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HAMBURG/ „opera stabile“: DIE UNGLÜCKSELIGE CLEOPATRA von Johann Mattheson

27.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Opernrarität in Hamburg: „Die unglückselige Cleopatra“ von Johann Mattheson (Vorstellung: 26. 6. 2012)


Die französische Sopranistin Mélissa Petit war eine attraktive Cleopatra (Foto: Rosa Frank)

Mit der Aufführung der Barockoper „Die unglückselige Cleopatra, Königin von Egypten oder Die betrogene Staats-Liebe“ von Johann Mattheson, einer Produktion des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper, die in der Opera stabile gezeigt wird, erinnert man in der Hansestadt an die traditionsreichen „333 Jahre Oper in Hamburg“, wurde doch dieses Werk 1704 in der Oper am Gänsemarkt uraufgeführt.

Der Hamburger Johann Mattheson (1681 – 1764) erhielt eine profunde künstlerische wie geistesgeschichtliche Ausbildung und begann 1696 als Sänger (Sopran, später Tenor) am Opernhaus in Hamburg, wo drei Jahre später seine erste Oper Die Plejades aufgeführt wurde. Mattheson, seit 1703 mit Händel befreundet, sang in Händels Almira und Nero die Hauptrollen, obwohl die Freundschaft durch ein Duell getrübt wurde. Als Mattheson in der letzten Vorstellung seiner uraufgeführten Cleopatra, in der er die Hauptpartie sang, wieder am Cembalo Platz nehmen wollte, Händel aber seinen Stuhl nicht räumte, forderte Mattheson seinen Freund zum Duell, das aber glücklicherweise einen glimpflichen Ausgang nahm. 1719 wurde Mattheson Kapellmeister am holsteinischen Hof, 1744 wurde er Legationsrat und genoss großes Ansehen als Theoretiker. Er gründete die erste deutsche Musikzeitschrift (Critica musica), die von 1722 bis 1725 erschien. Er war ein Vertreter der neuen Affektenlehre und setzte in den Altpartien Sängerinnen anstelle der Kastraten auf der Bühne durch. Insgesamt komponierte er acht Opern, darunter Die unglückselige Cleopatra und Boris Godunow.

Der Inhalt der Oper „Die unglückselige Cleopatra, Königin von Egypten oder Die betrogene Staats-Liebe“ (so ihr Originaltitel), deren Libretto von Friedrich Christian Feustking stammt, in Kurzfassung: Marcus Antonius, der Geliebte Cleopatras, will sich von ihrem Einfluss befreien und sein Leben in Ruhe beschließen, doch überzeugt Cleopatra ihn, zu ihr zurückzukehren. Ihre gemeinsamen Kinder Candace und Ptolemaeus, die von Mandane für ein Liebespaar gehalten werden, bitten Antonius, Ägypten vor den anrückenden römischen Truppen zu schützen. Antonius nimmt Juba, einen Parteigänger des Augustus gefangen, der sich in seine Tochter Candace verliebt hat. Cleopatra erhält ein briefliches Angebot von Augustus, mit ihm in Rom zu herrschen und entscheidet sich für die Macht und die Trennung von Antonius. – Mandane ist weiterhin auf Candace eifersüchtig und macht Ptolemaeus neuerlich Vorwürfe. Antonius wird von seinen Kindern über die Niederlage Ägyptens durch die Römer informiert. Als ihm kurz darauf Archibius die falsche Nachricht von Cleopatras Tod überbringt, begeht er Selbstmord. Cleopatra bereut ihre Entscheidung und trauert um Antonius. Sie durchschaut Augustus‘ Plan und entzieht sich ihrer Gefangennahme durch Selbstmord. Augustus hat nun die beiden Kinder von Cleopatra und Antonius in seiner Gewalt, sein Triumph ist vollkommen.

