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HAMBURG/ Staatsoper: GUILLAUME TELL – Vontobel’s Regietheater als moralinsaure Indoktrination

17.03.2016 | Oper

Vontobel’s Regietheater als moralinsaure Indoktrination

Rossini: „Guillaume Tell“ – Hamburgische Staatsoper, 16.3.2016

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Copyright: Hamburgische Staatsoper

Landauf, landab bekommt die Bevölkerung gesagt, wie sie in der Flüchtlingskrise politisch-korrekt und „humanitär“ zu denken habe. Naheliegend, daß auch das Regietheater seinen Senf dazugeben will. Und da hat sich der Schweizer Regisseur Roger Vontobel mit seinem dramaturgischen Adlatus Albrecht Puhlmann eben bei Rossini’s „Tell“ bedient. Schon im Staatsopern-Journal bekommt man erklärt, wie man „Guillaume Tell“ 2016 als „Stück der Stunde“ in seiner „dramaturgischen Tiefenstruktur“ zu denken habe: „Er ist einer jener von Haus aus biederen Männer, die Konflikte schüren, um vor ihrem Hintergrund überhaupt erst sich als Retter aufspielen zu können und zur Tat rufen, die sie zum Helden machen.“ – Aha! – Und so bekommt man dann auch schon – mit dem Regie-Holzhammer – gleich bei der Ouvertüre, ohne irgendeine musikalische Motivation gezeigt, wie Tell den „Hirten“ Leutholt anstiftet, den habsburgischen Geliebten seiner Tochter umzubringen, weil dieser ein Fremder sei. Das Textbuch weiß davon nichts. Im Gegenteil: im weiteren Verlauf der Handlung tötet eigentlich der Leuthold aus eigenem spontanen Antrieb in Notwehr einen habsburgischen Soldaten, weil dieser seine Tochter gewaltsam entführt hat. – Aber das ist ja gemäß Vontobel und Puhlmann nur die fremdenfeindliche Propaganda von Wilhelm Tell, die das so darstellt. – Also die Moral von der Geschicht: wenn jemand behauptet, ein Fremder habe einer Frau Gewalt angetan, so ist das die Behauptung eines biederen Bürgers, der den Fremdenhass schüren will – So kann man eine Handlung ins Gegenteil verkehren, weil man in der aktuellen Situation das Publikum indoktrinieren will. – Das erinnert auf fatale Weise – unter anderen Vorzeichen – an frühere Missbräuche von Theater-Werken, so zum Beispiel an die propagandistische Verkehrung von Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ im dritten Reich.

Nun ist es aber leider nicht einmal so, daß die Regie diese Verkehrung ins Gegenteil professionell durchführt, nein: Es wird wacker gegen die Musik agiert und ansonsten konventionelles Rampensingen geübt.  Und immer wieder, damit es auch der letzte merkt, wird eine Schranke mit der Aufschrift „ATTENTION RESTAURATION“ in die Höhe gehalten, weil doch der Kern des Stückes sei: „Die Restauration frisst ihre Kinder“. – Geht’s noch gröber? – Und weil die Liebe zwischen Arnold und Mathilde der einzige Lichtblick im Stück ist (die aber den gesellschaftlichen Verhältnissen geopfert wird), bekommen die beiden, während sie sich stimmkräftig ansingen, auch einen Konfetti-Regen spendiert. – Hach – wie romantisch! – Unvergesslich in ihrer „Originalität“ waren unter den Regie-Zutaten auch die immer wieder bedeutungsschwanger beleuchteten wabernden Nebel, welche die mit Plastikplanen und anderem Abfall vermüllte Bühnen-Ödnis auch nicht kompensieren konnten. – Kurz: einige Buh-Rufe mittendrin und viele am Schluß zeugen doch davon, daß sich nicht jeder mit solchen Holzhammer-Methoden unterweisen lassen mag.

Musikalisch war die Aufführung eher durchwachsen mit wunderbaren Leistungen von – wieder einmal – Christina Gansch (hier als Gemmy) und wunderbar gestaltet auch der Gesang der Mathilde von Guanqun Yu. Yosef Kang in der Rolle des Arnold wirkte von der Regie oft alleingelassen, hatte gesanglich aber wunderbare Momente. Kristin Sigmundsson als Melchthal war gesanglich hervorragend, aber als ferngesteuerte Aufblaspuppe aus dem Altersheim grauenhaft verzeichnet. Sergej Leiferkus als Tell wirkte leider stimmlich nicht auf der Höhe, was aber der Verkehrung seiner Rolle durch die Regie durchaus entsprach. – Im Philharmonischen Staatsorchester gab es unter der Leitung von Gabriele Ferro erhebliche Wackler und Ungenauigkeiten – insbesondere auch in der Abstimmung mit dem Staatsopernchor -, die ebenfalls den musikalischen Gesamteindruck trübten. 

Fazit: Musikalisch-durchwachsen, aber mit einigen Sänger-Highlights. – Szenisch ein unprofessionelles Desaster zwischen Unmusikalität und leeren Sängergesten auf der einen Seite, und belehrendem Werk-Missbrauch für ein aktuelles politisch-korrektes Statement zur Fremdenfeindlichkeit auf der anderen.

P.S.: Die Film-Welt kürt besonders misslungene Produktionen mit der goldenen Himbeere. Vielleicht sollte für besondere Auswüchse des Regie-Theaters der goldene Holzhammer verliehen werden. Diese Produktion hätte auf jeden Fall eine Nominierung sicher.

Andreas Wilke, Hamburg

 

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