist nicht von langer Dauer. Man sieht zu Beginn einen Sternenhimmel und nimmt zugleich eine tote Katze wahr. David Bösch wählt eine drastische Version: Sie vergiftet sich mit einem Trank, er schneidet sich die Pulsadern auf.

Die erhitzte Situation des Liebesfiebers überträgt sich bei dieser packenden Aufführung auf Sänger, Chor und Orchester. Man spürt zwar den Glanz der „Belle epoque“, doch zwischen harmonischen Anreicherungen und rhythmischen Verschiebungen gewinnen die überwältigenden melodischen Passagen unter Leitung des Dirigenten Sebastien Rouland immer mehr Gewicht und Kontur. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg akzentuiert den starken Formsinn dieser Musik vortrefflich. Auch die ausufernden Passagen kommen nicht zu kurz, leitmotivartige Sequenzen werden akribisch herausgearbeitet. Die Gavotte im ersten Bild des dritten Aktes gewinnt ebenfalls starkes stilistisches Format. Neben Elementen der Opera lyrique zeigen sich immer wieder auch die machtvollen Akzente der Grand Opera. Die melodramatischen Partien werden von der hervorragenden Sopranistin Elsa Dreisig sehr bewegend betont, wobei sich ihre darstellerische Präsenz in vielen Sequenzen auf den gesanglichen Ausdruck überträgt. Ihre schwierigen Koloraturen bewältigt sie bravourös – und auch das hohe B besitzt starke Strahlkraft. Man begreift dank ihrer Verwandlungskraft, dass sie in jedem Akt eine andere ist. Ioan Hotea als Chevalier Des Grieux passt sehr gut zu ihr, bei den Duetten kommt es zu zahlreichen gesanglichen Höhepunkten, die den Zuhörer überwältigen und mitreissen. Seine Traum-Arie besitzt schwärmerische Emphase. Das expressive Ritardando wird aber nicht übertrieben. Auch Björn Bürger bietet als Lescaut ein packendes Rollenporträt. In weiteren Rollen fesseln Dimitry Ivashchenko als Graf Des Grieux, Daniel Kluge als Guillot-Morfontaine, Alexey Bogdanchikov als Bretigny, Elbenita Kajtazi als Poussette, Narea Son als Javotte, Ida Aldrian als Rosette, Martin Summer als Wirt sowie Collin Andre Schöning (Gardist 1) und Hubert Kowalczyk (Gardist 2).

Der Chor der Hamburgischen  Staatsoper unter der Leitung von Eberhard Friedrich agiert stimmlich überaus mitreissend von den Emporen aus. Vor allem die wiederkehrenden musikalischen Wendungen kommen hier in erheblichen harmonischen Steigerungswellen daher, die sich immer weiter aufzufächern scheinen. Expressivität und erstaunliche harmonische Geschlossenheit werden vom Dirigenten Sebastien Rouland immer wieder akribisch betont. Kloster oder Liebe? Dieser zentralen Frage spürt hier auch die Musik in äusserst differenzierter Weise nach. Besonders gut gelingen dem Ensemble aber auch die raschen szenischen Stimmungswechsel. Das Militär-Motiv blitzt in der Ouvertüre leuchtkräftig hervor – und auch die burlesken Szenen besitzen rasanten Charakter. Vor allem die fließenden Melodien werden sehr gut betont. Und das Leidenschaftsmotiv der Solovioline lässt ganz versteckt an die Meditation in „Thais“ denken. Die Uraufführung dieser Oper fand am 19. Januar 1884 an der Opera-Comique in Paris statt. Massenet begann sich bereits im Jahre 1881 mit „Manon“ zu beschäftigen, deren Libretto nach dem Roman „Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut“ des Abbe Prevost im Jahre 1731 entstand. Das Werk war von Anfang an ein Erfolg.     

Alexander Walther

 

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