Holger Liebig inszenierte das Werk realistisch, wobei der erste Teil durch die der historischen Zeit nachempfundenen prächtigen Gewänder (Kostüme: Julia Schnittger) sehr authentisch wirkte. Warum im zweiten Teil die Darsteller mit Kostümen der heutigen Zeit agieren mussten, blieb ein Rätsel. Ebenso, warum plötzlich ein Revolver ins Spiel kam. Am Schluss schaltet Kaiser Augustus einen Fernseher ein, um sich offensichtlich an einem Film über seinen Sieg zu delektieren. Schade um die guten Ansätze! Das karge Bühnenbild (Gestaltung: Nikolaus Webern) in dem winzigen Studioraum, der etwa 110 Sitzplätze aufwies, wirkte im zweiten Teil noch dürftiger, obwohl es durch Videoeinspielungen aus Stummfilmen „lebendiger“ wurde. Für die gelungenen Lichteffekte war Bernd Hanschke zuständig. Die Choreographie für die drei Tänzer, die als Sklaven, Soldaten und andere Statisten auftraten, besorgte Maike Ipsen.

Die Titelrolle wurde von der attraktiven jungen Französin Mélissa Petit mit großem schauspielerischem Talent gegeben, deren Sopran – obwohl gut geführt – in der Höhe zuweilen schrill klang, was aber durch die schlechte Akustik in dem kleinen Opernraum ihre Ursache haben konnte. Ihren Geliebten Marcus Antonius spielte und sang der brasilianische Tenor Paulo Paolillo mit großem Einsatz, wobei er erfreulicherweise mit exzellenter Wortdeutlichkeit aufwartete. (Trotzdem waren die Übertitel ein Segen, da die Frauenstimmen fast durchwegs nur schwer verständlich waren!)

Der ungarische Bass Levente Páll stellte den römischen Kaiser Augustus sehr dominant und stimmgewaltig dar. Als Gast übernahm der Hamburger Tenor Daniel Philipp Witte die Rolle des Dercetaeus, der sehr volksnah mit frechen („Wenn Weiber regieren, geht es wahrlich nicht gut!“) und schlüpfrigen Liedern als Schornsteinfeger, die er mit subtiler Komik vortrug, das Publikum zu Szenenapplaus animierte. Das Geschwisterpaar Candace und Ptolemaeus wurden von der deutschen Sopranistin Katharina Bergrath, deren Stimme in der Höhe gleichfalls schrill klang (Akustik?), und von der koreanischen Mezzosopranistin Juhee Min dargestellt, die sich in ihrer Hosenrolle sichtlich wohlfühlte und auch stimmlich überzeugte.

Eine reife Leistung bot die junge litauische Sopranistin Nerita Pokvytyte als Gast. In der Rolle der eifersüchtigen Mandane agierte sie in jeder Szene äußerst bühnenwirksam, wobei sie auch mit ihrer ausdrucksstarken Stimme ihre Gefühle exzellent wiedergab. In das spielfreudige junge Ensemble fügten sich noch der kanadische Tenor Chris Lysack als Juba und der amerikanische Bassbariton Thomas Florio als Archibius bestens ein.

Die Philharmoniker Hamburg in 13-köpfiger Besetzung wurden vom australischen Dirigenten Nicholas Carter, dem Assistenten der Generalmusikdirektorin Simone Young, umsichtig geleitet, wobei er auch am Cembalo I spielte. Die fehlende Ouvertüre wurde aus Matthesons Oper Der edelmütige Porsenna ergänzt. Zur Partitur der Oper ein Zitat aus einem im Programmheft abgedruckten Artikel von Dr. Kerstin Schüssler-Bach: „Die Frische und Spontaneität von Matthesons Musik ist noch nicht dem spätbarocken Opera-seria-Ideal der virtuosen und langen Da-capo-Arien verpflichtet, sondern kennt große Flexibilität der Formen von volksliedhaften Strophenliedern bis hin zu Ensembles und französischen Tanzsätzen wie Rigaudon und Bourée. Mattheson schätzte den »achten welschen Geschmack« bei der eleganten, ungekünstelten Melodiegestaltung.“

Das Publikum im restlos ausverkauften Opernstudio applaudierte am Schluss allen Mitwirkenden minutenlang. Für die Sängerinnen Petit und Bergrath sowie für den Dirigenten gab es auch Bravorufe.

Udo Pacolt, Wien – München

PS: Weitere Aufführungen der Mattheson-Oper finden noch am 29. und 30. Juni 1012 in der Opera stabile in Hamburg statt.

 

 

 

 

 

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