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GUSTAV MAHLER: SYMPHONIE NR. 7 in e-Moll – Royal Concertgebouw Orchester; Mariss Jansons dritte fulminante Einspielung – RCO live CD

GUSTAV MAHLER: SYMPHONIE NR. 7 in e-Moll – Royal Concertgebouw Orchester; Mariss Jansons dritte fulminante Einspielung – RCO live CD

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Die siebente Symphonie belegt im Schaffen Mahlers in etwa den Platz, den die Meistersinger in Wagners Oeuvre oder Falstaff in Verdis Gesamtschaffen einnehmen. Im Rondofinale des 5. Satzes hört man sogar eine dezidierte musikalische Anleihe aus den Meistersingern. Ich kann all die Stimmen, die in dieser Symphonie ein dunkles Stück sehen, ganz und gar nicht nachvollziehen. Vor allem Adorno irrt, wenn er meint, dass der letzte Satz „den in Verlegenheit bringt, der Mahler alles vergibt.“ Ganz im Gegenteil ist vor allem dieser letzte Satz als ein geradezu musikalisches Abbild des Heute eine geniale Prophezeiung, wie man sie kaum sonst in einer anderen Symphonie des 20. Jahrhunderts finden wird.  Die Schöpfung einer eigengesetzlichen virtuellen Gegenwelt wie sie alle Youngsters schon längst die Realität verkürzend und übertreibend zugleich in Sozialen Medien und via Handysucht leben.

Selbst Mahler betrachtete die Siebente als sein bestes Werk mit einem vorwiegend heiteren Charakter. Die spätromantischen, von manchem bunten Neonlicht fahl belichteten Nachtmusiken werden gerahmt von ironischen, stilistisch unendlich disparaten Tongemälden. Ein makabres, surreales  Scherzo mit scherenschnittartig aus Noten geschnitzten Gespenstern und sonstigen Trollen, ein fünfter Satz mit einem ekstatisch jubelnden C-Dur Finale, ein mit einem Marschrhythmus wie von schlagenden Ruderblättern geprägter erster Satz. Karl Schumann hat nicht unrecht, wenn er meint, „dass der letzte Satz eine riesige Persiflage des Pomposo-Stils der Jahrhundertwende, eine bizarre Summe von Orchestereffekten etwa nach der Art des Amerikaners Charles Ives“ sein könnte.

Die Symphonie wurde in zwei Teilen komponiert, die beiden Andante 1904, die Sätze eins, drei und fünf 1905 entstanden am Südufer des Wörthersees in seinem Komponierhäuschen im Wald über dem Strandbad von Maiernigg (unweit von meinem Geburtsort entfernt und mir vertraut wie kaum ein anderer Ort auf dieser Erde). Vielleicht war es die Überwindung seiner schmerzlichen Schreibblockade, vielleicht die gerade guten Lebensumstände, für mich enthält die siebente auf jeden Fall mehr augenzwinkernd pathosgeladenes Hollywood denn Weltschmerz, mehr Glamour und flippig genialer Jungenlaune denn schwer zugängliches Geheimnis. Vielleicht ist sie bisweilen eine klingende Hommage an das südliche Flair und das smaragdgrüne Wasser des Wörthersees.

Die Einspielung entstand als Zusammenschnitt der Aufführungen vom 28. bis 30. September 2016 im Concertgebouw Amsterdam. Es ist bereits alleine die zweite Einspielung dieser Symphonie mit dem RCO. Auch mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat Jansons das Werk auf Tonträger bannen lassen. In der Box „Mariss Jansons Live, The Radio Recordings 1990-2014“ des RCO findet der Hörer Mahlers Siebente live vom 7.12. 2000. Jansons braucht heute 2 Minuten weniger als damals. Von der Interpretation her besteht nicht viel Unterschied. Der ehemalige Chefdirigent des RCO betont das irrlichternd leichte, ja den fliegend parodistischen Charakter der Musik, das Rauschhafte in Ausnüchterung und unbezwinglich Positive, das Zuversichtliche und Lebenstürmende. Vielleicht ist die neue CD detailbetonter als seine früheren Aufnahmen, auf jeden Fall bietet sie mit diesem niederländischen, technisch und klanglich brillanten Weltklasseorchester einen Mahler, der in seiner zugespitzt kammermusikalisch-schlanken Interpretation ungemein modern wirkt.

Dank der ausgefeilten SACD-Technik des Labels RCO Live ist das Anhören eine audiophile Offenbarung, wie sie sonst nur der von allen Musen geküsste Bayerische Rundfunk beschert. Das Erlebnis des Konzertsaals überträgt sich in all seiner Energie und Unmittelbarkeit unmittelbar ins Wohnzimmer. 5 Sterne plus! Nur müssen sich die Produzenten schon die Frage gefallen lassen, warum Jansons dieselbe Mahler Symphonie dreimal auf Tonträger bannen lässt. Wer soll das bei aller Qualität noch kaufen?

Dr. Ingobert Waltenberger