Grischka Voss:
WER NICHT KÄMPFT, HAT SCHON VERLOREN
Erinnerungen eines Gauklerkindes
256 Seiten, Amalthea Verlag, 2017
Ein Mädchen wie alle anderen war sie nie, darum wollte sie auch nie „Christina“, sondern immer „Grischka“ heißen. Dass ihr Nachname „Voss“ ist, hat sie in ihrer Jugend in Deutschland nicht gestört – Papa mochte zwar ein populärer Bühnenschauspieler gewesen sein, aber in Deutschland macht man nicht so viel Wirbel um Theaterstars. Erst in Wien merkte Grischka, was es bedeutet, „die Tochter von…“ zu sein.
Aber obwohl sie immer Schauspielerin sein wollte und es auch geworden ist – in Papas Fußstapfen ist sie nicht direkt getreten. Das Burgtheater wäre nicht ihr Ding. Spielen und Theatermachen hat für sie nichts mit Karriere und Ruhm zu tun, sondern mit dem Bedürfnis, etwas aussagen zu wollen. Und das tut sie schon seit längerer Zeit. So richtig berühmt wie ihr Vater es war, wird man damit natürlich nicht… und das weiß sie natürlich.
Grischka Voss, die nun auch schon auf die 50 zugeht, erzählt ihr Leben, womit sie den Leser in ein ziemlich gewaltiges Auf und Ab mitnimmt. Geboren wurde sie in München, in lebhaften Zeiten (als Dreijährige krähte sie „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ mit), 1972 ging Papa Gert Voss nach Stuttgart, wo er schon in die große Peymann-Familie hineinkam, mit der er später nach Bochum und ans Wiener Burgtheater weiterzog. Grischka wuchs unter lauter Schauspielern auf, und über manche gibt es aus ihrer Feder messerscharfe Charakteristiken.
Tatsächlich gewinnt man am Beispiel ihres Vaters, über den sie ausführlich berichtet, den Eindruck, ein Schauspielerleben sei eine einzige Folge von Katastrophen. Mit verrückten Regisseuren (Peymann, Zadek) und liebevollen (Tabori, Bondy) und einer unglaublichen dünnen Haut – Grischka hat den Papa nicht zuletzt durch seine Rollen und seine Verwandlungen hindurch genau beobachtet. Und bekam alles von seinen Abgründen mit, den Zweifeln, Ängsten, dem dauernden Bedürfnis nach Bestätigung.
Wenn sie am Ende ausführlich zuerst das Sterben des Vaters, dann das Sterben der Mutter (die doch eine Art von Borderline-Persönlichkeit gewesen sein muss) schildert, geht das für den Leser grausam unter die Haut. Aber Grischka Voss weicht weder dem Leben noch seinen Problemen aus…
Sie schildert auch die eigene Biographie gänzlich uneitel, ihre guten und schlechten Eigenschaften, ihr Helfersyndrom etwa, ihren Galgenhumor. Sie hat mit ihrem Leben so extrem experimentiert, dass sie des öfteren gut und gern hätte abstürzen können – „Grenzgängerin“ nennt sie sich, immer neugierig, immer risikobereit. Grimmigen Humor lässt sie durchschimmern, wenn sie ihre Erlebnisse in New York bei den diversen Method Acting Schools berichtet. Gnadenlos deckt sie auf, wie vergeblich sie versucht hat, als konventionelle Schauspielerin Fuß zu fassen und wie man sie (Jürgen Flimm beispielsweise) herablassend bis niederträchtig behandelt hat.
Schließlich berichtet Grischka Voss von ihrer freien Theaterarbeit und ihren durchaus „schmerzhaften“, herausfordernden Projekten in der Freien Szene von Wien, von ihrem Mann, dem Schauspieler Ernst-Kurt Weigel, der sie nach eineinhalb Jahrzehnten verlassen hat, und von ihrer gegenwärtigen Situation: Die Eltern tot, sie als allein erziehende Mutter eines jetzt 11jährigen Sohns – und der Wunsch weiterzumachen: Denn „Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ war ihr Lieblingssatz aus dem Mund ihres Vaters. Und ist sie nicht lebenslang eine besessene Optimistin gewesen?
Renate Wagner